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Seine Stimme in meiner Erinnerung ließ mich erschaudern und mein ganzer Körper prickelte wohlig, bei dem Gedanken an ihn und seinem Lächeln. Aber halt! Ich musste mich darauf konzentrieren, eine Krankenschwester zu rufen und zu fragen, weshalb ich hier war! Ich setzte mich ein wenig auf und hob meinen schwachen Arm, um auf den roten Knopf neben mir zu drücken. Aus dem Lautsprecher daneben drang nun eine Frauenstimme.
„Ah! Sie sind wach, Miss Withey. Soll ich jemanden vorbeischicken?"
Ich nickte und merkte erst anschließend, dass sie mich nicht sehen konnte.
„Ja, bitte", antwortete ich schließlich mit einer rauen, zittrigen Stimme.
Ich ließ mich zurück in die weichen Kissen gleiten und schloss die Augen. Sofort tauchten Bilder und Erinnerungen vor meinem inneren Auge auf. Wieder fiel ich in die Erinnerung zurück, die auf dem Jahrmarkt stattfand.

„Und wieso hast du mich hierher gebracht? Ich meine, ein Jahrmarkt? Glaubst du, das ist witzig? Wenn meine Eltern das wüssten -"
Er unterbrach mich: „Sie wissen es nicht und du bist bei mir, also hast du in gewisser Weise selbst entschieden, dein normales Leben für einige unterhaltsame Stunden hinter dir zu lassen, nicht wahr?"
Ich wandte den Blick ab. Was glaubte er eigentlich, was zwischen uns vor sich ging? Wer hatte denn überhaupt angenommen, wir seien zusammen? Niemand - oder ich ... gelegentlich. Ja, wir gingen zusammen aus, aber das kann man auch als Freunde. Die Frage, ob wir nun zusammen waren, brannte mir auf der Zunge. Ich wollte ein Ja hören. Ein deutliches, ein unmissverständliches, ein sicheres Ja. Aber ich konnte nicht einfach so den Mund aufmachen und fragen: „Bist du eigentlich mit mir zusammen oder nicht?" Nein, so etwas macht man einfach nicht.
Stattdessen sagte ich: „Hätte ich gewusst, dass wir hierherkommen, wäre ich wahrscheinlich nicht mitgegangen. Meine Eltern anzulügen ist bei Weitem nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Ich dachte, wir gingen wenigstens in ein Museum."
„So wie die letzten Male?", erwiderte er und ich konnte das Lächeln aus seiner Stimme heraushören.
„Nein, das ... das wollte ich vermeiden."
Ich fühlte seinen Blick auf mir ruhen.
„Du meinst, dir haben die drei oder vier gemeinsamen Abende nicht gefallen? Die Party, das Bowlen und das Schlittschuhfahren? Ich glaube kaum."
„Doch. Ja. Ich meine, nein. Es hat mir vielleicht gefallen, aber das heißt lange nicht, dass-" Ich sah ihn an. „Dass das richtig ist. Wir hätten es dabei belassen sollen. Ich hätte selbst auch mal entscheiden sollen, was wir unternehmen. Vielleicht wäre Nachhilfe in Astronomie gar nicht so schlimm, wie du denkst ..."
Er ließ ein schallendes Lachen verhören und die zwei Männer vor uns drehten sich kopfschüttelnd um. Ich sah sie entschuldigend an und stieß André mit aller Kraft in die Rippen. Er verstummte und rieb sich diese.
„Au! Wofür war das denn jetzt?" Ich unterdrückte ein Schnauben.
„Für dein Benehmen!" Und alles andere - fügte ich in Gedanken hinzu.
Nach wenigen Minuten waren letztendlich wir an der Reihe. Ich ließ André den Vortritt: „Ich mach das nicht mit, das weißt du. Wenn du schießen willst, dann schieß - meinetwegen! Aber ich - ich mach da nicht mit!" André sah mich halb verwundert über meine Reaktion, halb belustigt an.
„Tut mir leid für dich, Noreen, aber du musst da durch. Es führt kein Weg daran vorbei." Ich runzelte die Stirn
„Du kannst mich nicht zwingen!"
„Und ob! Ich zeig dir, wie man schießt. Sei keine Spielverderberin."
Sein Blick durchbohrte den meinen und ich verlor mich in der Tiefe seiner bernsteinfarbenen Augen. Mein Herz machte einen Sprung und meine Muskeln bewegten meinen Kopf vor und zurück, sodass ein Nicken entstand, ohne dass ich es gewollt hätte. Meine Lippen formten lautlos die Worte „na gut" und die Sache war geklärt. Ich würde schießen.
„Drei Schüsse, bitte", bat André den Mann in der Hütte. Dieser nahm einen Zehner entgegen und überreichte André das Wechselgeld und ein recht langes Gewehr. Sofort beschlich mich ein angeekeltes und ängstliches Gefühl, das mich daran erinnerte, dass diese Waffe töten konnte und ich gerade in Begriff war, sie zu benutzen. Wer konnte denn garantieren, dass ich dabei nicht zufällig den Kassierer umlegte?
André legte mir eine Hand auf die Schulter. „Du wirst schon keinen verletzen, Noreen. Das ist alles geschützt. Und erschießen kannst du mit dieser Knarre sowieso keinen, da ist keine echte Kugel drin!" Er hatte soeben Knarre gesagt! Was für ein merkwürdiges Wort!
„Was meinst du mit Knarre? Das Gewehr?"
„Ja. Kommst du jetzt?"
Auch der Mann am Tresen wurde ungeduldig: „Wenn sich die feine Dame nicht bald entscheidet oder du, Junge, schießt, dann ruf ich die Wachmänner wegen Störung der Handelsordnung!"
Ich zögerte, nahm das Gewehr, das André mir anbot, jedoch an und stellte mich gerade hin, die rot-weiß-schwarze Scheibe im Visier. Ich hatte keine Ahnung, wie man ein Gewehr hielt. „Noreen! Warte. Du musst das Gewehrende an deine Schulter lehnen. Genau so ..." Er stellte sich hinter mich und umfasste mit der einen Hand meine Hüfte, mit der anderen meine rechte Schulter. „Stell dich breitbeinig hin, so bist du sicherer und halte mit der einen Hand ..."
Er erklärte mir in einigen Sekunden, wie man angeblich ein Gewehr halten sollte und flüsterte mir abschließend ins Ohr: „Perfekt, jetzt sieh dein Ziel genau an und drück, wenn du fühlst, dass die Zeit reif ist, den Abzug ab." Es war schwer sich auf das Schießen zu konzentrieren, wo Andrés Körper doch wenige Zentimeter von meinem entfernt stand, dennoch versuchte ich die Ablenkung zu übersehen und die Scheibe anzustarren.
Ich drückte ab. Ein Schuss ... und ich fiel durch die Abstoßungskraft rücklings in Andrés Arme. Wie nicht anders zu erwarten war, verfehlte ich die Zielscheibe - aber nur knapp!
Den nächsten Schuss übernahm André, um es mir zu zeigen. Er traf die Mitte der Zielscheibe und übergab mir wieder das Gewehr. Diesmal stellte ich mich gleich breitbeinig hin und hielt das Gewehr so, wie ich es in Erinnerung hatte. André überprüfte meine Stellung kritisch, korrigierte an manchen Stellen meine Haltung und ließ mich los, damit ich schoss. Ich drückte wieder ab und blieb - mir alle Mühe gebend - diesmal aufrecht stehen. Ich traf das Äußere der Zielscheibe, aber ich traf!
Mich überkam eine Welle des Stolz. Wir gewannen durch Andrés Treffer einen Teddybären, den er mir als Andenken schenkte.

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Voilà das nächste Kapitel, ich hoffe es hat euch gefallen :) Bitte lasst doch ein Like und/ oder einen Kommentar da! Ich bin auch gerne offen für Kritik, also einfach raus mit der Sprache! Ist euch Noreen mittlerweile sympathisch oder nicht?

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