Das Fernsehzeitalter

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Einen Fernseher im Wohnzimmer stehen zu haben, war in den 50er Jahren nur privilegierten Familien möglich. 1952 ging Weihnachten zum ersten mal die ARD auf Sendung. Der erste Röhren-Fernseher stand bei Vogels 1956 in der Wohnzimmerecke auf wackeligen 4 Holzbeinen. Um mal 1 Stunde fernzusehen, hatte Papa das Sagen. Erst wenn seine Tagesschau vorbei war und das auch nur am Sonntag, durften wir nachmittags ein Kinderprogramm ansehen. Der Sonntag war heilig, im wahrsten Sinne des Wortes. Um 10 Uhr ging die ganze Familie in die Kirche zum Hochamt. Um 12 Uhr wurde am festlich gedeckten Tisch im Esszimmer und nicht in der Küche, wie alltags, mit persönlicher Serviette, Silberbesteck und bestem Porzellan, Muttis 3 Gänge Menü serviert. Nach dem abwechselnd von uns vorgetragenem Tischgebet, wurden wir beim Zulangen der köstlichen Beilagen immer wieder gemaßregelt, mit perfekter Körperhaltung ohne aufgelegten Ellenbogen, ganz nach Knigge, das Sonntagsmahl einzunehmen.

Nach gemeinsamen Tischabtrag und Abwasch in der Küche, freuten sich unsere Eltern auf den sonntäglichen Mittagsschlaf. Damit der auch in Ruhe und Frieden abgehalten werden konnte, war für uns Kinder die innere Sammlung und Aufmerksamkeit der Gedanken im Gebet durch eine Andacht um 14 Uhr in der Josefskirche verpflichtend. Oh, was haben wir diese zwei Messen jeden Sonntag verflucht! Besondere Eile war dann geboten, wenn wir um 15 Uhr rechtzeitig zur Kinderserie "Fury" vor unserem neuen Fernseher liegen wollten. 1958 hatten wir nämlich das neuste Möbelstück, eine supermoderne Heimkinoanlage im Wohnzimmer stehen. Diese Musikanlage bestand aus einer edelholzfurnierten großen Truhe, die einen modernen Fernseher in der einen Hälfte und ein Radio mit Schallplattenspieler in der anderen Hälfte beherbergte. Rechts und links in den Seitenwänden und in der ganzen Breite der unteren Front, waren große Lautsprecher untergebracht, die für damalige Verhältnisse, für einen ausgezeichneten Sound sorgten. Neben dem Plattenspieler standen im Plattenständer, dann auch Schallplatten der bedeutendsten Opern und Schlager, wie Madam Butterfly und Tulpen aus Amsterdam.

Es war ein Sonntag und uns war wohl mal vergönnt allein zu Hause alle Freiheiten ohne die Schwestern zu genießen. Alle waren wohl unterwegs und wir konnten Platten hören und Radiosender aussuchen. Ich weiß nicht mehr warum auf einmal eine Nagelschere im Spiel war, jedenfalls ließen sich damit die Rautenmuster aus Seidenfäden der Lautsprecherverkleidung toll bearbeiten, sodass sich aus Rauten schöne andere geometrische Muster schneiden ließen.

Erst nach Begutachtung des Kunstwerks kam uns der Gedanke, dass wohl Ärger ins Haus anstehen könnte und räumten die Überbleibsel der Fäden weg. Erst Tage später fiel natürlich zuerst Hella unser kleines Kunstwerk auf, das Sie natürlich zweifellos unserem Tatendrang zuordnete und so dafür sorgte, dass züchtende Maßnahmen unserer Eltern ergriffen werden mussten.

Mit zunehmendem Alter, erweiterte sich die Fernsehzeit vom Nachmittag auf den Abend. Beliebt waren natürlich auch die Abendkrimis die nach den 20 Uhr Nachrichten folgten. Wir hofften, dass wir noch " Mit Schirm Scharm und Melone" verfolgen konnten. Doch prompt fiel Hella auf, dass unsere Zeit abgelaufen war. " Es ist schon spät, müssen die Jungs nicht schon längst im Bett sein?"

Oh was hätten wir Hella würgen können, sie lag genüsslich in ihrem Sessel, der ihr als Älteste zustand. Mutter lag auf dem Sofa, Marillo nahm Platz auf dem Lehnstuhl und Helmut und ich hockten auf dem Boden, wenn nicht bei Papa im Ohrensessel. Dann erging auch das elterliche Kommando, "ab ins Bett". Wenn wir Glück hatten, war der schwere Vorhang, wie oft im Winter, zwischen Ess- und Wohnzimmer zugezogen. Dann gingen wir übers Treppenhaus nach oben, machten Kehrt und schlichen uns auf leisen Sohlen zurück ins Esszimmer, legten uns mit einer Decke auf den Boden und lugten unter dem Vorhang mit freier Sicht auf den Fernseher und genossen den Krimi. Wenn's dumm lief, war unsere Visite schnell beendet, denn Hella kannte keine Gnade, wenn sie die kleinste Bewegung am Vorhang erkannte, " da, die Jungs sind schon wieder unten!" Selten konnten wir bis zum Schluss gucken. Marillo hat's nie gestört, was Hella getrieben hat, haben wir nie verstanden, sie auch nicht, wie sie Jahre später gestand.

Ein komischer VogelWhere stories live. Discover now