Kapitel 12

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Joris

Tiefer, emotionaler Schmerz hatte meine Seele geflutet. Der Schmerz, den ich über fünfzehn Jahre lang hinter dicken Mauern tief in mir vergraben hatte, und den Malia jetzt unbeabsichtigt an die Oberfläche geholt hatte.

Er hatte meinen Geist vollkommen eingenommen, doch jetzt durchbrachen Gedanken ihn. Nicht meine, nein, sondern Malias.

Sie hatte mein letztes Geheimnis aufgedeckt. Meine wahre Identität. Die, die ich vor ihr verheimlicht hatte.

Panik flutete meinen Körper, war sogar stärker als der Schmerz. Keine Panik davor, dass Malia wusste, wer ich wirklich war.
Panik davor, dass es diese Sache war, die das Fass zum überlaufen brachte, und dass es sie mir nicht verzeihen ließ.

Ich hob den Kopf und sah in ihre blauen Augen, sah die Erkenntnis darin aufblitzen, die dann von Wut überschattet wurde.

Doch nicht die Art von Zorn, wie der, der vorher in ihr gewütet hatte. Eher erschöpfter, resignierter Zorn.

Das sah nicht gut aus. Überhaupt nicht gut.

»Malia«, keuchte ich erneut. »Ich – Können wir reden?«

Sie nickte. Abweisend, aber sie nickte.

Schwer atmend stemmte ich mich auf meine Knie hoch.

»Aber – Joris.«

»Luc«

»Was?«

»Ich heiße eigentlich Luzifer. Und meine Freunde – nennen mich Luc.«

Sie nickte.

»Okay – Joris. Ich habe eine Regel. Bei unserem Gespräch, wirst du mich nicht anlügen. Und wenn du es tust, werde ich das merken. Und dann wars das. Mehr Chancen bekommst du nicht.«

»Hatte ich nicht vor. Wie gesagt – ich werde dich nie wieder anlügen.«

Wieder nickte sie stumm, und hielt mir ihre Hand hin, um mir aufzuhelfen.

Ächzend zog ich mich hoch, immer noch mit weichen Knien, und stütze mich an einer dunklen Säule ab.

»Lass uns irgendwo anders hingehen.«

»Okay. Aber ich möchte nicht zu dir nach Hause.«

Ich lächelte leicht.

»Mein Zuhause ist überall, aber definitiv nicht hier. Am ehesten ist es wohl unsere WG.«

Verblüfft blinzelte sie mich an, fragte aber nicht nach. Und ich beantwortete ihre stumme Frage auch nicht, weil der Schmerz eh noch in mir wütete, wenn auch nicht mehr so stark, wie vorher.

Doch die Antwort würde ihn unweigerlich stärker machen, bis er nicht mehr auszuhalten war. Das konnte ich jetzt auf gar keinen Fall gebrauchen, und so bediente ich mich meiner über die Jahre perfektionierten Verdrängungsfähigkeiten, und schob alles beiseite, bis nur noch meine Gefühle für Malia, und mein Plan in meinem Kopf kreisten.

Ungefähr eine halbe Stunde später ließ ich mich auf einen gläsernen Stuhl fallen, Malia mir gegenüber.
Ich hatte sie in einen wunderschönen Garten voller unterschiedlicher Pflanzen geführt. Dunkle Abbilder der Pflanzen aus der Oberwelt, mit schwarzen, dunkelblauen, oder violetten Blättern. Schimmernde, verführerische Früchte hingen an ihnen und weiße, glitzernde Adern durchzogen die Baumstämme.

»Der Garten der Persephone«, erklärte ich ihr und deutete um mich herum.

Die Hexe riss die Augen auf und betrachtete alles genauer, entdeckte nach einigen Sekunden auch den einzigen Granatapfelbaum des Gartens hinter mir.

»Den gibt es immer noch?«

Ich nickte. »Meine Vorfahren und auch ich haben ihn auf Hades Wunsch exakt so erhalten, wie er ihn für sie angepflanzt hat. Es ist einer meiner Lieblingsplätze hier unten.«

»Verständlich. Es ist wirklich wunderschön hier. Und so viel weniger ... höllenhaft, als ich es mir vorgestellt habe.«

»Das ist ja nicht das Einzige, was es hier gibt. Manches ... willst du nicht sehen.«

Ein dunkler, leerer Raum, im untersten Geschoss des Palastes zum Beispiel.

Verflucht. Verdrängen, und zwar schnell. Diese Gedanken hatten hier jetzt nichts verloren.

Malia räusperte sich und durchbrach die unangenehme Stille, die sich nach meinen Worten über uns gelegt hatte.

»Also – Joris. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, was ich als erstes wissen will. Deshalb – wieso hast du mir verschwiegen, dass du der Teufel bist? Ich meine, wir haben sogar schonmal über deine Identität gesprochen, und da hättest du die Chance gehabt, es mir zu sagen.«

Ich wusste genau, dass das nicht die Frage war, auf die sie am dringendsten eine Antwort wollte, aber wahrscheinlich wollte sie nicht direkt mit ihrer Schwester starten.

»So wie du mir auch nie gesagt hast, dass du zur Eternal Bloodline gehörst?«

Eine leichte Röte legte sich auf Malias Wangen, die dort wunderschön aussah. Doch schnell straffte sie die Schultern und sah mir direkt in die Augen, die ich nach unserem Kampf – den man eigentlich nicht so nennen konnte – nicht mehr verschleiert hatte.

»Wieso auch? Wenn du es eh schon weißt?«

Ich seufzte und fuhr mir mit der Hand durch die Strähnen, verschränkte dann meine Arme vor der Brust.

»Ich weiß, ich habe viel falsch gemacht. Extrem viel, und das tut mir leid, aber ich habe nie gelernt – offen zu sein. Es gab niemanden in meinem Leben, mit dem ich hätte offen sein können, und der nicht – so wie Jake – eh alles mitbekommen hat, was ich mache, weil er mir ständig den Arsch retten musste.«

Sie schmunzelte leicht, doch hörte sofort damit auf, als sie sah, dass ich es ebenfalls bemerkt hatte. Das würde nicht einfach werden, auf gar keinen Fall, aber ich gab mein Bestes.

»Also, der Grund dafür ist, dass ich nicht wollte, dass du mich mit anderen Augen siehst. Als oberster Dämon der Unterwelt haben viele eine spezielle Erwartungshaltung mir gegenüber, und es war schön, einfach mal ... Joris zu sein.«

Ich sah, das Malia verstand. Schließlich war genau das der Grund gewesen, wieso auch sie mir nicht erzählt hatte, dass sie der ältesten Hexenlinie angehörte.
Wobei sie es mir wahrscheinlich erzählt hätte, hätte ich etwas über meine wahre Position gesagt.

»Das – ist nachvollziehbar«, gab sie zu.

Dann senkte Malia den Blick, und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Es fiel mir schwer, den Blick von ihrem Mund abzuwenden, doch das hatte hier gerade keinen Platz.
Ich ahnte, was sie als nächstes ansprechen würde, und hoffte, dass ich es ihr erklären können würde – ohne sie zu verschrecken, oder wie ein Psychopath dazustehen.
Wobei ich eigentlich aus mancher Sicht einer war.

Aber ich wollte nicht, dass sie das erkannte. Doch das würde sie unweigerlich.

»Also...«, sie brach ab, räusperte sich ein letztes Mal, und hob den Blick wieder. Trauer verschleierte ihren Blick, doch Tränen sah ich keine.

»Woher weißt du von meiner Schwester? Und - wie viel weißt du?«

Eternal BloodlineWhere stories live. Discover now