Kapitel 5

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Malia

Ein Klopfen ertönte an meiner Zimmertür und ich sah von meinen PC auf.

»Malia? Bist du noch wach?«, wollte Joris durch meine Tür wissen.

Noch? Ich schaute auf die Uhr und bemerkte, dass es tatsächlich schon 7 Uhr war. Scheiße, in 17 Minuten würde die Sonne aufgehen. Und ich hatte noch nichts gegessen.
Kurz starrte ich frustriert auf die Codes auf meinen Bildschirmen, wegen denen ich die Zeit aus dem Blick verloren hatte, erinnerte mich dann jedoch an Joris, der immer noch vor meiner Tür stand.

»Ja, komm rein«, rief ich ihm zu und drehte mich schwungvoll mit meinem Scheibtischstuhl um.

Die Zimmertür öffnete sich und mein Mitbewohner betrat meinen abgedunkelten Raum, der nur von zwei Bildschirmen beleuchtet wurde.

»Ich habe dir was zu essen gemacht, dann musst du nicht mehr in die Küche gehen«, sagte Joris und reichte mir eine Schüssel mit Cornflakes.

Perplex starrte ich darauf, nahm sie dann kommentarlos an. Es brachte eh nichts, mit Joris darüber zu diskutieren, dass er viel zu viele nette Dinge für mich tat.

»Danke dir«, seufzte ich und begann, hungrig das Müsli zu löffeln.

»Und – ich wollte mit dir noch über eine Sache sprechen«.

Bei diesen Worten fuhr er sich nervös durch seine dunklen Haare und mein Blick folgte der Bewegung, konnte sich nicht von seinen Händen losreißen, die durch die Strähnen glitten.

»Malia? Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte mein Mitbewohner mich belustigt.

Ertappt fuhr ich zusammen und konzentrierte mich auf Joris schwarze Augen, in denen ich Schalk aufblitzen sah.

»Tut mir leid, bin nur etwas müde«, entschuldigte ich mich. »Hab die ganze Nacht an einer neuen Website gearbeitet.«

Er lächelte nur verständnisvoll.

»Ich wollte dich fragen, ob du etwas gegen Katzen hast. Mein ... «, er zögerte kurz, als wäre er sich nicht sicher was die richtige Bezeichnung war, »Bekannter. Er ist überfordert mit seiner Katze, und da sie schon immer einen guten Draht zu mir hatte, hat er mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, sie zu übernehmen.«

Ein breites Grinsen hatte sich bei seinen Worten auf meinem Gesicht ausgebreitet.

»Machst du Witze? Ich liebe Katzen, und wollte schon immer mal eine haben«, quietschte ich, stellte meine noch halbvolle Schüssel auf dem Schreibtisch ab und sprang begeistert von meinem Stuhl auf.

Joris lachte leise: »Gut. Willst du ihn kennenlernen?«

Ich verdrehte die Augen und erwiderte lachend: »Du hast also nicht einmal meine Antwort abgewartet, und der Kater ist schon hier?«

Mein Mitbewohner hob nur abwehrend die Arme: »Ich wusste, dass du nicht nein sagen würdest.«

Scheinbar kannte er mich schon besser als ich ihn, ich nämlich hatte keine Ahnung gehabt, dass er Katzen ebenfalls mochte.

Gespielt schmollend fuhr ich fort: »Na gut, von mir aus, du Super-Menschenkenner Genie. Zeig mir meinen neuen kleinen Pelzfreund.«

Lächelnd öffnete Joris die Tür und trat hinaus auf den fensterlosen Flur, ich folgte ihm. Vor seinem Zimmer blieb er kurz stehen und drehte sich wieder zu mir um.

»Ich muss dich allerdings warnen, mit den meisten Menschen kommt er nicht so gut zurecht. Er ignoriert sie lieber.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Für Tiere hatte ich schon immer ein gutes Händchen. Mach dir keine Sorgen, Joris, wir werden schon miteinander zurechtkommen.«

Er nickte und betrat sein Zimmer. Ich hielt den Atem und folgte ihm gespannt, einerseits, weil ich Katzen wirklich liebte, andererseits, weil ich noch nie in seinem Zimmer gewesen war. Eine Qual für mein manchmal zu neugieriges Wesen.

Das Erste, was mir ins Auge fiel, war ein farbenfrohes Gemälde direkt über dem Schreibtisch. Rote, orange und gelbe Farbtöne vermischten sich, und ließen das gemalte Feuer lebendig wirken. Schwarze Schlieren schlängelten sich über das gesamte Bild und legten eine Art dunklen Schleier darüber.
Es passte gut zu Joris, ich hätte ihn definitiv als Kunstliebhaber eingeschätzt.

Langsam ließ ich meinen Blick weiterwandern, über einen großen Schrank, seinen Schreibtisch mit mehreren Monitoren, ähnlich wie bei mir, bis er auf seinem Doppelbett liegen blieb.

»Ja. Das ist Zerberus«, verkündete der Mann neben mir feierlich und hob die schwarze Katze vom Bett.

Ich betrachtete erstaunt das flauschige Ungetüm in seinen Händen, und als Zerberus die stechend grünen Augen öffnete, hatte ich das Gefühl, dass er mir direkt in die Seele schaute.
Ein, zwei Sekunden hielten wir Blickkontakt, bis der Kater seinen Kopf drehte und Joris vorwurfsvoll anstarrte, bis der ihn schließlich auf den Boden setzte.

»Das hatte ich mir jetzt irgendwie anders vorgestellt«, murmelte er, verstummte aber, als Zerberus auf mich zukam und um meine Beine strich.

»Siehst du!«, rief ich triumphierend aus. »Ich habe doch gesagt, dass wir uns verstehen werden.

Joris lächelte leicht.

»Wie gesagt, normalerweise ist er nicht so zutraulich, vor allem bei Fremden nicht. Er hat ein Gespür für Böses und wenige Genügen seinen Ansprüchen.«

Wie mir, schoss mir da durch den Kopf, doch ich verdrängte den Gedanken. Ich war durch mit der Sache, dass hatte ich mir und meiner Schwester geschworen.

Meine Schwester. Himmelblaue, leere Augen.

Nein, nicht schon wieder! Was war in letzter Zeit nur los mit mir, dass ich ständig an sie denken musste?
Schnell kniete ich mich hin, um Zerberus zu streicheln, und als ich das weiche Fell unter meiner Handfläche spürte, verblassten die ungewollten Erinnerungen augenblicklich.

Leise schnurrend schmiegte der Kater sich an meine Beine und ich blickte zu Joris auf, der mich aufmerksam musterte.
Dann lächelte er so strahlend, dass sich eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitete.

»Was ist?«, wollte ich leise von ihm wissen.

Er schüttelte nur den Kopf.

»Ich bin nur glücklich.«

Fragend schaute ich ihn an, doch er erwiderte nichts mehr.

Und ich ließ es schweigend auf sich beruhen, auch wenn ich mir wünschte, nachzufragen, und zu erfahren, was ihn in diesem Moment glücklich gemacht hatte.
Denn ich wollte ihn näher kennenlernen.
Obwohl ich seine Anwesenheit eigentlich nicht genießen, nicht mal tolerieren durfte, tat ich es doch.

Und ehrlich gesagt hatte ich Angst.
Angst davor, was mit mir passieren würde, wenn ich weiter vor meiner Bestimmung davonlief, und gleichzeitig in Joris Nähe blieb.
Angst davor, dass die Erinnerungen unweigerlich zurückkommen würden, wenn ich Joris öfter sprechen, öfter berühren würde.
Aber meine größte Angst war, mich selbst wieder zu verlieren, nachdem ich mich mit Floras Hilfe vor zwei Jahren wiedergefunden hatte.

Da stupste der Kater vor mir maunzend seinen Kopf gegen meine Hand, weil ich aufgehört hatte ihn zu streicheln.

Lächelnd fuhr ich fort damit, vergessend, was ich gerade gedacht hatte.

Schließlich war es ja nicht so wichtig gewesen, oder?

Eternal BloodlineWhere stories live. Discover now