Kapitel 48

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Wie sagt man seinem beinahe 2000 Kilometer weit weg wohnenden Ehemann, dass man schwanger ist, wenn er erst circa ein Monat vorher erfahren hat, dass auch seine Ex Affaire schwanger ist?
Vor der Frage stand ich täglich, vor allem seit mich Jamal fragte, wieso ich schon zum vierten Mal in den letzten zwei Wochen Homeoffice machte und ob sich mein Magen Darm nicht langsam legen würde.
Nein, tatsächlich nicht.
Die Morgenübelkeit war fürchterlich. Ich schlug die Augen auf und griff erstmal zur Schüssel. Nachdem alles, was ich jemals an Nahrung zu mir genommen hatte, aus mir raus war, ging es wieder halbwegs. Zumindest bis ich mich dazu zwang, wieder etwas zu essen.
Dann ging nämlich alles wieder von vorne los.
Vor allem stark riechendes, süßes Parfüm oder der Geruch von fettigen Speisen ließ mich brechen und würgen ohne jegliche Gnade. Als meine Sekretärin letztens mit ihrem neuen YSL-Parfüm zur Arbeit gekommen war, hatte ich für mindestens fünfzehn Minuten über der Toilettenschüssel gehangen. Danach war ich schnurstracks nach Hause gegangen.
Und das, obwohl ich erst in der sechsten Schwangerschaftswoche war.
Die Übelkeit verschwand bei den meisten Frauen erst in der 18. wieder. Bedeutete, dass noch zwölf qualvolle Wochen vor mir lagen und zwar grundsätzlich mit steigender Übelkeit.
Und der Gedanke daran war scheußlich.

Die Tür klingelte, ich stand mit wackligen Beinen aus meinem Bett auf.
Dort hatte ich mich mit Laptop, Spuckschüssel und einer kleinen Schüssel voller Haferflocken, Naturjoghurt und Nüssen breit gemacht. Laut dem Internet war das Essen empfehlenswert bei Morgenübelkeit. Inwiefern ich diesem Rat zustimmte, war mit Blick auf den Eimer strittig.
Es war Carolin, die mein Homeoffice unterbrach.
Nicht mal wirklich darüber nachdenkend, was sie um neun Uhr morgens vor meiner Haustüre tat, öffnete ich meiner Schwiegermama die Türe.
„Juli, hey.", sie sah mich mitleidig an und hielt dann eine Tasche in die Höhe, „Ich habe dir Brühe, Salzstangen, Zwieback und alles mitgebracht. Jamal hat mir erzählt, dass du immer noch nicht fit bist."
Bei dem Geruch der Brühe, der mir aus der Tüte entgegendampfte, oder vielleicht war es auch einfach der bloße Gedanke daran, drehte sich mein Magen erneut um und ich begab mich, ohne ihr überhaupt Hallo zu sagen, sofort zur Toilette.
„Um Gottes Willen, Kind, was hast du dir da bitte eingefangen?!", Carolin war mir gefolgt und hielt entsetzt meine Haare zurück.
Ich lehnte mich derweil erschöpft an die Wand und putzte mir meinen Mund ab.
„Kann ich dir irgendetwas bringen?"
„Bitte bloß keine Brühe..."

Die gesamte Zeit, die Carolin hier war und mir mit dem Haushalt half, warf sie mir kritische Blicke zu. Vor allem, seit sie meine Schonkost im Bett gesehen hatte. Kein Mensch, der noch ganz bei Trost war, aß Naturjoghurt während eines Magen Darm Infekts. Das hatte sie mir auch weniger offensiv ins Gesicht gesagt.
Ihre Blicke stressten mich nur noch mehr, aber ich wollte sie auch nur sehr ungern wegschicken, denn was sie für mich tat, war unglaublich lieb. Sie saugte Staub, räumte die Spülmaschine aus, wusch meine Wäsche und reinigte sogar den Eimer und die Toilette...
Vor allem das letzte war mir äußerst unangenehm, aber Jamals Mama bestand darauf.
Denn theoretisch war ich zwar im Stande dazu, die Dinge selbst zu erledigen, aber ich benötigte locker das dreifache an Zeit wie sie. Nicht nur weil ich wackliger auf den Beinen war als ein neugeborenes Reh, sondern auch, weil ich meinen Eimer immer bei mir tragen musste.
Zumal ich eigentlich arbeiten sollte...

„Wie geht es dir? Bist du wieder etwas fitter?", Jamal sah mich besorgt durch das Display an.
„Nicht wirklich...", murmelte ich, „Aber Carolin hat mir heute unglaublich viel geholfen."
Er nickte: „Hoffen wir, dass der Virus bald wieder weg ist und ich nach München kommen kann... Ich würde so gerne bei dir sein und dir helfen, aber mein Trainer bringt mich um, wenn ich bei den letzten zwei Spielen der Saison fehle."
Ich nickte nur kurz angebunden und winkte ab, dass er sich keinerlei Sorgen machen solle, spürte derweil erneut Carolins kritischen Blick auf mir.
Sie kaufte mir die Magen-Darm-Geschichte scheinbar wirklich gar nicht ab.
Nachdem ich das Gespräch beendet hatte, begegnete ich ihrem Blick.
„Wann sagst du es ihm?"
„Bitte was?"
„Ach komm Juli. Da ist keine Ansteckungsgefahr für irgendwen und schon gar nicht für Jamal. Das ist kein Virus.", sie lächelte mich sanft an.
Also hatte sie wohl tatsächlich 1 und 1 zusammengezählt und war somit deutlich aufmerksamer als Jamal.
Die Tests hatte ich nämlich vor ihren Augen verborgen gehalten und Lilli hatte ziemlich sicher auch nicht gepetzt.
„Was hat mich verraten? Das Essen?"
„Eines von mehreren Indizien.", sie zwinkerte mir zu, „Ich bin selber dreifache Mama, meine Liebe. Das ist klassische Morgenübelkeit. Wie weit bist du?"
Ich seufzte: „In der sechsten Schwangerschaftswoche... und diese Übelkeit rauft mir jetzt schon jeden Nerv."
Sie strich mir lächelnd über den Arm: „Das wird besser, versprochen.", dann sah sie mich glücklich an, „Komm her, Juli!", Carolin zog mich in eine Umarmung, „Ach ich freue mich so sehr für euch."
Sie drückte mir einen Kuss auf meinen Haaransatz, ich lächelte erschöpft.
„Das bedeutet aber auch, dass du zurück nach Madrid gehst, oder?"
Ich atmete einmal tief ein: „Ich vermisse ihn jeden einzelnen Tag so unendlich sehr, Carolin. Und die ständigen Flüge sind nicht nur absolut umweltschädlich, sondern auch teuer.", ich stockte, „Nicht dass das Problem wäre, aber ich glaube, du weißt, was ich sagen will.", sie nickte kurz verstehend, „Und das Kind ist jetzt der endgültige Schubser. Also ja, ich will eigentlich noch vor der Entbindung zu ihm."
Sie lächelte und strich mir über meinen Kopf: „Diese Nachrichten sind wunderbar, ich bin so glücklich, dass ihr eich wieder gefunden habt. Aaaber", sie pausierte, „ich werde dich hier schrecklich vermissen. Allein, weil du Neo scheinbar besser erziehen kannst, als ich...", sie seufzte.
Ich fing an zu grinsen und wurde dann wieder ernst: „Ich werde euch auch unfassbar vermissen, Carolin."
Sie lächelte und drückte meine Hand: „Glückwunsch, mein Engel."

„Jamal, ich denke, du solltest wirklich noch vor dem letzten Spiel herkommen."
„Aber du bist immer noch krank, Juls. Ich würde wirklich gerne kommen, aber-"
„Der Arzt meinte, dass keinerlei Ansteckungsgefahr besteht."
Er kräuselte seine Nase: „Sicher?"
„Ganz sicher.", meinte ich leicht schmunzelnd.
Er überlegte: „Aber was ist das für ein Infekt?", dann riss er plötzlich seine Augen auf.
Oho, Mister Musiala überlegte...
„Juli..."
„Hm?"
„Ist das... was Psychisches? Wegen dem ganzen Stress, den ich dir verursacht habe?"
Er war doch wirklich begrenzt...
„Nein Jamal, ist es nicht.", meinte ich mit Nachdruck. Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn. Vermutlich würde ihm die Schwangerschaft nicht mal auffallen, wenn ich mit einer fetten Kugel rumlief...
„Sicher? Oder sagst du das, um mich zu beruhigen?"
„Jam, nein. Ich erklärs dir, wenn wir uns sehen, okay?"
„Na gut. Hoffentlich geht es dir bald endlich besser... das geht jetzt fast drei Wochen, du arme..."
Es war unfassbar, dass er immer noch nicht draufgekommen war. Ich hatte beinahe gehofft, dass er sein Hirn anstrengen und es von selbst raffen würde, aber das ganze war hoffnungslos. Wirklich hoffnungslos.
„Aber wenn ich noch vor dem Spiel kommen soll, dann geht das echt nur, wenn ich morgen auf Montag komme. Ich kann das Training nicht verpassen."
„Ich schäme mich für die tausend Flüge... aber das hat sich ja bald.", Jamal sah hoch, „Aber ja, klingt ansonsten gut. Ich würde ja gerne zu dir kommen, aber..."
Ich hätte mich liebend gerne in den Flieger gesetzt, aber sicher nicht in dem Zustand. Die Übelkeit wurde immer schlimmer. Ich hatte mittlerweile auch das ein oder andere Kilo abgenommen, in dem Fall mehr als unfreiwillig. Jeden Morgen verteufelte ich, dass ich aufgewacht war und nicht einfach die ganzen Wochen voller Übelkeit verschlief.
„Warte... was sollte das eben heißen?"
„Was meinst du?", verwirrt sah ich ihn an, „Du weißt doch, dass mir ständig schlecht ist und ich so nicht in den Flieger kann."
„Nein nein, nicht das. Das das hat sich ja bald meinte ich. Was meinst du damit?? Ziehst du wieder her?"
Sein Blick war so unglaublich hoffnungsvoll.
Wie ein kleiner Junge, der gleich seinen größten Traum erfüllt bekommt.
Ich legte meinen Kopf schief und fing an zu lächeln: „Wird Zeit, meinst du nicht?"
Er sah mich mit riesigen Augen an, dann riss er die Arme in die Luft und brüllte plötzlich los: „SIE KOMMT ZURÜCKKK"
Ich brach in schallendes Gelächter aus.

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now