Kapitel 26

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Die nächsten 31 Tage zogen sich wie ein endlos in die Länge gezogener Kaugummi. Nicht, dass ich die Kälte zwischen Jamal und mir mittlerweile nicht längst gewohnt war, aber der etwas unbeschwertere Tag vor einem Monat mit Mathea, Leon und Serge, hatte mich daran erinnert, wie es früher einmal gewesen war.
Wie es in München gewesen war. Wie es war, bevor ich diese gottverdammte Fehlgeburt hatte.

Ich ging zum Sport.
Ich kaufte ein.
Ich traf mich mit Ophelia oder anderen Spielerfrauen.
Ich ging zu Charity-Veranstaltungen, besuchte Kinderheime und erfüllte deren Kinder Wünsche. Besorgte Unmengen an Futter für Tierheime und spendete Geld an Organisationen für Obdachlose. Ich versuchte durch Wohltätigkeit und Spenden einen Funken Glück in mir wiederzuerwecken, der beim Anblick der glücklichen Gesichter und Augen der Geholfenen in mir erblühte.
Der Rest der Tage wirkte trist, schleppend; so als wäre ich eine Marionette, in einem Alptraum gefangen.

Und dann kam dieser eine Tag.

Dieser eine Tag, der endgültig ein Loch in die zutiefst bröckelnde Fassade meines Lebens schlug. Der selbst den winzigen Teil zerstörte, der noch die Wände zum Stehen brachte.

Ich kam aus dem Fitnessstudio nach Hause. Meine Haare hatte ich zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. Meine Muskeln brannten, ich wusste, dass ich morgen einen dicken Muskelkater haben würde. Aber es war okay. Es waren zwei Stunden gewesen, die mich aus meinem Leben gerissen hatten.
Die mich fühlen ließen, dass ich überhaupt noch lebte.
Als ich das Wohnzimmer betrat, saß Jamal auf dem Sofa.
Ich wusste nicht, wie es nach der kurzen und tonlosen Begrüßung überhaupt zu dem folgenden Ausraster kam. Wie es dazu kommen konnte, dass er endlich die Worte aussprach, die ihn schon seit Monaten plagten.
Von denen wir beide wussten, dass sie in seinem Kopf waren, aber beide nicht gedacht hätten, sie jemals zu hören.
Ich wusste rein gar nichts mehr von der Situation, bis er plötzlich aufsprang und in voller Lautstärke zu brüllen begann.
"WEIL ICH DICH NICHT ANSEHEN KANN, JULI! ICH KANN DICH NICHT ANSEHEN, WEIL ICH DA IMMER NUR DEN GRUND FÜR DEN TOD MEINES KINDES SEHE.
ICH KANN DICH NICHT ANSEHEN, OHNE DARAN ZU DENKEN, DASS UNSER KIND NICHT TOT WÄRE, WENN DU NICHT MEHR LEBEN WÜRDEST!", danach verstummte er abrupt. Er schlug sich seine Hand vor den Mund und sah mich entgeistert an.
"Das, - das wollte ich nicht sagen Juli, - ich...", seine Augen waren angsterfüllt. Er hatte die Kontrolle verloren.
Die Kontrolle über die Worte, welche er monatelang unter egal welchen Bedingungen verschlossen gehalten hatte. Die er unter keinen Umständen hatte sagen wollen. Weil er wusste, dass das Aussprechen die Dinge endgültig besiegelten. Weil er wusste, dass er nun nie mehr zurückgehen konnte.
Ich nickte ganz leicht.
Tränen schossen mir in die Augen.
Versteht mich nicht falsch - ich kannte den Inhalt der Worte längst. Aber es ihn sagen zu hören - es war wie ein Dolch, der mein zusammengezogenes Herz völlig durchbohrte.
Es war ein unbeschreiblicher Schmerz. So schmerzhaft, dass ich mich am Liebsten auf den Boden hätte sinken lassen und nie wieder aufgestanden wäre. Und mit nie wieder meinte ich nie wieder.
"Da ist es ja. Das, was du schon die ganze Zeit sagen möchtest, aber dich nicht traust.", meine Stimme zitterte. Sie zitterte wie mein gesamtes Inneres.
"Nein Juli, ich-", fiel er mir ins Wort, doch ich ignorierte ihn.
"Aber weißt du was Jamal, es war auch mein Kind, das nicht mehr lebt.", meine Stimme ließ mich nicht im Stich, noch nicht.
"Und es tut mir wirklich leid. Es tut mir aus tiefstem Herzen leid.", das Zittern war mit jedem Wort unüberhörbarer geworden, meine Stimme brüchiger und krächzender.
"Aber DU hast dich damals für mich entschieden, nicht ich.", es war mehr ein Flüstern, als ein Reden. Und vor allem mein eigener, nächster Satz brach meine innere Welt endgültig zum Einsturz.
"Schätze das war dann die falsche Entscheidung.", damit lief ich aus dem Raum, nahm mir meinen Autoschlüssel und rannte aus der Wohnung. Ich wollte insgeheim, dass er mir hinterherlief, mich in den Arm zog und mir sagte, dass das nicht stimmte. Dass es die richtige Entscheidung gewesen war und er sich immer wieder so entschieden hätte.
Aber das tat er natürlich nicht.
Er rief mir hinterher, aber er lief mir nicht nach. Und ich scherte mich nicht um die Worte.
Sie waren ein einziges Geschwafel. Ein verzweifelter Versuch, sich selbst einzureden, dass die Worte nicht so gemeint gewesen waren. Aber er wusste, dass sie wahr waren. Und genau deshalb lief er mir nicht nach.
Er und ich wussten beide gleichermaßen - es war aus.

Hätte nicht gedacht, dass ich hier jemals noch dran weiterschreibe haha. Aber gut, was soll ich sagen - Klausurenphase bringt mich wieder zurück zu alten Gewohnheiten :)
Sorry an alle Nachrichten, die ich die letzten Monate mehr oder weniger ignoriert habe. War schon seit Ewigkeiten nicht mehr auf Wattpad :/

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now