Kapitel 33

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Endloses Hoffen auf ein schnelleres Vergehen der Zeit, Fragen, wieso alles so kam, wie es kam, Tage im Bett.
Ich könnte von den letzten Tagen erzählen, in denen ich nichts getan habe, außer zu heulen, mein Leben zu hinterfragen und zu hoffen, dass das alles ein einziger Alptraum war und ich gleich wieder aufwachen würde. Aber spätestens als mir bewusst wurde, dass das nicht passieren würde, versuchte ich, mein Leben wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Ich wollte nicht mehr zu Lasten Pablos hier wohnen, ich wollte generell nicht mehr in Madrid wohnen. Es wurde Zeit, nach Hause zu gehen.
Also hatte ich mich nach Arbeitsstellen und Wohnungen in München umgesehen. Zwei Stellen hatten es mir angetan: die eine in meiner alten Firma und die andere in einem kleinen Startup-Unternehmen. Ich tendierte momentan zu ersterer, aber ich wusste auch nicht, ob das nur ein verzweifelter Versuch war, wieder Gewohnheit in mein Leben zu bringen.
„Juli? Bist du wach?", Pablo klopfte an meine Türe.
„Ja, komm rein."
Die Tür öffnete sich vorsichtig und er trat ein: „Wie geht es dir?"
„Geht schon"
Er nickte und deutete mit einer Geste die Frage an, ob er sich an meine Bettkante setzen dürfe. Ich machte augenblicklich Platz.
„Hör zu, in drei Tagen ist Weihnachten. Ich gehe morgen zu meinen Eltern nach Hause. Du kannst gerne hier bleiben, wenn du das willst, aber- du darfst auch gerne mitkommen."
„Zu deiner Familie?", ich sah ihn ungläubig an.
„Niemand sollte Weihnachten allein verbringen.", er zuckte mit seinen Schultern.
„Und du denkst, sie sind damit okay? Ich meine, das bedeutet eine Person mehr am Tisch."
„Richtig...", er sah mich zerknirscht an, „Der andere Grund, weshalb ich dich dabei haben will. Sie wissen nichts von der Trennung."
Ich hob erstaunt meine Augenbrauen: „Ouh."
Er presste seine Lippen aufeinander.
„Ich liebe meine Familie, aber da alleine aufzutauchen- es würde eine riesige Fragerunde geben und die Tage dort wären die Hölle. Wenn du dabei bist, können sie nicht viel sagen.", er sah mich mit seinem Welpenblick an und ich fing an, tatsächlich zu überlegen, mitzugehen.
Wenn ich bei meiner Familie auftauchen würde, würden mich alle fragen, wo Jamal war und dafür war ich beim besten Willen nicht bereit. Und Weihnachten alleine zu verbringen klang auch nicht sonderlich reizvoll.
„Na schön,", stimmte ich schließlich zu. Pablo fing an zu lächeln und hielt mir seine Hand hin, in die ich einklatschte.
„Na dann los, packen!"

„Irgendwas, was ich wissen muss?"
„Nope, eigentlich nicht. Du wirst dich mit Aurora und Javi ganz sicher super verstehen."
„Oookay, nicht so viele Informationen auf einmal, okay?", ich sah ihn ironisch an, er grinste und wechselte dann die Spur, um die Ausfahrt zu nehmen.
„Das wird alles.", zuversichtlich blickte er mich an.
„Mhm..."
Er lachte leise auf: „Entspann dich, Juli.", er legte als Bestätigung seine Hand auf meinen Oberschenkel.
Als wäre es etwas völlig irrationales, starrte ich auf die Hand, er zog sie sofort wieder weg. Dann räusperte er sich: „Sorry, das war-"
Ich schüttelte meinen Kopf: „Nein, war es nicht. Da war doch nichts dabei.", ich lächelte ihn an, er erwiderte es zaghaft.

„Okay, wir sind da.", Pablo atmete einmal tief ein und legte seine Hände auf seine Oberschenkel.
Die restliche Fahrt waren wir still gewesen. Es war nicht unangenehm gewesen, trotzdem war ich erleichtert, dass wir nun aussteigen würden.
Zumal die fünfeinhalb Stunden in dem Auto auf Dauer auch irgendwann anstrengend geworden waren.
Pablo stieg als erster aus und öffnete meine Tür, ich grinste ihn kopfschüttelnd an. Dann liefen wir zur Haustür, er klingelte.
Die Tür wurde nach etwa 20 Sekunden stürmisch geöffnet und eine hübsche Frau mittleren Alters zog den Fußballer in eine Umarmung. Sie redete aufgeregt auf Spanisch, ich verstand nicht mal die Hälfte. Dann ließ sie ihn los und sagte freudig: „Ophe-"
Verwirrt brach sie ab und sah mich an: „Du bist nicht Ophelia.", meinte sie auf Spanisch und sah zwischen mir und ihrem Sohn verwundert hin und her.
„Ja äh Mama, das ist Juli. Meine Begleitung.", stellte mich Pablo auf Spanisch vor. Etwas überfordert reichte sie mir ihre Hand und stellte sich vor.
„Ich hoffe es macht keine Umstände, Ihr Sohn war so nett, mich einzuladen."
Mir war die Situation mehr als unangenehm. Unangekündigt und uneingeladen bei fremden Leuten über die Weihnachtsfeiertage aufzutauchen war dann doch nicht ganz meine liebste Beschäftigung.
„Nein nein, kommt rein.", sie lächelte mich an.
„Ich hole noch kurz unser Gepäck.", raunte Pablo mir zu, ich nickte.

„Also Juli. Was treibt dich nach Spanien?", Pablos Vater sah mich interessiert an. Ich blickte hilfesuchend zu Pablo, dem aber scheinbar auch keine passende Ausrede einfiel.
„Mein ähm", ich räusperte mich, „Ex ehrlich gesagt. Beziehungsweise, als ich herkam, waren wir natürlich noch zusammen."
Ex zu sagen fühlte sich so unglaublich falsch an.
Er hob interessiert seine Augenbrauen: „Und was tut dein Ex in Spanien?"
„Er spielt bei mir in der Mannschaft.", unterbrach Pablo das Gespräch, nun hoben auch seine Mutter, Schwester und Schwager ihre Augenbrauen. Mir war dieses Interview mehr als unangenehm. Die ganze Situation war einfach unangenehm.
Ich bereute generell mitgekommen zu sein. Die Tage alleine bei Pablo Zuhause mit einer Netflix-Serie erschienen mir momentan wirklich prickelnder.
„Aber natürlich, daher kenne ich dich! Musiala, richtig?", meinte Aurora, ich nickte.
Da Pablos Eltern scheinbar geflissentlich ignorierten, dass es sowohl Pablo, als auch mir unangenehm war, führten sie ihr Interview fort. Bis schließlich Aurora den Fokus auf Pablo lenkte: „Und was ist jetzt zwischen dir und Ophelia passiert?"
Alle Augen richteten sich auf Pablo: „Muss das jetzt sein?", zischte er in ihre Richtung auf Spanisch.
„Ich finde, das ist eine berechtigte Frage.", erwiderte sein Vater.
„Wir haben uns getrennt. Hat nicht mehr gepasst. Sie ist ausgezogen, lebt jetzt in Marbella. Zufrieden?"
Seine Mutter zog ihre Stirn in Falten: „Nein Pablo. Wieso? Ihr wart jahrelang liiert, wir dachten, ihr werdet heiraten!", sie sprach Spanisch, scheinbar sollte ich das ganze nicht verstehen.
„Ich auch. Aber manchmal kommt es eben anders als man denkt.", sein Ton klang sehr stark nach der Beendung des Gesprächs, weshalb seine Mutter zwar äußerst protestierend guckte, aber nicht mehr weitersprach.

Es war Heilig Abend. Ich hatte mich eben fertig gemacht und wollte die Treppen hinuntergehen, vielleicht konnte ich Pablos Mutter ja helfen, den Tisch zu decken oder zu kochen.
Ich fühle mich auf der einen Seite schrecklich. Es war das erste Weihnachten seit zig Jahren ohne Jamal, ohne meine Familie. Es fühlte sich falsch an. Auf der anderen Seite war eine innere Ruhe in mir, die ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Ich hatte das Gefühl, endlich wieder durchatmen zu können.
Meine Gedanken wurden allerdings von einem Gespräch unterbrochen, welches mich dazu brachte, auf einer der Treppenstufen zu erstarren.
„Pablo das ist Quatsch und das weißt du selber. Ich sehe, wie du diese Frau anguckst, wie du in ihrer Nähe glücklich bist. Aber das ist die Frau eines anderen!"
„Ex", korrigierte sie Pablo, „Mama, ich weiß nicht, wovon du redest.", sein Tonfall klang genervt.
„Doch, das weißt du. Und mein Schatz, ich warne dich. Diese Gefühle, diese Nähe zu ihr bedeuten Drama. Das könnte dir nicht nur Herzschmerz verursachen, sondern auch deine Karriere zerstören. Und deshalb frage ich dich, ist sie das wert? Ist sie den Verlust von Ophelia wert?"
„Wie oft noch, Juli hat nichts, aber auch gar nichts, mit der Trennung zu tun! Du hast keine Ahnung, wie die letzten Wochen, Monate waren. Sie war da für mich, als es mir miserabel ging. Du meinst, du würdest sehen, dass ich in ihrer Nähe glücklicher bin? Das bin ich, weil ich momentan einfach generell am Ende bin. Uns beiden ging es in letzter Zeit eklig und das hat die jeweilige Lage etwas gebessert. Hör endlich auf, mir einzureden, dass ich zu Ophelia zurück sollte. Das wird nicht passieren, verstanden? Misch dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen!", er klang nun extrem wütend.
Die Mutter erwiderte etwas auf schnellem Spanisch, was ich leider nicht verstand, dafür waren meine Skills dann doch zu schlecht.
In dem Moment wurde meine Lauschaktion aber sowieso unterbrochen, denn Aurora tauchte hinter mir auf und sah mich stirnrunzelnd an.
Dann wanderte ihr Blick zu ihrer Familie unten und ihr Mund öffnete sich einen Spalt.
„Mama, denkst du nicht, dass das ein schlechtes Gesprächsthema an Heilig Abend ist?", sagte sie dann mit forschem Ton zu ihrer Mutter, was diese dazu bewegte, erschrocken von Pablo wegzutreten. Dieser sah, die Stirn in Falten gelegt, zu mir.
Ohne mir etwas anmerken zu lassen, strich ich meinen Rock glatt und lief mit Aurora die Treppe hinunter.
Pablos Blick scheute ich, der mich derweil die ganze Zeit anstarrte.

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now