Kapitel 35

504 28 34
                                    

Ich wollte das, ich wollte das wirklich.
Aber ich sollte es nicht wollen und gewiss nicht tun. Nicht wegen Ophelia oder Jamal. Sondern weil wir beide nicht dafür bereit waren.
Es hieß immer, Trauer schweiße Personen zusammen. Und in unserem Fall stimmte das. Ich wollte damit nicht sagen, dass wir nur deshalb so gut auskamen oder unter anderen Umständen keine Gefühle entwickelt hätten. Aber wir waren nun mal unter diesen Umständen. Und das machte die Bindung in dem Moment nicht möglich.
„Ich- ich kann das nicht.", murmelte ich leise, während ich einen Schritt zurücktrat.
Pablo räusperte sich und nickte kurz, während er ebenfalls wieder etwas Abstand zwischen uns brachte.
„Bitte verstehe das nicht falsch. Wären die Umstände anders... ich bin momentan einfach nicht bereit dafür."
„Ich habe kein Problem damit zu warten.", er sah mich mit seinen braunen Augen an und ich fühlte mich schrecklich.
Während ich die nächsten Worte sagte, schloss ich einmal kurz meine Augen: „Pablo, ich muss dir was sagen."
Doch statt mich ausreden zu lassen, unterbrach er mich: „Nein, hör du mir erstmal zu. Ich weiß, dass das momentan ein scheiß Zeitpunkt ist und ich verstehe, dass du noch nicht bereit dafür bist, ein paar Wochen nach der Trennung von deinem Ehemann etwas Neues zu beginnen. Und ich kann auch verstehen, wenn du denkst, dass du eines Tages zu ihm zurückkehren wirst. Aber Juli. Jamal hat Scheiße gebaut, so richtige Scheiße. Er hat dich nicht verdient. Ich sehe jeden Tag, wie du wegen ihm leidest und muss mir derweil im Training geben, wie Blondchen und er vor meiner Nase rumflirten. Er hat dich nicht verdient. Ich weiß, dass ich dich besser behandeln kann. Ich hätte dir nie die Schuld für diese Fehlgeburt gegeben, ich hätte dich nie alleine in dieser Situation gelassen. Mir ist es egal, ob ich einen Monat oder ein Jahr warten muss. Ich weiß, dass das zwischen uns möglich ist. Ich weiß, dass ich mir das hier nicht einbilde. Und ich weiß auch, dass du das Gespräch gestern gehört hast. Mir ist dieses Drama egal. Mir ist egal, dass mich Jamal vermutlich zusammenschlagen würde. Du bist es wert, du bist es mir wert. Jamal ist so ein gottverdammter Idiot, dass er dich aufgegeben hat. Ja, die Trennung von Ophelia war und ist hart, aber du hast das alles nicht ganz so dunkel erscheinen lassen. Du bist momentan der Mensch, der mir am nächsten steht. Ich hatte keine Ahnung, dass eine Person in so einer kurzen Zeit an so viel Bedeutung gewinnen kann.", er verstummte und diese Situation, diese Worte brachen mir mein Herz.
Ich fühlte mich wirklich, wirklich fürchterlich.
Er hatte sich gerade so verletzlich gemacht und es war das schlimmste Gefühl, ihm jetzt folgende Worte sagen zu müssen.
Aber ich musste es tun.
„Ich gehe nach München zurück, Pablo. Egal was du eben gesagt hast und wie sehr mir das gerade weh tut, ich kann daran nichts ändern. Ich brauche diesen Ortswechsel, ich brauche das, um mit dieser ganzen Situation klarzukommen. Wenn ich weiterhin hier bleibe, dann... dann werde ich nie davon loskommen. Es tut mir leid.", mir stiegen Tränen in die Augen, Pablo sah aus, als hätte man ihm eine Ohrfeige verpasst.
Nach einigen Sekunden, in denen er seinen Kiefer anspannte, fand er schließlich seine Sprache wieder.
„Wann?"
„So früh wie möglich. Mein Chef will, dass ich noch vor Silvester den Arbeitsvertrag unterzeichne."
Er schluckte, atmete einmal tief ein und nickte dann.
„Dann sollten wir wohl besser zurück, damit wir morgen früh pünktlich zurückfahren können. Du musst schließlich noch packen vor deinem Flug."
„Pablo, ich-", er unterbrach mich.
„Es ist in Ordnung, Juli. Wenn du denkst, dass es das Richtige für dich ist, werde ich nicht die Person sein, die dich davon abhält. Tu, was dir guttut.", dabei drückte er kurz meine Hand und sah mich zuversichtlich an.
Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Er wirkte nicht sauer, trotzig, kalt. Sondern einfach - unterstützend.

Die Nacht, die Verabschiedung von Pablos Familie, die Heimfahrt und die Stunden, in denen ich meine Sachen zusammenpackte, erlebte ich nicht richtig. Sie folg an mir vorbei.
Meine Wattewelt war wieder aufrechterhalten, aber dieses Mal auf eine andere Art.
Es ear nicht der Schmerz, der mich von der Realität wegzog, es war ... Akzeptanz.
Dieses Leben, dieses Märchen war nun vorbei. Es war Zeit, wieder zurückzukehren.
Und deshalb kam ich erst wieder aus meinem Zeitraffer, als mich Pablo in der Flughafenhalle verabschiedete.
„Pass auf dich auf, Juli."
Ich nickte erschöpft, mein Lächeln war müde.
„Wenn du bereit dazu bist, melde dich, okay? Ich will alles darüber hören, wie du dort zurechtkommst und wie es die geht.", er sah mich mit seinen braunen, schönen Augen an.
Ich fühlte hier etwas, was ich schon wirklich lange nicht mehr gespürt hatte.
Unterstützung, Verständnis.
Und es fühlte sich so unglaublich gut an.
Er verstand mich, er unterstützte mich.
Das war kein Jamal, der mich von sich wegstieß, mich für Dinge verantwortlich machte, für die ich nichts konnte.
Und auch wenn ich diese unterstützende Person nun aufgab, das Gefühl konnte man mir nicht nehmen.
„Danke", sagte ich deshalb zu ihm, er runzelte seine Stirn.
„Für was?"
„Dafür, dass du es verstehst."
Er schloss kurz die Augen und verflochtete dann unsere Finger ineinander.
„Ich meinte die Worte, die ich letztens gesagt habe, Juli."
Wir beide sahen uns einfach nur für einige Momente an, bis er die Stille unterbrach: „Na komm"
Dabei zog er mich zu sich ran und schlang seine Arme um meinen Oberkörper. Sanft strich er über meinen Rücken.
„Ich werde dich vermissen."
„Ich dich auch.", meine Stimme war ein einziges Kratzen, ich schniefte.
„Nicht weinen. Das musstest du die letzten Wochen genug.", seine Hand legte sich zuerst beruhigend auf meinen Hinterkopf, ehe er etwas Abstand zwischen uns brachte, um seine Hände an mein Gesicht zu legen.
„Das wird alles. Vielleicht nicht heute, nicht morgen. Aber irgendwann ist das alles okay."
Ich nickte nur erschöpft.
„Wenn du irgendwas brauchst, gib mir Bescheid. Und wenn es um drei Uhr in der Nacht ist, ich gehe ran."
„Wenn du versprichst, das auch bei mir zu tun."
Er nickte nur schmal lächelnd.
„Na los jetzt. Der Flieger wartet nicht.", dann gab er mir einen Kuss auf die Stirn und schob mich anschließend Richtung Sicherheitskontrolle.
Während ich durchgecheckt wurde, spürte ich noch immer seinen Blick in meinem Rücken. Erst als ich den Sicherheitscheck hinter mir hatte, drehte er sich um und ließ mich allein.
Ich atmete ein letztes Mal tief ein, ehe ich den Gang betrat.

Hört auf Gavi in den Kommentaren zu haten!

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now