Kapitel 44

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Erneut ein Monat war verstrichen.
Jamal durfte wieder spielen und ich setzte mich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder ins Stadion. Ich war nur übers Wochenende in Madrid, meinen Wohnsitz hatte ich weiterhin in München. Ich war nicht bereit, einfach wieder zurückzuziehen.
Ich war nicht bereit, einfach mein Leben wieder wie vor der ganzen Sache weiterzuleben, so, als wäre das alles nicht passiert.
Und Jamal auch nicht. Aber seine Therapie tat ihm gut, ich spürte täglich, wie er sich ein winziges Stück weiter öffnete.
Das Spiel lief gut, Real lag 4:0 vorne. Zu verdanken war das vor allem Pablo, der bereits zwei Tore selber geschossen und Jamals Tor vorgelegt hatte. Im Vergleich zu vor ein paar Monaten spielte der Spanier wie ausgewechselt. Endlich war wieder seine Qualität zu sehen, endlich war wieder der Barca-Gavi zu sehen. Mich freute das immens, er verdiente das.
Mein Blick fiel auf den Blondschopf unten bei den Real Mitarbeitern.
Wie sie da stand, mit verschränkten Armen, den Blick starr auf das Spielfeld gerichtet, es erinnerte mich daran, dass Jamal auch ihr wehgetan hatte. Ich verspürte ihr gegenüber kaum Genugtuung, eher Mitleid. Wäre sie es nicht gewesen, wäre es jemand anderes geworden. Das wusste ich und deshalb war mein Harm Anastasia gegenüber auch nicht wirklich groß. Sie war in meinen Augen eher ein Opfer als eine Schuldige.
In dem Moment drehte sie sich um und starrte in meine Richtung. Ihr Blick war unergründlich. Aber etwas in ihm sagte mir, dass dieses Kapitel in Jamals und meinem Leben noch nicht abgeschlossen war. Es war das schlechte Bauchgefühl, was sich in mir ausbreitete. Die Art wie ihre Augen direkt auf meine trafen. Ich schluckte. Dann endlich drehte sie sich wieder um.
Das Bauchgefühl blieb jedoch.

„Also sind die Gerüchte wirklich wahr, was?", ich drehte mich um und sah in Pablos Gesicht, „Du bist wirklich zu ihm zurückgegangen."
Seine Tonlage war ernüchternd, nicht wertend. Sie verwies nicht auf seine Meinung, nicht auf seine Stimmung diesbezüglich. Aber ich konnte sie mir nur allzu gut vorstellen.
„Pablo, es-", er unterbrach mich.
„Wenn du dich jetzt entschuldigen willst, lass es, da gibt es nichts, wofür du dich entschuldigen musst, klar? Ich hoffe nur, dass es dieses Mal besser für dich ausgeht."
Ich schluckte: „Wie geht es dir?"
Der Spanier zuckte mit seinen Schultern: „Spielerisch wieder endlich besser, wie du siehst.", ich lächelte leicht.
„Du warst toll heute.", am Spielstand hatte sich nichts mehr geändert, Pablo hatte den Großteil des Gewinnes zu verschulden.
Er lächelte müde zurück.
„Und privat?"
„Hab mir einen Hund zugelegt. Rafael, ein Australian Shepherd. Er hält mich ganz schön auf Trapp.", wir beide begannen kurz zu grinsen.
Es war einer dieser Momente, in denen mir auffiel, dass auch ich Kollateralschaden hinterlassen hatte. Pablo hatte das nicht verdient gehabt.
„Du musst kein Mitleid mit mir haben, Juli.", ich sah ihn überrascht an, „Ich sehe doch deinen Gesichtsausdruck."
Mit einem Biss auf meine Unterlippe rang ich nach den richtigen Worten: „Wenn ich mir wünschen hätte können, für wen ich Gefühle hätte, dann-"
„Dann wäre das hier nicht die Welt, die sie ist. Gefühle kann man nicht steuern. Und das ist gut so, Juli. Ich hoffe wirklich nur, dass er es dieses Mal besser macht. Er scheint ja sein Leben endlich wieder auf die Kette zu kriegen."
„Das tut er wirklich.", meinte ich leise, er nickte.
„Aber ich sage dir eins: Wenn er wieder Scheiße baut, misch ich mich ein. Und dieses Mal-...", er ballte seine rechte Hand zu einer Faust, ich lächelte.
„Komm her,", meinte er dann und zog mich in eine Umarmung. Ich war so dankbar für diesen Mann. Wenn er damals nicht gewesen wäre - ich hätte nicht gewusst, was ich getan hätte. Er hatte das alles in gewisser Hinsicht aufgefangen. Er hatte mich aufgefangen.
Pablo drückte mir einen Kuss auf meinen Kopf und ließ mich dann wieder los.
In dem Moment kam Jamal, der uns erst etwas unsicher betrachtete. Dann kam er zögerlich her und hielt Pablo die Hand hin, in die dieser schließlich einschlug.
„Du warst brutal heute."
„Hatten heute wohl alle einen Schutzengel auf der Tribüne, was.", er lächelte kurz in meine Richtung, Jamal erwiderte es.
Dann umarmte er mich.
„Ich warte am Auto.", er nickte, ich verabschiedete Pablo mit einer Umarmung.

„Jamal? Das ist nicht der Weg zurück in die Wohnung.", ich sah ihn verwirrt an.
„Ich weiß.", er lächelte etwas.
"Willst du noch essen gehen?"
„Sowas in der Art."
Ich lehnte mich verwundert zurück und sah aus dem Fenster. Na da war ich gespannt...

„Wir sind da.", er lächelte geheimnisvoll und stieg dann aus, um mir die Türe zu öffnen.
Ich trat aus dem Auto heraus und traute meinen Augen kaum.
Er hatte uns zum Parque del Retiro gefahren. In der Ferne stand der beleuchtete Placio de Cristal, keine Menschenseele war weit und breit.
„Jamal, was-"
„Pscht.", er zog mich an der Hand in Richtung Palast.

Dort angekommen zog er mich hinein. Der Kristallpalast war bis auf einen Tisch in der Mitte komplett leer. Lichterketten und Lampions hingen von der Decke und boten Licht. Es war wunderschön.
Ich schluckte und sah auf die Kerzen auf dem runden Tisch. Zwei Gedecke standen darauf, zwei Stühle daneben. Eine weiße Tischdecke verzierte ihn und das Besteck war golden.
„Hast du das alles gemacht?", die Frage war irgendwo dumm, als wären wir in einem Film, aber das alles hier war auch filmreif.
„Naja, selbst dekoriert habe ich nicht.", er grinste etwas schüchtern, „Und auch gekocht eher nicht. Aber ich habe das alles organisiert."
„Es ist wunderschön, Jamal.", ich drehte mich einmal umher.
„Juli?", er sah mich ernst an, ich blickte zu ihm.
„Ich weiß, wir hatten das Gespräch in gewisser Weise schon in deiner Wohnung, aber ich muss das nochmal loswerden: Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe. Und ich bereue es jeden verdammten Tag. Es tut mir leid, dass ich damals weggerannt bin, statt dazubleiben und mich meinen Problemen zu stellen. Es tut mir leid, dass ich dich alleine gelassen habe, als du mich gebraucht hast. Und es tut mir leid, dass ich diese Worte damals gesagt habe. Dieser Tod war nie deine Schuld und das weiß ich. Ich hätte mich niemals für dieses Baby und gegen dich entscheiden können, nie, hörst du?
In den letzten Wochen habe ich gemerkt, dass egal wie einfach die Welt in der Zeit ohne dir vielleicht gewirkt hat, sie nie komplett war. Und es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu realisieren. Es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, nochmal zurück zu gehen und alles anders zu machen. An dem ich das ganze nicht bereue. Und es vergeht auch kein Tag, an dem ich dich nicht vermisse. Ich weiß, dass du nicht bereit dazu bist, wieder zurückzukommen und wieder herzuziehen und das ist in Ordnung. Ich gebe dir die Zeit, die du brauchst. Und wenn es Jahre sind. Aber sei gewiss, dass ich, wann immer du zurückkommen möchtest, hinter dir stehe und mich freuen werde wie ein kleiner Junge."
Ich begann zu lächeln und schloss ihn in meine Arme.
„Ich liebe dich, Jamal."
„Ich liebe dich auch, mehr als alles in der Welt.", murmelte er in meine Haare und ich schloss meine Augen. Endlich wirkte wieder alles okay. Und ich hoffte so sehr, dass es dabei blieb...

Endless love ? - Jamal MusialaDonde viven las historias. Descúbrelo ahora