Kapitel 3: Flüstern der Vergangenheit

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Dunkelheit. Dunkelheit und Stille verschlucken die gesamte Halle. Lediglich ein leises Tropfen, das vermutlich von einer undichten Stelle im Dach kommt, ist zu hören. Die Luft ist feucht und modrig. „Pack die Taschenlampen aus Casey", befiehlt im Alex. Casey zog sich rasch den Rucksack von den Schultern und kramt in der, schon halb durchnässten Tasche herum. Er holt drei Taschenlampen hervor und verteilt sie an seine Freunde. Glücklicherweise war der Regen nicht zu stark, sonst hätten die Taschenlampen beschädigt werden können. „Ich glaube, ich muss mir bald mal einen neuen Rucksack besorgen", scherzte er. Mit einem sanften Klicken schalten sie ihre Taschenlampen ein und beginnen damit in der großen Halle hin und her zu schwenken. In so einer gigantischen Halle waren sie noch nie zuvor gewesen. Die monumentalen Granitsäulen lässt sie klein und unbedeutend wirken. Die Torbögen, die zu den verschiedenen Bereichen führen, sind mit schönen, wenn auch schon beschädigten Verzierungen versehen. Der hölzerne Boden ist teilweise gebrochen und empor wachsen Gräser und Sträucher. Am anderen Ende der Halle befindet sich eine gigantische, steinerne Treppe, die sowohl links als auch rechts nach oben führt. „Wo sollen wir als Erstes hin?", fragt Jordan. „Meines Wissens befinden sich in solchen Anwesen Räume wie Küche, Speisesaal, Bibliothek und was es sonst noch so gibt in den unteren Bereichen. Badezimmer sowie private Gemächer und Arbeitszimmer befinden sich meist oben", erklärt Casey. Die drei Jungs überlegen einen kurzen Moment und entscheiden sich, als Erstes nach oben zu gehen. „Wenn es so ist wie Casey es sagt, sollten wir zuerst nach oben gehen. Dort finden wir wohl am ehesten irgendwelche Hinweise", schlägt Alex vor. „Wenn es überhaupt welche gibt", fügt Casey hinzu.

Die Jungs schreiten langsam aber sich auf die große Treppe am Ende der Halle zu. Der Boden knarzt und quietscht. Sie fühlen das nasse, modrige Holz unter ihren Füßen bei jedem Schritt. Vorsichtig wagen sie sich langsam die Treppe hinauf, die Taschenlampen fest im Anschlag. Oben, am Ende der Treppe hängen drei große, schon verblasste Gemälde. Es sind Portraits. Sie richten ihre Taschenlampen auf die alten Ölgemälde. „Das müssen die Vanhursts sein. Unter den Gemälden stehen Namen auf den Rahmen", bemerkt Alex. Das linke Bild zeigt eine mittelalte Frau mit langen schwarzen Haaren in einem prunkvollen Kleid. Das ist das Portrait von Julia Vanhurst. Sie hat einen zynischen Blick. Fast so, als wäre sie von dem Maler genervt gewesen. In der Mitte hängt das größte der drei Gemälde. James Vanhurst. Er trägt einen, für die damalige Zeit, modischen schwarzen Anzug mit Schnauzbart, schwarzen Haaren und Monokel. Er strahlt selbst über sein altes Gemälde noch Autorität aus. Ganz rechts befindet sich das kleinste Gemälde. Vermutlich ein Mädchen in einem weißen Sommerkleid. Das Gemälde ist leider sehr beschädigt, sodass man das Gesicht nicht erkennen kann. „Das sind auf jeden Fall die Vanhurst", sagt Jordan. „Irgendwie unheimlich. Wer hängt sich denn solche Portraits von sich auf?", meint Casey. „Vermutlich Leute die ihren Status und Selbstliebe nach außen hin in jeder Form zeigen müssen", bemerkt Alex. „Das rechte Bild muss wohl von der Tochter sein. Jedenfalls steht der Name Elisabeth Vanhurst unten auf dem Rahmen. Aber es scheint so, als hätte jemand das Gemälde absichtlich beschädigt. Die Stelle von ihrem Kopf sieht herausgerissen aus", meint Casey. „Vermutlich ein Fall von Vandalismus", fügt Jordan hinzu. Die Jungs lassen von den Gemälden ab und begeben sich weiter in den Ostflügel des oberen Stockwerks. Jeder ihrer Schritte hallt durch das ganze Gebäude. Man würde meinen, dass jeder Schritt lauter ist als der andere. Sie betreten einen langen Gang mit vier geschlossenen Türen. Der Gang ist genau so heruntergekommen wie der Rest des Anwesens. Scheinbar wurde nichts von dem Wandel der Zeit verschont. Sie treten näher an die erste Tür heran und Alex rüttelt am Türknauf. „Mist, sie ist verschlossen", hisste er. „Reg dich nicht auf, hier sind noch genug andere Türen", beruhigt ihn Casey. Wortlos drehen sie sich um und blicken auf die Tür gegenüber. „Dann versuchen wir halt diese Tür", meint Alex. Die Jungs treten abermals näher an die Tür heran und Alex rüttelt wieder am Türknauf. Ein leises Klicken ertönt aus der Tür. „Sie ist offen", sagt Alex erfreut. „Mal schauen, was uns hier drin erwartet." Er öffnet langsam die heulende Tür. Ein kalter Luftzug kommt den Dreien entgegen und Gänsehaut breitet an ihren ganzen Körpern aus. Sie blicken in ein dunkles, feuchtes Zimmer. Tapete wellt sich von den Wänden ab, aber die Fenster sind von diesem Raum sind noch intakt und geschlossen. „Habt ihr das auch gespürt?", zögert Casey. „Spinn jetzt nicht herum!", entgegnet Alex. „Das hier ist ein altes, kaputtes Gebäude. Hier kann schon mal der ein oder andere Luftzug durchziehen." Sie schreiten langsam in das heruntergekommene Zimmer. Alte Spielsachen liegen verteilt auf dem Boden herum, neben der Zimmertür steht eine Kommode, dessen weiße Farbe abblättert. Auf der Kommode liegen umgefallene Porzellanpuppen. Am anderen Ende des Zimmerst steht ein kleines Bett und ein Kleiderschrank, dessen Türen leicht geöffnet sind. Auf dem Bett befinden sich alte, abgenutzte Stofftiere. Sie leuchten den ganzen Raum ab und nehmen jedes Detail wahr. „Das muss wohl das Kinderzimmer von Elisabeth gewesen sein", meint Casey. „Sieht wohl ganz danach aus", sagt Alex. „Sehen wir uns hier mal gut um, vielleicht finden wir hier ja etwas." Casey durchsucht die Kommode, die von den unheimlichen Porzellanpuppen bewacht wird. Die Puppen starren Casey an und er bekommt ein unangenehmes Gefühl. So als würde ihn jemand beobachten. Jordan nimmt sich den Schrank vor, dessen Türen ein wenig geöffnet sind. Vorsichtig nähert er sich dem Schrank und macht ihn mit einer raschen Bewegung auf. Auch nichts, doch auch er hat ein ganz mulmiges Gefühl. Das sind bestimmt nicht mehr nur die alten Brote. Alex nimmt das Bett genauer unter die Lupe. Er beobachtet die Stofftiere, die an der Bettkante sitzen und insbesondere ein schneeweißer Teddybär fällt ihm auf, der ihn mit seinen leblosen Augen anstarrt. Doch auch er findet nichts. Der Raum ist kühl. Kühler als in einem Kühlschrank. Jedenfalls fühlt es sich so an. „Hier ist nichts Jungs", meldet Jordan. „Wir sollten noch weiter in anderen Zimmern schauen." „Ich sag' doch, dass wir hier nichts finden werden", erwidert Casey. Die drei machen sich auf den Weg zur Zimmertür, bereit das Kinderzimmer von Elisabeth zu verlassen, als sie hinter sich ein quitschendes Geräusch hören. Ein Schauder läuft ihnen den Rücken herunter, der sie erstarren lässt. „W-Was war das?", stottert Casey. Vorsichtig und zögernd drehen sich die drei Jungs um. „Puh. Es war nur der Teddybär, der von der Bettkante gefallen ist. Ich muss ihn wohl berührt haben als ich das Bett untersucht habe", erleichtert sich Alex. Er geht auf den Teddybären, zu der mit dem Gesicht nach unten liegt. Als er sich bückt und seine Hand nach dem Bären ausstreckt, entdeckt er etwas unter dem Bett hervorragen, was ihm davor nicht aufgefallen war. „Was ist denn das?" Er schiebt den Teddy beiseite und greift unter das Bett. Es fühlt sich dick und weich an. Leder. Er zieht den Gegenstand hervor. Es ist ein kleines, altes Buch mit Ledereinband und einer Schnur die es zuhält. „Schaut mal her Jungs, ein Buch. Ich könnte schwören, dass das vorhin noch nicht hier lag." „Es sieht aus wie ein Tagebuch", bemerkt Casey. „Du hast recht, das könnte sein. Vorne im Leder sind Initialen eingeritzt. Hmm ...E.V." „Das muss Elisabeths Tagebuch sein!", ruft Jordan vom anderen Ende des Zimmers, der nur darauf wartet, es endlich verlassen zu können. „Wir sollten es lesen. Vielleicht finden wir darin ja etwas Nützliches", schlägt Alex vor. Er öffnet die Schnur, die das alte Buch verschließt und schlägt es vorsichtig auf.

1. April 1917

Heute war ein schöner Tag. Ich habe mit Mr. Teddy im Garten verstecken gespielt. Danach war mein Kleid ganz schmutzig, weswegen Mama wieder einmal sauer auf mich war. Sie hat mich angeschrien und meint, dass sich kleine Mädchen nicht schmutzig machen dürfen und nicht im Dreck spielen sollen. Mama hat mich auf mein Zimmer geschickt und gesagt, dass ich heute kein Abendessen bekomme. Das ist schade, denn ich nehme immer heimlich Reste für Mr. Teddy mit. Er weint immer ganz schrecklich, wenn er nichts zu essen bekommt und dann kann ich nicht schlafen.

„Das ist definitiv das Tagebuch von Elisabeth", meint Alex. „Aber was meint sie damit, dass Mr. Teddy fürchterlich weint, wenn er nichts zu essen bekommt?", fragt Jordan. „Das kann ich dir auch nicht sagen, aber vielleicht finden wir in dem Tagebuch auch ein paar Antworten", entgegnet Alex. Die Jungs schauten sich wieder einmal wortlos an. Plötzlich schlug das Fenster des Kinderzimmers auf. Eine eisige Brise durchflutet den Raum, Donner betäubt die Ohren und ein Blitz hellt den Raum auf. Ganz erschrocken von dem lauten Geräusch drehen sich die drei Freunde um, um zu sehen, was genau passiert war und im ersten Moment trauten sie ihren Augen nicht. Der Teddybär, der heruntergefallen ist und von Alex zur Seite geschoben wurde, sitzt wieder auf dem Bett und starrt sie mit seinen leeren, schwarzen Augen an.

Schatten über DunravenWhere stories live. Discover now