Kapitel 2: Das verlassene Anwesen

31 13 3
                                    

Die Nacht war ruhig, fast schon zu ruhig. Die aufgehende Sonne bricht durch die Wolkendecke und wird sogleich wieder von dichtem Nebel verschluckt. Es ist ein kühler, regnerischer Tag in Dunraven und die Tropfen plätschern leise an das Fenster der Freunde. Alex ist schon auf und blickt aus dem Fenster. Das Fenster von welchem man das Anwesen normalerweise gut sehen kann, das aber aufgrund des Nebels nur eine entfernte, unheimliche Silhouette ist. Er fragt sich, was sich in diesem Gebäude bloß abgespielt haben mag. Warum die Vanhursts so plötzlich gestorben sind und wieso hier in diesem Ort wohl niemand darüber reden möchte. So viel konnte er jedenfalls aus der gestrigen Bemerkung der alten Frau entnehmen. Um jeden Preis möchte er das Geheimnis, von diesem scheinbar gottverlassenem Ort, lüften. Er starrt weiter angestrengt aus dem Fenster, als seine Freunde langsam wach werden.

„Guten Morgen Jungs", sagt er, als er sich zu ihnen umdreht. „Wir haben heute viel vor wie ihr wisst. Lasst uns also nicht zu viel Zeit verlieren. Macht euch fertig und esst etwas bevor wir aufbrechen." Gesagt, getan. Jordan und Casey quälen sich langsam aus dem Bett und müssen erst einmal richtig wach werden. „Was machst du denn da an dem Fenster? Bist du schon lange auf?", wundert sich Casey. „Nicht allzu lange. Ich habe versucht von hier zum Anwesen zu schauen. Ich muss schon sagen, es ist wirklich ein schauriger Ort." „Hast du nicht noch gestern zu uns gesagt wir sollen nicht so viel darüber nachdenken?", fragt in Jordan aus dem Bett taumelnd. „Ja, aber ich konnte meinen Blick einfach nicht abwenden. Die Geheimnisse, die dort lauern und darauf warten gelüftet zu werden ... die machen mich nachdenklich." „Schön, dass wir uns da wohl alle einer Meinung sind", entgegnet Casey. Alex nickt ihm zu und die beiden anderen sind nun gänzlich wach geworden. Sie kramen ihre Kleidung aus dem Koffer. Sie haben sich gestern gar nicht erst die Mühe gemacht ihre Kleidung in den Schrank einzuräumen. Sie ziehen sich ihre Kleidung an und waschen sich zügig im Badezimmer, ganz erstaunt darüber, dass es hier tatsächlich fließendes Wasser gibt. „Lasst uns noch schnell etwas essen und dann brechen wir auf", schlägt Alex vor. Die drei versammeln sich an dem, scheinbar instabilen, wackelnden Tisch, der sich in der Mitte ihres Zimmers befindet. Casey kramt eine Brotzeitbox aus seinem alten Rucksack. Sie haben sich zu Hause für ihr bevorstehendes Abenteuer Proviant vorbereitet. Brote, Äpfel, genügend Wasser. Sie haben genug Vorräte, um ein paar Tage hier bleiben zu können, ohne Angst zu haben zu verhungern oder zu verdursten. Wer weiß, ob sie hier etwas Gutes zu Essen finden würden. Jeder nimmt sich ein Brot und beißt hinein. In Gedanken versunken kauen sie auf dem, wohl doch schon etwas zu altem Brot, herum, bis sich Alex zu Wort meldet. „Was meint ihr, was wir dort finden werden?" „Vielleicht ja Geister, oder Dämonen oder die Überreste der Vanhursts", scherzte Jordan. „Ich glaube nicht, dass wir etwas Interessantes finden werden. Es ist vermutlich einfach nur ein altes, verlassenes Haus wie jedes andere auch", meint Casey. „Ich glaube, dass wir irgendeinen Hinweis finden werden, der erklärt, was mit der Familie passiert ist", sagt Alex schmatzend. „So oder so werden wir das Anwesen heute erkunden." Wieder in Schweigen vertieft, essen sie die letzten Bissen ihrer Brote auf. Casey packt alles wieder in seinen Rucksack ein und prüft ein letztes Mal, ob auch alles nötige drin ist. Proviant, Taschenlampen, Batterien, Verbandszeug. Alles Mögliche ist in seinem Rucksack drin, der die Jungs schon auf vielen Abenteuern begleitet hat. Sie erheben sich von den Stühlen, welche gequält knarren und gehen vor die Tür ihres Zimmers in den Flur. Alex sperrt die Tür ab und verstaut den Schlüssel in der Brusttasche seiner braunen Lederjacke. Sie steigen die Treppe hinab, welche ihr Kommen deutlich genug ankündigt, sodass es jeder in diesem Haus hören kann. Die Rezeption ist leer. „Die alte Dame hat wohl Besseres zu tun", flüstert Jordan. Sie gehen das irgendwie zu lange Foyer entlang zur Eingangstür. „Also Jungs, auf geht die Reise", ermutigt Alex.

Sie öffnen die schwere Eingangstür und treten einer Wand aus Nebel entgegen. Sie treten vor die Tür und sehen sich um. Obwohl es Tag ist, lässt der Nebel das Dorf noch viel unheimlicher wirken, als letzte Nacht bei ihrer Ankunft. Vielleicht ist es auch nur die unangenehme Spannung, die sich in den Bäuchen der Jungs breit macht. Oder vielleicht ist es doch nur das etwas zu alte Brot. Die kühle Luft riecht frisch und der Regen plätschert auf der Straße. Überall bilden sich große und kleine Pfützen auf diesem unebenen Boden aus Pflastersteinen. „Ich glaube wir müssen da lang.", Casey zeigt nach rechts. Der Weg in der Hofeinfahrt ist noch viel schlammiger als letzte Nacht. „Dann mal los", spornt Alex sie an. Die Jungs wandern vorsichtig durch die Straßen des Dorfes. Obwohl hier Menschen leben wirkt es wie ausgestorben. Sie laufen über die unebene Straße, durch Pfützen und gelegentlich Matsch der sich gebildet hat. Keine Menschenseele weit und breit. Schon bald kommen sie an eine Kreuzung mit einem, schon halb verblassten Schild, dessen Aufschrift „Vanhurst Anwesen" lautet und in eine bestimmte Richtung zeigt. „Wir müssen wohl diesen Hügel hier hoch", spricht Casey. Die drei drehen ihre Köpfe nach links und vor ihnen liegt ein schmaler, erdiger Weg, der einen Hügel hinauf durch dichte Bäume führt. Hurtig schreiten sie voran, denn der Regen durchnässt sie mehr und mehr. Die Baumkronen der riesigen Tannen tanzen als der Wind durch sie hindurch heult. Es klingt fast schon so, als wären es die Klagerufe der Verdammten. Immer mehr Unruhe baut sich bei den drei Jungs auf, als sie nun endlich vor der Auffahrt des Anwesens stehen bleiben. Es ist ein riesiges, schauderhaftes Gemäuer. Es ist übersät von Efeu und anderen Pflanzen, Farbe bröckelt ab, Fenster sind teilweise oder komplett beschädigt. Der große, gepflasterte Vorplatz des Anwesens zeigt Risse auf. Man muss kein Experte sein um zu erkennen, dass hier seit einer Ewigkeit kein Mensch mehr war. Der Wind pfeift in den Ohren der Jungs und ein schauderhaftes Gefühl durchdringt ihre ganzen Körper. „Das ist es also", zögert Casey. „Das ist es", erwidert Jordan. Sie blicken auf das Anwesen, während der Regen weiter auf ihre Köpfe fällt. „Also gut, lasst uns hineingehen", schlägt Alex vor. Sie begeben sich langsam zu der riesigen Eingangstür. Sie ist einen Spalt geöffnet und wieder durchdringt die Jungs ein Schauder, den sie noch nie zuvor gespürt haben. Alex drückt langsam gegen die schwere, massive Eichenholztür um sie aufzustoßen. Ein lautes Knarren und Quietschen hallt ihnen entgegen, als die rechte der beiden Türen, nun ganz offen steht. Sie blicken in eine große, finstere Halle aus der ein modriger Geruch entspringt. Abermals blicken die drei sich an, nicken und wagen sich gleichzeitig in dieses düstere Gebäude, unwissend, was sie dort jedoch erwarten wird.

Schatten über DunravenWhere stories live. Discover now