2 | Mate

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Es gab keinen Ausweg

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Es gab keinen Ausweg.

Das war die Erkenntnis, die Cassandra nach drei Tagen intensiver Recherche riesengroß anstarrte. Kein Buch in der Bibliothek ihres Elternhauses hatte auch nur im Entferntesten etwas über andere Welten oder wie man zwischen ihnen reisen konnte beinhaltet. Jenseits der übernatürlichen Kräfte der Werwölfe gab es in dieser Welt keine weitere Magie.

Nie zuvor war ihr aufgefallen, wie grob und nachlässig das world building in »Rosen Wie Wir« war. Sie lebte in einer viktorianisch anmutenden Gesellschaft, in einem Land, das von einem Werwolf-Rudel regiert wurde. Der Alpha Hunter Davenport war Kronprinz, weil sein Vater noch lebte, aber er führte bereits das Rudel an, aus dem sich die hochrangigen Minister rekrutierten. Von Magie keine Spur, aber der Mix aus mittelalterlichen und neumodischen Umständen ließ Cassandra in einem Sog der Unsicherheit zurück.

Es gab keinen Ausweg.

Was auch immer geschehen war, wie auch immer es geschehen war, sie war hier gefangen und musste sich damit arrangieren, jetzt als Margarete Blanc zu leben. Margarete, genannt Peggy, war die jüngste Tochter der Blanc-Familie, deren Mitglieder ebenfalls alle Werwölfe waren. Seit dem frühen Tod ihres Vaters herrschte die Mutter über das Haus, aber als Frau hatte sie wenig zu sagen. Ihre beiden älteren Brüder verbrachten ihre Zeit damit, hübschen Mägden nachzusteigen. Das einst hohe Ansehen der Familie hatte in den letzten Jahren stark gelitten.

Und sie selbst, nein, der Charakter, in dessen Körper Cassandra jetzt steckte, machte die ganze Situation nicht besser. Sie wusste genau, wo in der Geschichte sie gerade war: ganz am Anfang.

Mit einem frustrierten Seufzen ließ sie sich rückwärts auf ihr riesiges Himmelbett fallen und starrte nach oben an die teure Seide, deren Muster einen Nachthimmel imitierte. Ihr Sturz von der Brücke und die Rettung durch Hunter danach waren Ereignisse aus dem ersten Kapitel. Hunter hatte gerade das erste Mal Ebony kennengelernt, die auf der Brücke Blumen an Passanten verkaufte.

Cassandras Herz schlug schneller bei dem Gedanken an dieses erste Kapitel. In der Geschichte sah man es zunächst nur aus der Sicht von Ebony. Wie der hochgewachsene, breitschultrige Hunter mit einer blonden Schönheit am Arm über die Brücke kam. Vom ersten Anblick an war Ebony ihm verfallen. Als sein Blick auf sie fiel, flüsterte er seiner gutaussehenden Begleitung etwas zu, was diese mit einer arroganten Grimasse zur Kenntnis nahm. Und dann stand er vor ihr, mit seiner schlichten Kleidung und seinem wölfischen Grinsen.

Energisch rollte Cassandra sich auf die Seite. Sie hatte keine Zeit zu schwärmen. Denn sie war nicht Ebony, die Auserwählte des Alphas, sondern Peggy, die verhasste Verlobte. Diejenige, die in ihrer Eifersucht nicht ertragen konnte, Hunter auch nur für fünf Minuten mit einer anderen Frau sprechen zu sehen. Also hatte sie so getan, als ob ein Lastenträger sie gestoßen hätte und hatte sich über die Brücke gestürzt, um Hunter dazu zu zwingen, ihr wieder seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken.

Das war das tragische Ende des ersten Kapitels gewesen: Ebony hatte ihrem neuen Schwarm traurig hinterher geschaut, überzeugt, dass nur wahre Liebe ihn dazu verleitet haben konnte, ebenfalls von der Brücke zu springen, um Peggy zu retten. Voller Selbstzweifel und Scham hatte sie das Weite gesucht, bevor sie sehen konnte, was wirklich zwischen Hunter und Peggy geschah.

Cassandra spielte mit einer Locke ihres langen Haares. Im Licht der Nachmittagssonne, das durch die hohen Fenster ihres Schlafzimmers auf sie fiel, schimmerte das blonde Haar beinahe rötlich. Es war voll und glänzend und fiel immer genau so, wie sie es sich gerade wünschte. Alles an Peggys Äußerem war perfekt.

In Gedanken ging sie die nächsten Kapitel der Geschichte durch. Nach dem ersten Treffen auf der Brücke würde eine Woche vergehen, bevor Ebony und Hunter sich beim Sommerfest auf der Wiese wieder treffen würden. Margarete Blanc würde auch da sein und eine Szene machen. Aber jetzt war sie, Cassandra, am Steuer. Vielleicht konnte sie hier schon eine Kurkorrektur vornehmen. Vom ursprünglichen Plot abweichen und den Hass von Hunter abmildern. Je eher sie sich von Hunter trennte, umso größer war die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Ende des Buches überleben würde.

***


»Lord Davenport, es ist mir wie immer eine Ehre, Euch in unserem bescheidenen Heim willkommen zu heißen.«

Cassandra zwang sich, bei den Worten ihrer Buch-Mutter keine Grimasse zu ziehen. Was sie zuvor nur gelesen hatte, drang jetzt mit abstoßender Klarheit an ihr Ohr: der einschmeichelnde Tonfall, der gehässige Biss, die unterschwellige Arroganz. War es ein Wunder, dass Peggy so eine toxische Person geworden war bei so einer Mutter?

»Die Ehre ist wie immer ganz die meine, Lady Blanc.« Hunters Erwiderung klang ebenso schroff und abweisend, wie sie es erwartet hatte.

Er deutete eine Verbeugung an, dann trat er an ihrer Mutter vorbei und direkt vor sie. Gegen ihren Willen errötete Cassandra. In seiner Nähe konnte sie spüren, wie beeindruckend Hunter wirklich war. Bei der Rettung aus dem Fluss war es ihr nicht aufgefallen, weil sie zu schockiert von den Geschehnissen gewesen war, doch jetzt fühlte sie es in jeder Faser ihres Körpers: Ihre innere Wölfin liebte den Alpha, der vor ihr stand.

Sie musste mehrmals blinzeln, um nicht instinktiv die Hand auszustrecken und mit den Fingerspitzen über Hunters Brust zu fahren. Alles in ihr schrie danach, ihn zu berühren. Sie holte tief Luft und schaute langsam zu ihm auf. Er überragte sie um mehr als einen Kopf und war sicher mindestens doppelt so breit wie sie. Auch ohne ihre Wölfin tief in sich hätte Cassandra ihn problemlos als Alpha identifiziert.

Was sie in Hunters Augen sah, schockierte sie. Innerlich hatte sie sich für Hass und Abneigung gewappnet. Den ganzen Tag zuvor hatte sie sich darauf vorbereitet, dass der Protagonist, den sie so liebte, sie verachtete. Hatte sich als Mantra aufgesagt, dass sie es nicht persönlich nehmen sollte, weil er nur Margarete Blanc kannte, nicht Cassandra. Deswegen hatte sie jetzt den Mut, zu ihm hochzuschauen. Doch nichts dergleichen fand sie da.

Stattdessen schien ihr ein Hunger aus seinen Augen entgegen, den sie nur als wild beschreiben konnte. Als wollte er sie verschlingen, mit Haut und Haaren. Als wollte er ihr das flammendrote Kleid vom Leib reißen und sie hier und jetzt in der Eingangshalle nehmen. Sie spürte, wie die Röte von ihren Wangen sich ausbreitete, wie die Hitze selbst ihre Ohren und ihr Dekolletee erfasste.

Wieso hatte sie aus dem Buch nie erfahren, dass Peggy ein potentieller Mate für Hunter war?



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