1 | Isekai

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Hustend und keuchend setzte Cassandra sich auf

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Hustend und keuchend setzte Cassandra sich auf. Ihre Kleidung war tropfnass, ihre Lungen brannten und ihr war unaussprechlich übel. Blinzelt blickte sie nach oben, direkt in das Gesicht eines ihr gänzlich unbekannten Mannes. Sein Blick war düster, als ob er sich nicht freute, sie zu sehen.

Immer noch nach Luft japsend richtete sie sich langsam auf. Wo war sie? Warum war sie nass? Die Sonne stand im Zenit und wärmte ihren durchnässten Körper. Das konnte nicht richtig sein. Es war gerade erst Ende Winter, egal, wie warm die Sonne da schien, mit nasser Kleidung draußen würde sie sofort frieren.

»Du hast echt Nerven.«

Cassandra schaute zu dem fremden Mann, der neben ihr auf dem Boden hockte und sie jetzt mit unverhohlener Abneigung musterte. Sie schluckte. »Was?«

Er rollte mit den Augen. »Dich von der Brücke zu stürzen ist wirklich eine originelle Idee, um Aufmerksamkeit zu bekommen.«

Cassandra runzelte die Stirn. Brücke? Ihr Blick wanderte von ihm Weg hin zu dem Fluss, aus dem er sie gerade anscheinend gerettet hatte. In etwa zwanzig Meter Entfernung führte tatsächlich eine steinerne Brücke über den Fluss, der mit gemächlichem Tempo an ihnen vorbeifloss. Wo war sie? Um sie herum blühten Blumen, das Gras, auf dem sie lag, war frisch und saftig, die Bäume trugen grüne Blätter und diverse Vogelstimmen sangen um die Wette. Wo auch immer sie war, es war definitiv nicht Winter.

»Ich gebe zu, Margarete, ich hätte nicht gedacht, dass du so weit gehen würdest. Aber glaub bloß nicht, dass ich dich nicht durchschaue.«

Irritiert schaute Cassandra sich um, doch außer dem breitschultrigen Mann und ihr war niemand hier am Flussufer. Warum hatte er sie Margarete genannt? Und warum sprach er mit ihr, als wüsste er, wer sie war? Sie hatte ihn jedenfalls noch nie zuvor gesehen. Sie war sich sicher, dass sie sich an einen so unverschämt gutaussehenden Mann erinnern würde. Lange dunkelbraune Haare, die teilweise zu Zöpfen geflochten waren, hellblaue Augen, die sich intensiv von seinen dunklen Haaren und der braungebrannten Haut abhoben, Oberarme, die beinahe sein Shirt zu sprengen drohten. Alles an ihm war anziehend - wenn er sie nur nicht so verächtlich anschauen würde.

»Entschuldigung«, setzte sie an, doch er schnitt ihr sofort das Wort ab.

»Versuch's gar nicht erst, okay? Was auch immer für ein dünnes Gesäusel du dir einfallen lässt, es interessiert mich nicht.« Mit diesen eiskalten Worten erhob er sich und wendete sich zum Gehen.

Wie er so vor ihr stand, bemerkte Cassandra ein seltsames Symbol, das in seine Lederhose eingeritzt zu sein schien. Mehrere Linien waren ineinander verschlungen und umgaben im Zentrum eine Rose. Sie runzelte die Stirn. Warum kam ihr das Symbol so bekannt vor? Gleichzeitig schoss ihr eine andere Frage durch den Kopf: Warum trug dieser Mann eine Lederhose und darüber ein derbes weißes Hemd, das offensichtlich aus reiner Baumwolle bestand? Das war nicht nur ungewöhnlich, sondern auch definitiv zu wenig für diese winterlichen Temperaturen.

Umständlich rappelte sie sich vom Boden auf. Der nasse Stoff klebte förmlich an ihr und schien es darauf angelegt zu haben, ihre Beine zu fesseln. Es war beinahe, als hätte sie einen Rock statt ihrer Jeans an. Entsetzt schaute Cassandra das erste Mal, seit sie aufgewacht war, an sich herab. Sie trug einen Rock - genauer gesagt ein Kleid. Rot und figurbetont und bodenlang, mit Ärmeln, die an ihren Unterarmen trompetenartig auffächerten.

Für mehrere Atemzüge konnte sie nur starren. Was ging hier vor sich? Sie hatte definitiv gerade eben noch Jeans getragen. Sie hatte auf ihrem Bett gelegen und wie jeden Abend nach der Arbeit ihre Lieblingsgeschichte auf Wattpad gelesen. Ein Kleid wie dieses befand sich nicht einmal in ihrem Schrank. Mit drei hektischen Schritten war sie beim Fluss und starrte hinein. Auf der Wasseroberfläche, die hier am Flussufer ruhiger war, konnte sie undeutlich sehr lange, definitiv blonde, nasse Haare ausmachen, die ihr wild im Gesicht und am Rücken klebten.

Sie hatte braune, feine Haare, die nur unter größter Mühe bis zu den Schultern wuchsen.

Panik schlug über Cassandra zusammen wie die Fluten des Flusses, aus dem sie gerade eben anscheinend gerettet worden war. Nach Luft schnappend sank sie auf die Knie. Das hier war nicht ihr Körper. Das hier war nicht ihr Zuhause. Sie musste beide Hände auf dem Boden abstützen, um nicht umzukippen. Die ganze Welt schien sich zu drehen. Die Übelkeit in ihr wallte erneut auf.

»Denk nicht mal dran!« Die hasserfüllte Stimme des Mannes drang wie durch Watte an ihr Ohr. »Wenn du dich jetzt gleich wieder in den Fluss stürzt, rette ich dich bestimmt kein zweites Mal!«

Langsam schaute Cassandra zu ihm hoch. Jetzt, da die Sonne auf sein Gesicht schien und sie einen besseren Blick auf seine ganze Gestalt werfen konnte, traf sie die Erkenntnis mit voller Wucht. Natürlich kannte sie das Zeichen auf seiner Lederhose. Auch wenn sie sein Gesicht noch nie gesehen hatte, wusste sie ganz genau, wer da vor ihr stand.

Vor ihr stand Hunter Davenport. Der Mann, dem tausende Frauenherzen zuflogen. Der Leserinnen auf der ganzen Welt in seinen Bann zog. Der mit seinem Aussehen, das an Jason Momoa erinnerte, und seinem besitzergreifenden Verhalten auch ihre unsterbliche Liebe gewonnen hatte.

Genauso verstand sie jetzt auch, warum dieser Herzensbrecher sie so eiskalt anstarrte, als wäre sie nicht mehr wert als der Dreck unter seinen Schuhen. Sie war Margarete »Peggy« Blanc, die blonde Schönheit mit den blauen Augen, deren unschuldiges Äußeres über ihren jähzornigen, giftigen Charakter hinwegtäuschte.

Ihre Welt schien sich immer noch zu drehen, doch eines war sicher: Dies war kein Traum. Sie wusste zwar nicht, wie sie hier gelandet war, aber sie spürte ihren eigenen Körper ganz deutlich. Die nasse Kleidung, die brennenden Lungen, die schweren Haare, ihr rasendes Herz. Die Worte, die aus dem Mund des Mannes kamen, waren deutlich zu verstehen, ebenso wie sein Gesicht klar zu erkennen war. Nein, nichts an dem, was sie wahrnahm, deutete auf einen Traum hin.

Was die Realität, der sie ins Auge blicken musste, nur umso schlimmer machte.

Sie war in ihrem Lieblingsbuch gelandet, der Wattpad-Geschichte mit dem poetischen Namen »Rosen Wie Wir«. Unter anderen Umständen hätte sie sich über ihren ganz eigenen Isekai-Moment vielleicht freuen können. Doch nicht jetzt, nicht so.

Sie war als Peggy hier, die Gegenspielerin der weiblichen Hauptperson, die am Ende des Buches vom Helden in einer letzten großen Geste seiner Liebe für die Protagonistin umgebracht wurde. Nach Peggys Tod stand jenem Helden nichts mehr im Weg, um als Alpha seines Rudels Ebony als seine Luna zu beanspruchen und glücklich bis ans Ende seiner Tage mit ihr zu leben.

Und der Held war niemand geringeres als Hunter Davenport, der breitschultrige Mann, der sie gerade unwillig aus den Fluten gerettet hatte.



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How To Survive As The Villainess | ONC 2024Where stories live. Discover now