16. Kapitel: Vergiss mich

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Noch nie in ihrem gesamten Leben hatte Amina das Geräusch von Wasser so sehr verabscheut, wie jetzt. Denn just in diesem Moment hatten ihre feinen Elbenohren das Rauschen von Wasser vernommen. Wie eingefroren blieb sie stehen. Die restlichen vier Gefährten der Gemeinschaft des Ringes taten es ihr nach. "Was ist los?", fragte Gimli, Erstaunen stand auf seinem Gesicht. "Wir sind in Hörweite des Flusses, der Mordor von den anderen Ländern abgrenzt.", antwortete Legolas. "Ja.", bestätigte Amina und warf sich ihr schwarzes Haar in den Nacken. "Wir kommen unserem Ziel näher.", murmelte Aragorn. "Das auch.", die junge Elbin zog die Augenbrauen zusammen. "Aber auch Sauron. Und er", sie zog den Ring an seiner Kette nach oben, so dass er ihr nun mit einem leisen Klirren und gut sichtbar gegen das Brustbein fiel "spürt das." "Will er deinen Verstand ergreifen, Ringträgerin?", wollte Boromir wissen. Sie nickte. "Schon, ja. Aber... ich kann ihn in Schach halten." Sicherheitshalber, um die Mienen ihrer Gefährten nicht noch mehr zu verdüstern, ließ sie das 'noch' weg. "Jetzt schaut nicht so, als würden die Nazgûl hinter uns herjagen.", sie blinzelte. "Sauron lässt uns kommen." "Ich glaube, da wären mir die Ringgeister noch lieber.", sagte Legolas dunkel. "Denn dass Sauron uns erwartet, ist nun wirklich kein Umstand, der irgendeine Form der Erleichterung schenkt." "Nein, das nicht.", stimmte Aragorn ihm zu. "Aber wenigstens kein Hexenkönig irgendwo hier, oder?", wollte Gimli wissen. Zur Sicherheit ließ Amina ihren siebten Sinn einmal die Umgebung absuchen. Nichts außer Tiere, die umherhuschten und Gollums entfernter Anwesenheit. "Nein.", beruhigte sie ihn dann. "Nur Tiere und Gollum. Letzterer aber nur weit entfernt." "Also alles wie immer.", murmelte Boromir und strich sich die Haare aus dem Gesicht. "Gehen wir weiter?", fuhr der Sohn des Truchsess von Gondor fort. Aragorn sah Amina fragend an. Diese blinzelte und nickte dann. Warum eigentlich ich?, dachte sie und schüttelte sachte den Kopf, während sich die insgesamt fünf Mitglieder der Gemeinschaft des Ringes wieder auf den Weg machten. Weil ich die Ringträgerin bin? Weil alle mich schonen wollen? Wütend biss sie sich auf die Lippen, so fest, dass es schmerzte. Es war ihr egal. Wir müssen SCHNELLER sein! So geht das nicht! Ihre Atemzüge wurden zittrig vor Zorn. Wo soll das hinführen, wenn wir weiterhin so langsam sind? Im nächsten Moment kam ihr ein anderer Gedanke. Er war revolutionär, aber er erfüllte Amina auch mit Unbehagen: Und wenn ich allein nach Mordor gehe? Dann wären die anderen geschützt vor dem Ring und müssten nicht immer auf mich Rücksicht nehmen. Lautlos seufzte sie, während das Rauschen des Flusses mit jedem Schritt lauter wurde. Sie waren kurz vor Argonath. Aber kann ich das machen? Wir sind die GEMEINSCHAFT des Ringes nicht 'Die Ringträgerin'. Nein. Nein... das kann ich nicht machen. Die junge Elbin hatte sich entschieden und schüttelte den Kopf. Nein. Ich werde nicht allein gehen., beschloss sie. "Schon heftig, oder? Dass wir jetzt bald Mordor-Boden betreten.", sagte Gimli, der nun Seite an Seite mit Amina lief. "Stimmt.", sie nickte. "Wenn du mir vor einem Jahr gesagt hättest, dass ich eines Tages mal nach Mordor komme, hätte ich dich vermutlich ausgelacht. Oder dich gefragt, was dieser schlechte Scherz soll. Aber ernstgenommen hätte ich es nie im Leben." "Ja.", Gimli lachte kurz. "Geht mir auch so. Nehmen wir mal an, mir wäre vor einem Jahr folgendes gesagt worden: 'Nächstes Jahr um diese Zeit läufst du mit zwei Elben in einer Gruppe mit, um den Einen Ring nach Mordor zu bringen. Oh, und du hast keinen Krieg mit den Elben angefangen.' Ich wäre persönlich beleidigt gewesen. Ich und Elben, ha! Tja, und jetzt sieh, was ich tue.", er grinste sie an. "Unglaublich, was?" "In jeder Hinsicht.", stimmte sie ihm zu. "In jeder Hinsicht, Gimli. Aber... ich habe da so ein Gefühl." "Ein Gefühl?", echote der Zwerg und hob die Augenbrauen. "Doch nicht etwa schon wieder dein ominöser, siebter Elbensinn?" "Doch. Genau der.", gab Amina zurück. "Soso.", brummte Gimli. "Ja, was sagt er denn, dein siebter Sinn?" Amina seufzte, ihre grünblauen Augen verfinsterten sich. "Etwas wird passieren, an den Toren der Furth von Argonath. Etwas, dass ich jetzt noch nicht spüren kann. Die Dunkelheit wartet dort auf uns." "Wow. Ist das jetzt eine düstere Prophezeiung?", wollte Gimli wissen, Sorge schwang in seinen Worten mit. "So ungefähr.", erwiderte Amina und rang sich ein Lächeln ab. Gimli stieß sein typisches, brummendes Seufzen aus. "Täusche ich mich", ließ sich da Aragorn vernehmen "oder ist der Himmel gen Osten rot?" "Ich wünschte, du würdest dich täuschen.", antwortete die junge Elbin und richtetete den Blick nach Osten. Der Himmel schimmerte rot-orange. "Das ist der Schatten, den Saurons Auge wirft.", ergänzte Legolas. Der Prinz der Waldelben des Düsterwaldes hatte seine Schritte verlangsamt. "Würde der dunkle Fürst den Einen Ring wieder bekommen, so wäre der gesamte Himmel verdunkelt. Sterne, Sonne und Mond hätten größte Mühe, einige Lichtstrahlen auf den Boden zu senden. Der einzige dauerhafte Schimmer wäre im Osten, wo der Schicksalsberg Feuer speien würde, angestachelt und beeinflusst von Saurons Macht. Saurons Auge wirft einen roten Schatten, doch seine Macht ist dunkler als die finstersten Stellen des Düsterwaldes bei Nacht." "Na, großartig.", knurrte Boromir. "Dann sehen wir zu, dass er den Ring nicht bekommt." "Es wäre das Ende.", antwortete Amina düster. "Das Ende der Freiheit. Das Ende der Elben, das Ende der Zwerge, das Ende der Hobbits, das Ende der Menschen. Es wäre der Beginn der Orks." "Uhaaa.", Gimli schüttelte sich. "Orks, nein danke!" Dieser Aussage konnte Amina nur zustimmen. Nein. Ich kann und werde sie nicht verlassen. Wir sind die Gemeinschaft des Ringes., dachte sie. Aber der Ring, das ist es ja! Es ist gefährlich für sie, weiter in meiner Nähe zu sein! Nicht nur wegen der verführenden Macht des Ringes, sondern vor allem wegen MIR. Wenn... Wenn der Ring die Kontrolle übernimmt... Ich könnte ihnen wehtun. Nicht nur mit Worten. Oh Manwe! Ihr nächster Gedanke ließ sie fast nach Luft schnappen vor Entsetzen, in letzter Sekunde riss sie sich am Riemen. Ich könnte einen von ihnen UMBRINGEN. Amina schluckte schwer, registrierte nur am Rande, dass sie jetzt in die Boote stiegen, die sie zur Furth von Argonath brachten, dorthin, wo der Fluss am schmalsten war, kurz bevor er in einem Wasserfall in die Tiefe stürzte. Um Manwes Willen... Das kann ich nicht riskieren! Aber... Alle haben mir mehrfach zugesichert, dass sie wissen, welches Risiko sie eingegangen sind, als sie zustimmten, mich zu begleiten. Wie so oft, wenn sie nervös oder am Nachdenken oder beides war, begann sie, auf ihrer Unterlippe zu kauen. Wenn doch nur Gandalf noch hier wäre! Dann könnte ich ihn um Rat fragen. Aber so... Wie eine Welle überfiel die Trauer sie aus dem Nichts und Amina verzog das Gesicht vor Schmerz. So bin ich auf mich allein gestellt. Sie musste wieder an das denken, was sie vor schier endlos vergangenen Wochen zu Legolas gesagt hatte: 'Versprich es mir. Versprich mir, dass ich niemals allein sein werde, dass immer mindestens einer von euch an meiner Seite sein wird, egal, wozu der Ring mich noch treibt.' Der Elbenprinz hatte es ihr versprochen. Und doch konnte er sein Versprechen nicht halten, wurde Amina klar. Denn diese Entscheidung muss ich ganz allein treffen. Welche Ironie. Ich muss ALLEINE die Entscheidung treffen, ob ich ALLEINE oder nicht nach Mordor gehe. Fast hätte sie gelacht, aber es wäre kein fröhliches Lachen gewesen, sondern ein bitteres. Ich hasse es! Ich hasse es, dass der Ring existiert, ich hasse es, dass Sauron aus der Leere zurückgekehrt ist, ich hasse es, dass Morgoth ihn verführt hat, ich hasse es, dass Morgoth böse wurde! Erzitternd schlang sie die Arme um ihre eigene Taille und senkte den Kopf. Schweigen lag über der Gemeinschaft des Ringes, alle starrten düster auf das gegenüberliegende Ufer. Denn dieses Ufer gehörte zum Lande Mordor und schon bei dem Anblick musste Amina ihren Hass und ihre Abscheu hinunterschlucken. Wir müssen gemeinsam gehen. Alleine... Alleine kann ich das nicht., dachte sie und stieß lautlos den Atem aus. Neben der brennenden Frage, ob sie nun wirklich die Gemeinschaft des Ringes dazu verdonnern sollte, ihr nach Mordor zu folgen, quälte sie noch etwas anderes. Nämlich die Tatsache, dass sie niemandem die völlige, reine Wahrheit über sich sagen konnte. Kein einziges Mal hatte sie es getan, zu groß war ihre Angst vor der Reaktion. Selbst wenn... Wie sollte sie es sagen, selbst wenn sie es wollen würde? 'Oh, übrigens: Meine Eltern wurden von dem Waldelbenkönig des Düsterwaldes höchstpersönlich verbannt, weil sie ihn verraten haben. Ihr Fehler war, dass sie außerhalb ihres Volkes Freunde hatten und ihnen gegenüber loyal waren.' Also bitte, wie würde das denn klingen? Schrecklich. Unrealistisch. Erfunden. Eigentlich habe ich Thranduil nie gehasst. Aber seit dem Legolas mir von dieser Sache in der Schlacht der fünf Heere erzählt hat... Diese Arroganz, nicht zum Aushalten! Wobei, um genau zu sein, war es kein Hass, den Amina für Thranduil empfand. Es war kein Hass. Nur blanke Verachtung. Und das, fand sie, war eigentlich wesentlich 'schlimmer' für einen König, als Hass. Sollte ich ihm jemals gegenüberstehen, und wenn es in Valinor ist, dann erzähle ich ihm mal ein paar Takte über etwas, das nennt sich Bescheidenheit und Empathie!, beschloss die junge Elbin und war mit sich zufrieden. Gerade, als sie wieder zu der alles entscheidenden Frage 'Gemeinschaft des Ringes oder Ringträgerin?' zurückkehren wollte, trafen die Boote auf Grund und alle sprangen hinaus. Aragorn runzelte die Stirn und sah nach Westen, wo der Himmel sich bereits orange färbte, was aber nicht an Sauron lag, sondern an der einsetzenden Dämmerung. "Heute gehen wir nicht mehr nach Mordor.", entschied der rechtmäßige Thronfolger von Gondor. "Sonst fallen wir dort im Dunklen rum, mh?", fragte Gimli. "Und dann können wir, weil wir nichts sehen und uns nicht auskennen, nur warten, bis der dunkle Fürst sich erbarmt und uns sein Auge als Fackel ausleiht.", fuhr der Zwerg mit Galgenhumor fort und entlockte Amina damit ein kurzes Grinsen, auch die anderen grinsten mehr oder weniger. "Ich bin nicht wild darauf, Saurons Auge als Fackel zu benutzen.", sagte Boromir und schüttelte energisch den Kopf, ehe er sich abwandte. "Ich gehe Holz holen!" Damit verschwand er im Wald. Genau in diesem Moment traf brennende Dunkelheit Aminas siebten Sinn wie Säure auf Holz. Sie schnappte nach Luft und verengte die Augen vor Schmerz. "Was ist das, bei allen Sternen?!", stieß Legolas hervor und der Schmerz in seinem Blick war nicht weniger, wie der, den Amina spürte. Blinzelnd zog sie ihren siebten Sinn kurz hinter ihr Schutzschild zurück, bevor sie ihn ganz, ganz vorsichtig tasten ließ. "Orks.", flüsterte sie kraftlos und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. "Sarumans Orks. Er hat ihnen... irgendwelche, hoch-schwarzmagischen Waffen mitgegeben. Das ist es, was unseren siebten Sinn so schmerzt." Mit zusammengebissenen Zähnen nickte Legolas. "Du hast recht.", er blinzelte einige Male, entspannte sich dann sichtlich und Amina nahm an, dass er seinen siebten Sinn vollkommen in den Schutz seines telepathischen Walls zurückgezogen hatte. "Hoch-schwarzmagisch.", Aragorn musterte sie und Legolas halb fragend, halb besorgt. "Was ist bitte 'hoch-schwarzmagisch'?" "Oh ja. Gute Frage!", Gimli rammte seine Axt in den Boden, stützte sich darauf und sah Amina abwartend an. "Hoch-schwarzmagisch ist zum Beispiel der Ring, wenn er mit Sauron vereint ist.", sagte die junge Elbin. "Oder der Ring alleine. Oder Sauron selbst. Oder die Nazgûl und deren Ringe. Nur das Seltsame ist, dass mein siebter Sinn die Nazgûl 'normal' spüren konnte, ohne das es brannte wie Feuer. Im Gegensatz zu jetzt."
"Als Sauron als Nekromant in Dol Guldur war, war Dol Guldur genauso schwarzmagisch wie die damalige Brutstätte der Orks in der alten Festung von Angmar, Gundabad. Hoch-schwarzmagisch.", ergänzte Legolas. "Hoch-schwarzmagisch sind jene Dinge, in die mehr Schwarzmagie gesteckt wird, als eigentlich nötig, oder eine Stelle, an der mehr schwarzmagische Dinge passieren, als die Umgebung als solche verkraften kann und wenn diese Schwelle dann von der dunklen Magie überschritten wird, ist auch ein Ort hoch-schwarzmagisch." Zur Bestätigung nickte Amina und Gimli zog die Augenbrauen zusammen. "Saruman, Sauron, hoch-schwarzmagische Orte... Was ist das nur für eine Welt?" "Eine grausame.", antwortete Amina, dann erstarrte sie. "Bei Sil'an... Fällt euch etwas auf? Hier fehlt jemand und es sind mehrere tausend Orks im Anmarsch!" "Bei meinem Bart, du hast recht!", rief Gimli. "Wir lassen keinen der unseren im Stich.", sagte Aragorn und zückte sein Schwert. "Gehen wir und suchen Boromir." "Ja.", Amina nickte kurz, dann war sie auch schon auf dem Weg und innerhalb von Sekunden hatte sie den Wald betreten. Kaum, dass sie den Waldrand überschritten hatte, zückte sie sicherheitshalber Cala. Der Ring fiel leise klirrend gegen ihre Rippen, als sie sich von links nach rechts wandte. Absolut lautlos ging sie vorwärts und meinte schon, das dumpfe Stampfen, das gleichmäßige Klirren, der Orks und ihrer Waffen zu hören. Relativ unwahrscheinlich, dessen war sie sich klar. Dennoch nicht unmöglich. Vorsichtig zog sie ihren siebten Sinn wieder hinter ihrem Schutzwall hervor und drohte dem Ring einmal zur Vorsorge mit einer silbrig glitzernden Welle, woraufhin die Dunkelheit, die sich momentan gerade einmal wieder zu dunklen, sich windenden Tentakeln geformt hatte, tatsächlich weit zurückzog. Amina konnte nicht anders, als triumphierend zu lächeln. Es tat gut, zu sehen, dass sie noch im Stande war, sich gegen den Ring zu wehren, obwohl sie inzwischen mehrmals unter seiner und bereits einmal unter Saurons vollkommener Kontrolle gewesen war. Noch ist mein Verstand dafür klar genug. Noch ist meine Seele dafür heil genug. Noch ist mein Wille dafür stark genug., dachte sie. Trotz der Tatsache, dass sie vor jeden ihrer Sätze ein 'noch' hatte setzen müssen, war sie zufrieden. Als ihr siebter Sinn ihr eine bekannte, menschliche Anwesenheit meldete, die nicht Aragorn war, erhellte ihre Miene sich. Sekunden später, als hätte er ihre Erkenntnis gespürt, trat Boromir zu ihr, mit einem Arm voller Holz. "Ringträgerin.", er zog die Augenbrauen in die Höhe. "Was tust du denn hier so... ganz allein?" "Orks kommen. Von Saruman, ausgestattet mit hoch-schwarzmagischen Waffen.", erklärte die junge Elbin. "Ach.", Boromir nickte und legte die Stirn in Falten. "Das ist natürlich nicht schön. Also gut, komm, Ringträgerin. Gehen wir zu den anderen zurück.", er setzte sich in Bewegung und Amina schloss zu ihm auf. "Sag mal, Ringträgerin.", begann der Sohn des Truchsess von Gondor und so langsam fand Amina es unheimlich, dass er sie nur mit 'Ringträgerin' ansprach. Das tat er zwar oft, dennoch war es irgendwie... seltsam. "Würdest du mir den Ring geben?" "Nein.", sagte Amina sofort und schüttelte den Kopf. "Niemals." "Wieso? Weil du ihn für dich willst?", protestierte Boromir und blickte sie an. Da dämmerte Amina, warum der Schatten des Ringes so weit zurückgewichen war. Weil er ein anderes Opfer gefunden hatte. Das Schlimme, stellte Amina fest, war nur, dass sie den Ring nicht würde zu sich locken können. Denn dazu war der Ring bereits zu tief in die Gedanken von Denethors Sohn eingedrungen. "Nein.", wiederholte sie noch einmal und brachte Zentimeter für Zentimeter Abstand zwischen sich und ihn, wohlwissend, dass sie Cala immer noch in der Hand hielt. "Nicht deswegen. Ich würde ihm keinen von euch geben." "Als Sauron da war, wolltest du aber, dass entweder Gimli oder Aragorn den Ring nehmen.", widersprach Boromir und blieb stehen. "Das war etwas anderes. Das war eine Notsituation.", gab die junge Elbin zur Antwort und steckte Cala in seine Schwertscheide zurück. Egal, was Boromir tat. Sie wollte ihm nicht wehtun. "Achso. M-hm. Verstehe.", Boromir verengte die Augen. "Würdest du mir den Ring leihen?" Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte Amina jetzt gelacht. "Nein.", sagte sie noch einmal und schüttelte mit Nachdruck ihren Kopf. Jetzt flackerte eindeutig der Wahnsinn des Ringes in Boromirs Augen auf, der Wahnsinn verzerrte sein Gesicht. "Du wirst ihn mir geben!", fauchte er, ließ das Holz fallen und stürzte nach vorne. Geschmeidig wich Amina ihm aus, doch das heiße Entsetzen grub sich in ihre Kehle. "Gib ihn mir! Er ist mein! Mein Schatz!", rief der Sohn des Truchsess von Gondor. Zitternd wich Amina zurück. "Nein.", ihre Stimme bebte nicht. "Gar nichts werde ich tun. Der Ring ist Sauron!" Die Augen lodernd vom Wahn wollte Boromir sich auf sie stürzen wie ein besinnungsloser Drache auf Gold, doch Amina reichte es. Sie floh und die Tatsache, dass sie eine Elbin war, erlaubte ihr, dies schnell und leise zu tun, so schnell, dass Boromir nach einigen Metern nicht mehr hinterher kam und so leise, dass er sie nicht hörte. Doch selbst, als sie seine Schritte nicht mehr hörte, hielt Amina nicht an. Ich kann sie nicht mit nach Mordor nehmen. Sie alle. Es würde sie wahnsinnig machen. So wie Sauron. So wie... So wie mich., schoss es ihr durch den Kopf. Am Ufer des Flusses, vor den Booten, blieb sie stehen und rang nach Atem. Niemand war hier, die Orks noch entfernt. Die Gelegenheit war perfekt. Amina schluckte. "Ich bin die Ringträgerin.", wisperte sie. "Es ist mein Schicksal, den Einen zu tragen bis zum Ende." Vorsichtig streckte sie ihr Gespür ein letztes Mal nach Boromir aus. Der war inzwischen stehen geblieben, jeder Wahnsinn war aus seinen Gedanken verschwunden, ersetzt worden durch Verwirrung, die sich nun zu blankem Entsetzen wandelte. Ihre feinen Elbenohren hörten ihn sogar, ganz leise, wenn sie den Atem anhielt. "Amina?" Er rang nach Atem. "Amina, bitte! Wo bist du?! Es tut mir leid, hörst du? Amina!" "Mir auch.", flüsterte sie, zog ihren siebten Sinn zurück, der ihr gerade Boromirs Tränen meldete und wischte sich über die Wangen - sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie selbst auch weinte. "Es tut mir wirklich leid. Dass ich euch alle mit dem Schatten des Einen belastet habe.", hauchte sie, dann hob sie das Kinn und atmete langsam aus. Ihr Beschluss stand fest. Ich muss es tun. Für mich. Für die anderen. Für ganz Mittelerde., dachte sie, setzte sich in Bewegung und hielt auf das Boot zu, das ihr am nächsten war.
"Amina?" Es war ein tonloses, verständnisloses Flüstern und Amina fror ein. Sie blieb wie erstarrt stehen, drehte sich nicht um, ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen. "Nein. Versuche nicht, mich vom Gegenteil zu überzeugen.", sagte sie auf Elbisch. "Es ist besser für mich. Für euch. Der Eine würde uns sonst alle in den Wahnsinn treiben, nicht nur mich." "Das kannst du nicht machen. Das ist... Das ist Wahnsinn." "Ha.", seufzte Amina. "Der gleiche Wahnsinn wie der, als ich meinen Wall niederriss? Der gleiche Wahnsinn wie der, als ich in Saurons Gedanken eindrang, um herauszufinden, ob er wieder eine Gestalt oder etwas ähnliches hat? Der gleiche Wahnsinn wie der, als ich mir ein telepathisches Duell des Willens mit ihm geliefert habe? Der gleiche Wahnsinn? Vergiss es. Ich bin die Ringträgerin. Ich bin dem Wahnsinn geweiht."
"Das hast du schon einmal gesagt. Trotzdem, Amina... Tue das nicht. Geh nicht. Nicht allein." Voller Bitterkeit verzog Amina die Lippen. "Doch. Alleine. So alleine, wie es mein Schicksal ist, zu sein. Du wirst dein Versprechen nicht halten können und weißt du was?", sie drehte sich zur Seite und funkelte Legolas, der inzwischen neben ihr stand, herausfordernd an. "Ich will auch gar nicht, dass du es hältst, hörst du? Vergiss es einfach. Das Versprechen. Vergiss das Versprechen." Er schüttelte nur den Kopf. "Das kann ich nicht.", flüsterte er, hob langsam eine Hand und legte sie behutsam an ihre Wange. Reflexartig zuckte sie zurück, ließ ihn dann aber gewähren. "Ich kann es nicht vergessen, Amina. Wenn... Wenn ich unser Versprechen vergessen wollte, müsste ich dich vergessen." Amina atmete ein, mehrere Sekunden lang, dann machte sie einen entschiedenen Schritt von ihm weg. "Dann vergiss mich.", gab sie mit fester, unerschütterlicher Stimme zurück. "Vergiss mich. Es ist besser für uns beide, glaube mir." Damit wandte sie sich von ihm ab. Einen Moment lang waren nur Legolas' Atemzüge zu hören, bevor er leise fragte: "Das willst du doch nicht wirklich, oder?" Aminas Wangen waren nass von Tränen, als sie sich wieder zu ihm umdrehte. Zum letzten Mal, nahm sie sich vor. Zum allerletzten Mal. "Ich will nichts von alledem! Ich will nicht die Ringträgerin sein, ich will den Ring nicht, ich will nicht hier sein, ich will nicht, dass meine Eltern tot sind, ich will nicht, dass Sauron wieder da ist, ich will nicht gehen müssen, ich will nicht nach Mordor, ich will nicht, dass Gandalf tot ist, ich will nicht, dass Saruman böse ist! Aber es ist so und ich kann es nicht ändern! Das einzige, was ich ändern und verhindern kann, ist, dass Sauron wieder an die Macht kommt und das werde ich tun!" Ein seltsam verzweifeltes Lächeln erschien auf Legolas' Gesicht. "Du bist eine ungewöhnliche Elbin.", flüsterte er. "Ja. Exakt.", sie nickte. "Und ich bin die Ringträgerin, so sehr ich es auch hasse. Und ich gehe jetzt. Du kannst mich nicht aufhalten." Wieder schwieg Legolas kurz und diese Sekunden reichten Amina, um im Boot und halb im Wasser zu sein. Ihre Entschlossenheit, wirklich und wahrhaftig zu gehen, schien den Prinzen der Waldelben erstarren zu lassen, denn seine blaugrauen Augen weiteten sich und er blinzelte heftig. "Ich werde dich nicht aufhalten.", stieß er dann hervor. "Aber-", er brach ab. Amina verengte die Augen. "Aber was?", fragte sie schneidend. Seine Augen trafen ihre, als er den Blick hob. "Ich werde dich nicht aufhalten.", wiederholte er. "Nur... Lass mich mitkommen." Abrupt spannte die junge Elbin sich an. "Wie bitte?", fragte sie. Der Prinz des Düsterwaldes nickte. "Du hast mich gehört. Lass mich mitkommen, Amina. Bitte." Zur Antwort schüttelte Amina den Kopf, aber es war eher aus Irritation. "Warum solltest du freiwillig nach Mordor gehen? Das ist Wahnsinn." "Ich habe", er atmete tief ein, da war ein leises Zittern in seiner Stimme "dir ein Versprechen gegeben. Ich gedenke, mich daran zu halten und es zu erfüllen.", flehentlich sah er sie an. "Amina! Bitte!" Zögernd senkte Amina den Kopf. Sie ließ ihren siebten Sinn tasten und der meldete ihr, dass Aragorn und Gimli Boromir gefunden hatten. Der Sohn des Truchsess von Gondor war immer noch verzweifelt und erzählte gerade Aragorn und Gimli, was vorgefallen war, so berichtete Aminas siebter Sinn. Bald würden die drei hier sein. "Warum?", fragte sie und blickte Legolas an. "Warum solltest du mit mir nach Mordor gehen wollen? Freiwillig?" Er schwieg kurz, seine Lippen teilten sich, dann antwortete er leise: "Weil ich dir überall hin folgen würde." Misstrauisch zog die junge Elbin die Augenbrauen zusammen. "Egal, wozu der Ring mich treibt?" "Ich habe es dir versprochen, Amina! Vertrau mir!", jetzt lag die Verzweiflung unüberhörbar in Legolas' Worten. Vertrauen. Amina zuckte zusammen. Wie sollte sie ihm vertrauen, ausgerechnet Thranduils Sohn? Aber er ist nicht wie sein Vater. Nicht einmal ansatzweise. Sonst wäre er gar nicht erst mitgekommen., dachte sie und schluckte. Dann senkte sie den Kopf. "Also gut.", wisperte sie. "Dann komm mit."
Drei Minuten später waren sie auf der anderen Seite des Flusses. "Das", sagte Amina und begutachtete das Ufer aus schwarzem Gestein skeptisch "ist das erste Mal, dass ich Mordor-Boden betrete." "Ja. Bei mir auch.", antwortete der Prinz der Waldelben, sprang an Land und hielt ihr die Hand hin. Einen winzigen Augenblick lang zögerte Amina. Doch dann ergriff sie seine Hand und er zog sie zu sich auf festen Boden. Ohne sich loszulassen machten sie sich auf den Weg, hinein in das schwarze Land. Auf zum Schicksalsberg.

Die Ringträgerin -Die Macht des Einen- || Herr der Ringe FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt