1. Kapitel: In Bruchtal

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Amina hielt nicht an. Farnir wurde nicht langsamer, nicht wirklich. Er trabte höchstens. Um zu schlafen, lehnte sich die junge Elbin einfach auf den Hals des Palominos. Besonders erholsam war ihr Schlaf natürlich nicht und lang erstrecht nicht. Um genau zu sein, hatte sie diese Nacht höchstens 15 Minuten geschlafen. Egal. Der Ring fiel schimmernd an ihre Brust, Farnir atmete in harten Stößen, weil er gerade den nächsten Hügel hatte hinaufgaloppieren müssen. Das Elben-Pferd hatte natürlich begriffen, wie ernst die Lage war, darum erlaubte er sich genauso wenig eine Pause wie Amina sich selbst. Immerzu lag die linke Hand der jungen Elbin, ihre Schwerthand, am Griff ihrer Waffe. Sie war bereit, es zu ziehen und zu kämpfen. Gegen jeden, der sie aufhalten wollte. Sie hatte keine Zeit für Diskussionen oder sonstige Konversationen. Farnir und sie hielten sich im Schatten des Waldes, der hier an die offene Landschaft grenzte. Durch die Tatsache, dass Amina eine Elbin war, erkannte sie die Gestalten in der Ferne natürlich, bevor diese sie sahen. Menschen. Bewaffnet. Vermutlich irgendwelchen Gesetzlosen. Auch das noch! Zischend atmete Amina aus und sagte auf Elbisch zu Farnir: "Langsamer." Der Hengst schnaufte und fiel in einen raschen Trab. Er keuchte, aber Amina wusste, er sehnte sich danach, weiter zu galoppieren. Denn auch er spürte die Bösartigkeit des Ringes. Der Ring. Die Menschen durften ihn nicht sehen! Die Geister der meisten waren schwach, schon ein kurzer Blick hätte vermutlich fatale Folgen. Hastig löste Amina den Ring samt Kette von ihrem Hals und ließ ihn in einer ihrer zahlreichen Umhangtaschen verschwinden. Dann ritt sie weiter. Den Menschen vor ihr auszuweichen war aussichtslos. Die Landschaft war offen und die Menschen hätten sie gesehen. Und Amina zweifelte nicht daran, dass sie mit einem Bogen oder einer Armbrust auf sie schießen würden. Vielleicht nicht so zielsicher wie ein Elb, aber doch tödlich. "Langsamer.", murmelte sie ihrem Hengst zu, wieder in der Sprache ihre Volkes. Farnir schnaufte erneut und verfiel folgsam in den Schritt. Es waren drei Menschen, die nun vor ihr standen. Sie sahen schlimmer aus als alle Waldläufer oder Heimatlose, die Amina bisher getroffen hatte. "Brrr. Warum versperrt man mir den Weg?", fragte die junge Elbin in der Gemeinsprache. "Wohin des Weges, Schöne?", knurrte der Mann in der Mitte. "Warum sollte ich das sagen? Ich bin in wichtiger Mission unterwegs.", erwiderte sie kühl. Die drei lachten. "Zu einem Ball?", wollte der Mann ganz links wissen. "Sehe ich so aus?", antwortete Amina herablassend. Der Mann musterte sie. Die dunkelblauen, engen Hosen, das weiße Oberteil, darüber den schwarzen Mantel. "Nein.", sagte er dann. "Spart Euch Eure Fragen und lasst mich durch.", verlangte Amina. "Wir wollen aber nicht.", widersprach der Mann ganz rechts. Zornig presste Amina ihre vollen Lippen zusammen. "Doch, wollt ihr.", gab sie kalt zurück. Ihr war klar, dass sie diesen Menschen als Elbin überlegen war. In der Regel machte sie sich daraus nichts, aber in Momenten wie diesen war sie sehr versucht, sie das spüren zu lassen. Die drei trugen keine Rüstungen und Amina sinnierte darüber, wie leicht es doch wäre, ihnen ihr Schwert zwischen die Rippen zu rammen. Und die silbern schimmernde Klinge ihres edelen, schlanken Elbenschwertes mit Blut zu beflecken. Das war natürlich schon geschehen. Aber eigentlich hatte Amina heute nicht vor, Blut zu vergießen. Dennoch... Mit einer einzigen Bewegung zog sie ihr Schwert. "Lasst mich durch! Sofort!", fauchte sie. Einer der drei pfiff - der in der Mitte. "Du machst mich ja richtig an, Süße. Das-" Weiter kam er nicht. Ohne von Farnir abzusteigen, hatte Amina ihm die Klinge ihres Schwertes an die Kehle gepresst. So fest, dass es blutete, aber nicht fest genug, um für einen tödlichen Blutverlust zu sorgen. "Lasst. Mich. Sofort. Durch.", wiederholte sie. Mit einem gekünstelten Lachen wich der Mann zurück. "Is' ja schon gut, Schöne. Reg dich ab.", er bedeutete seinen zwei Gefährten, zur Seite zu gehen. "Bitte. Geh." Nicht ohne alle drei mit einem hasserfüllten Blick zu bedenken, trieb Amina Farnir sofort wieder in den Galopp. Als sie ihr Schwert wieder weggesteckt hatte und sich sicher war, wieder im Gleichgewicht zu sein, holte sie den Ring an seiner Kette hervor und legte ihn sich wieder um. Sie keuchte, presste eine Hand an ihre Brust - auf den Ring - und flüsterte auf Elbisch: "Schneller, Farnir. Schneller. Bitte." Der Hengst schnaubte und beschleunigte noch einmal. Schaum tropfte von seinem Maul, aber er weigerte sich, der Bitte seiner Herrin nicht zu gehorchen. Er spürte die Verführung des Ringes, die Finsternis, die Grausamkeit, die von diesem Objekt ausging. Nach einem Moment ließ Amina den Ring wieder los, krallte nun beide Hände wieder in Farnirs Mähne und beugte sich tief über seinen Hals. Noch ein Tag, dann hatte sie es geschafft. Dann war sie in Bruchtal.

Die Ringträgerin -Die Macht des Einen- || Herr der Ringe FFWhere stories live. Discover now