4. Kapitel: Eine ungewöhnliche Elbin

51 4 25
                                    

Amina hatte gewusst, dass es so kommen würde. Sie wusste es, als das leise Klirren gepaart mit Stampfen an ihre feinen Elbenohren drang.
Orks.
Ziemlich nah.
"Ich weiß ja nicht, ob ihr das hört. Aber uns folgen Orks. Ich weiß nicht, wie lange. Aber sie sind schnell.", sagte sie. "Sie folgen uns schon seit einer Weile.", erwiderte Gandalf und blieb stehen. "Ich hab noch so ein wütendes Kribbeln in mir wegen Saruman.", knurrte Gimli und schulterte seine Axt. "Mir wäre danach, meine Nerven mit ein paar Orks abzureagieren." "Guter Vorschlag.", antwortete Amina kalt, zückte Cala und warf sich die schwarzen, welligen Haare aus dem Gesicht. "Wir können vor ihnen nicht davonlaufen. Orks von vorne und von hinten wären sehr unschön.", sprach Gandalf weiter. "Darum?", Boromir klang so angespannt wie die Sehne von Legolas' Bogen, auf die der Prinz der Waldelben gerade einen Pfeil spannte. "Darum kämpfen wir.", sagte Gandalf. "Gut.", zustimmend senkte Aragorn den Kopf und zog sein Schwert. Die Orks kamen schnell näher und Amina hörte, dass es einige waren. Mehr als die vier, die sie bekämpft hatte. Aber weniger, als damals. Damals vor 30 Jahren, als... Sie schüttelte den Gedanken ab. Die Vergangenheit konnte sie nicht ändern und obwohl die Trauer ihr die Kehle zuschnürte, richtete sie den Blick dorthin, woher die Orks jeden Moment kommen würden und hob dann das Kinn. "Kommt nur.", zischte sie auf Elbisch. "Ja, kommt nur." Der Hass, der in ihrer Stimme mitschwang, brachte ihr erstaunte Blicke ihrer Gefährten ein - auch von Boromir - obwohl nur Legolas und Aragorn ihre Worte verstanden hatten. Die Erfüllung von Aminas Herausforderung ließ nicht lange auf sich warten. Grunzend und brüllend brach eine Orkgruppe von mittlerer Größe aus dem Wald. Sofort warf Amina sich nach vorne, rammt Cala dem einen Ork in die Rippen, vollführte eine Drehung um 200 Grad und zog die scharfe Klinge dem nächsten über den Hals. Zugleich riss sie einen Dolch hervor und warf ihn einem dritten ins Auge. Blut spritzte, als ein Ork schräg hinter ihr kopflos zu Boden fiel. Blitzartig wandte Amina sich um und schenkte Aragorn ein dankendes Nicken. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den vierten Ork, schlug ihm ein Bein ab und stieß ihm eines ihrer Messer in den Bauch. Einen kurzen Moment lang rückte keiner nach und Amina erlaubte sich einen Rundumblick. Aragorn schickte gerade einen Ork ins Jenseits und Sekunden später den nächsten, Gimli hieb mit seiner Axt zwei Orks, die dicht beieinander standen, die Köpfe ab, Boromir schlug einem Ork vor ihm den Griff seines Schwertes ins Genick, das verdächtig knackte, Gandalf erschlug drei Orks vor sich, oder was auch immer er da tat und Legolas durchbohrte zwei Orks mit einem Pfeil zugleich. Zufrieden wandte Amina sich dem Ork zu, der nun vor ihr auftauchte. Sie drehte eine Pirouette, ging fast nahtlos in ein Salto über, landete auf seinen Schultern und spaltete ihm mit Calas scharfer Klinge den Schädel. Noch bevor der Körper unter ihr zusammensackte, sprang sie hinab, knockte zwei Orks aus und rammte ihnen jeweils ein Messer ins Herz.
Es kamen keine mehr. Langsam richtete Amina sich auf und strich sich die dunklen Haare aus den Augen. Alle Orks waren tot. Die anderen Gefährten warfen ebenfalls Blicke um sich herum. Amina sah an sich hinab. Calas Klinge war schwarz von Orkblut, sie drehte sich um und begann, ihre Messer und Dolche einzusammeln. Anschließend säuberte die junge Elbin ihre Waffen in einem Flecken Moos und steckte die Dolche und Messer wieder an ihren Gürtel und Cala in seine Scheide. Erst dann kehrte sie zu den anderen zurück, die gerade mit dem selbigen fertig geworden waren. "Keine Verletzten?", fragte Amina. Alle schüttelten die Köpfe. "Ist der Ring noch da, Ringträgerin? Deine Elbenmanöver haben mich zuweilen besorgt.", sagte Boromir, seine dunklen Augen blitzten. Amina erwiderte seinen Blick gelassen, zupfte an der Kette und förderte den Ring zutage. "Das ist eine Kette, die von Elbenhand geformt wurde. Sie ist um ein Vielfaches stabiler, als sie aussieht, Boromir, Sohn des Truchsess von Gondor.", gab sie ruhig zurück. Darauf neigte der Angesprochene leicht den Kopf. Es war ein kurzes Nicken, ein Anerkennen ihrer Autorität - zumindest vorerst. "Was schätzt du, wie viele Orks waren das?", brummte Gimli, an Gandalf gewandt. Der Zauberer sah ihn an. "Eine kleine Horde. Vielleicht 17 oder 19.", antwortete er. "Hm. In Moria sind wohl noch mehr, oder?", fragte Aragorn, der die Klinge seines Schwertes begutachtete und es dann wegsteckte. "Viel mehr.", erwiderte Gandalf. "Viel mehr, Aragorn. Aber es ist beschlossen, durch die Minen von Moria zu gehen." "Wenn wir erst dort sind", begann Gimli wieder "werdet ihr schon sehen. Mein Vetter-" Er brach ab als Legolas ihn ansah, mit einem Blick schärfer als Dolche. Mit einem ebenso tödlichen Blick zurück wandte Gimli sich zu Gandalf um. "Also, gehen wir weiter?", knurrte er. "Tun wir.", bestätigte der Zauberer und die Gefährten formierten sich wieder wie gewohnt, um ihren Weg fortzusetzen. Amina ließ ihre Augen durch den Wald wandern, ihre Ohren auf jedes Rascheln lauschen, ihre Gedanken nach denen der Tiere greifen. Sie war nach wie vor in höchster Alarmbereitschaft und erschrak sich fast zu Tode, als plötzlich Aragorn neben ihr auftauchte. "Wenn du mir eine Feststellung erlaubst.", sagte er. "Bitte, sprich.", gab Amina ihm die Erlaubnis, beendete ihre optische Sondierung und wandte dem Thronfolger von Gondor den Kopf zu.
"Du bist eine ungewöhnliche Elbin."
"Tatsächlich?", hakte sie nach und hob eine Augenbraue. "Wieso?" "Du hast keinen Bogen. Jeder Elb oder jede Elbin, die ich bisher traf, hatte einen Bogen. Du nicht.", erklärte Aragorn. Zur Antwort zuckte Amina die Schultern. "Ich bin lieber mit Klingen unterwegs." "Das ist vollkommen in Ordnung. Nur ungewöhnlich.", stellte Aragorn fest. "Außerdem... Ich kenne viele Elben. Aber dich habe ich noch nie gesehen." "Gut möglich.", antwortete Amina bereitwillig. "Ich habe keinen König, dem ich unterstellt bin, ich diene keinem Reich. Ich bin meine eigene Herrin." "Das ist frei, in jeder Hinsicht.", gab Aragorn zurück. "Aber mal wieder ungewöhnlich?", fragte Amina belustigt. "Das wohl.", entgegnete der Thronfolger von Gondor. Amina lächelte. "Du hast schon recht. Ich bin eine ungewöhnliche Elbin. Vielleicht kam deswegen", sie unterbrach sich einen Moment und wechselte für ihre letzten Worte in die Elbensprache "der Ring ausgerechnet zu mir." "Wobei er das ja nicht geplant hat.", erwiderte Aragorn, ebenfalls in der Sprache der Elben. "Auch wieder wahr.", stimmte Amina ihm zu. Aragorn nickte und wandte dann den Kopf. Im Anschluss tat er einen Schritt zur Seite und machte so Platz für Legolas, der gerade zu Amina aufschloss. Sie erwiderte den Blick des Elbenprinzen wachsam und sagte, jetzt wieder in der Gemeinsprache: "Willst du mir jetzt auch sagen, dass ich eine ungewöhnliche Elbin bin? Ich nehme es in jeder Hinsicht als Kompliment." "Aragorn hat das ja schon gesagt. Ich muss seine Worte nicht wiederholen.", erwiderte Thranduils Sohn. "Du hast dich gut geschlagen, vorhin." "Ha.", seufzte Amina. "Dafür, dass ich keinen Bogen habe? Danke." "Elben ohne Bogen sind in der Tat ungewöhnlich.", gab Legolas zu und Amina schnaubte. "Aber da ich ja rundum ungewöhnlich bin, ist es nicht weiter verwunderlich, schon klar. Ich kann mit Pfeil und Bogen umgehen, so ist es nicht. Aber ich bevorzuge nun einmal Klingen." Fast hätte sie gesagt 'Genau, wie meine Eltern', verbiss es sich aber im letzten Moment. Auf ihre Aussage hin nickte Legolas nur und Amina kam nicht umhin, zu denken, dass er eigentlich auf etwas ganz bestimmtes hinauswollte. "Auf was willst du hinaus?", fragte sie. Er blinzelte. "Wie kommst du darauf, dass ich auf etwas hinaus will?" "Schon vergessen, dass wir Elben den siebten Sinn haben?", erinnerte Amina ihn sanft und warf sich ihre schwarze Haare in den Nacken. Legolas schwieg einen Moment lang, bevor er nach hakte: "Hast du etwas gegen mich?" "Gegen dich?", wiederholte Amina und wäre fast stehen geblieben vor Irritation. "Wieso das, Prinz der Waldelben?" "Das sagt mir meine Intuition.", erwiderte der Prinz der Waldelben. "Ich habe nichts gegen dich.", antwortete Amina. "Warum sollte ich? Weil du ein Elbenprinz bist? Weil du Thranduils Sohn bist? Weil ich es seltsam finde, dass Thranduil seinen Sohn auf eine lebensgefährliche Unternehmung schickt? Weil ich denken könnte, dass du arrogant bist? Weil du jede Gelegenheit nutzt, um dich mit Gimli zu streiten?" "Da hast du doch deine Gründe.", entgegnete Legolas und hob die Augenbrauen. Sachte schüttelte Amina den Kopf. "Nein, Legolas, Thranduils Sohn, Prinz der Waldelben. Ich habe nichts gegen dich. Ich habe gegen niemanden auf dieser Welt etwas, außer gegen Sauron, Saruman und Orks." "Immerhin. Das sind ja schon ein paar.", gab Legolas zurück. "Wenn ich gar niemanden hassen würde, wäre das naiv. Neutralität ist nur bis zu einem gewissen Punkt gut. Aber in Zeiten wie diesen müssen wir alle uns auf eine Seite schlagen. Entweder die eine oder die andere. Ein dazwischen gibt es nicht mehr.", sagte Amina ruhig. "Weise Worte, Amina, Ringträgerin.", stellte der Elbenprinz fest. "Wahrhaft weise Worte." Amina lächelte. "Unterschätze nicht meine Erfahrung nur aufgrund meiner Jugend." "Ich werde mich hüten, es zu tun, Ringträgerin.", murmelte Legolas und sah sie dann wieder an. "Warum hast du kein Reich, in dem du wohnst?" Amina zögerte. Das hier vor ihr war Thranduils Sohn. Wenn er wüsste... Nein. Sie konnte ihm die ganze Wahrheit nicht sagen. Also entschied sie sich für die Hälfte. "Ich habe es nie anders gekannt.", erwiderte sie darum schulterzuckend und das war nicht einmal gelogen. Denn natürlich hatten ihre Eltern ihr vom Leben im Königreich des Waldelbenkönigs erzählt, aber Amina hatte schon immer gewusst, dass es auch ohne irgendwelche Herrscher ging. "Ich bin ein Freigeist. Ich mache gerne was ich will und wann ich will. Ich bin meine eigene Königin.", fuhr sie fort. "Interessanter Gedanke. Und, wie ist es so? Alleine?", fragte Legolas und legte den Kopf schräg. "Gut. Ich kann mich keineswegs beschweren.", antwortete Amina. "Farnir und ich mögen lange Galoppstrecken ohne Ziel. Einfach nur reiten."
"Farnir?"
"Mein Pferd. Er wartet in Bruchtal auf meine Rückkehr.", erklärte die junge Elbin. "Also ein Elben-Pferd.", stellte der Prinz der Waldelben fest. "Ja, ein Elben-Pferd.", bestätigte Amina und seufzte. "Mein bester Freund. Und das einzige Wesen, mit dem ich regelmäßig Kontakt habe. Bevor das hier", sie deutete auf die Kette, an der der Ring hing "passierte, war ich zwar hin und wieder in Bruchtal, habe hin und wieder Gandalf getroffen, aber... Nicht einmal pro Monat sondern... unregelmäßig. Mal hier ein 'Ach, Amina, schön, dass du uns wieder einmal besuchst!' oder 'Ah, Gandalf. Wie wunderbar, dich wiederzusehen!'. Aber regelmäßig? Nein." Wieder schüttelte Amina sachte den Kopf. "So.", sie sah Legolas an. "Ich sehe deinen Blick 'Bei den Sternen, wie hält sie das nur aus?'. Ich bin so erzogen worden. Heute hier, morgen da. Ohne Stabilität. Ja, jetzt kannst du gerne das gleiche feststellen, wie Aragorn und Gandalf und Elrond vor dir: 'Du bist eine ungewöhnliche Elbin.' Bin ich.", sie neigte leise lächelnd das Kinn. "Das bin ich und stolz darauf." "Das merkt man auch. Vielleicht hast du es deswegen geschafft, den Ring zu 'finden'.", sagte der Waldelbenprinz. "Gut möglich. Wer weiß. In jedem Fall hatte er es nicht geplant.", antwortete Amina. Einen Moment lang schwieg Legolas. "Spürst du schon was?", wollte er dann wissen. "Spüren? Ich spüre den Ring immer.", Amina wechselte für ihre Erwiderung in die Sprache der Elben zurück. "Wie einen Schatten am Rande meines Bewusstseins, wie einen bösen Blick in meinem Rücken. wie ein dunkles Flüstern in meinen Gedanken. Noch kann ich mich ihm, solange keine Nazgûl in der Nähe sind, gut widersetzen." "Noch?", nun schwang ein Hauch Besorgnis in Legolas' Worten mit. Die junge Elbin schnaufte und strich sich eine schwarze, gewellte Strähne hinters Ohr. "Es wird weniger werden. Der Ring greift die Seele von jedem an, der ihn sieht, von jenen, die ihn tragen ganz besonders - außer Sauron, natürlich. Das perfekte Beispiel für die Wirkung des Ringes auf jenen, der ihn hat, ist Gollum. Sieh ihn dir an. Alles, was er ist, ist allein und einzig allein auf den Ring ausgerichtet."
"Könnte das... mit dir auch passieren?", jetzt klang der Waldelbenprinz wirklich beunruhigt. Amina lachte. "Die Macht des Ringes wächst mit der seines Herren. Wenn ich ihn zu lange habe - wenn wir Mordor zu spät erreichen, dann könnte es in der Tat so sein, dass ich ihn einfach nicht mehr in die Schlucht des Schicksalsberges werfen will oder kann, selbst wenn ich es irgendwo in mir doch noch wollte. Ich weiß es nicht. Was ich weiß, ist, dass der Ring die Seele zerstört." "Warum hast du dich freiwillig gemeldet, den Ring zu nehmen?", fragte Legolas. "Ich tat es nicht, weil ich mich für so überlegen halte. Aber wenn ich es nicht getan hätte, so würden wir vermutlich immer noch in Bruchtal stehen und darüber streiten, was denn jetzt genau mit dem Ring passieren soll und wer ihn nimmt. Ich tat es für Mittelerde.", antwortete Amina.
"Das ist außerordentlich nobel von dir."
"Ich bin eine Elbin. Nichts anderes ist von mir zu erwarten, außer die nobelste der nobelsten Taten. Ich fand den Ring, ich spürte ihn, noch während er unschuldig glitzernd in Bruchtal in der Sonne lag. Ich musste ihn nehmen. Es ist mein Schicksal, die Ringträgerin zu sein. Vielleicht wird es mich vollkommen brechen, vielleicht nicht. Aber solange die Möglichkeit besteht, Sauron aufzuhalten, werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um zu verhindern, dass der dunkle Fürst wieder seine Schatten über Mittelerde ausbreitet." Schweigend schüttelte Legolas den Kopf. "Du bist gewandt mit Worten, Amina.", murmelte er dann. "Danke. Worte sind unsere größte Waffe, in jeglicher Hinsicht - egal ob lautsprachlich oder telepathisch.", gab Amina leise zurück. "Telepathisch. Du kannst Telepathie?", hakte Thranduils Sohn nach. "Ja. Jeder unseres Volkes kann es, wenn es denn ausgebildet wird. Aber das weißt du natürlich.", erwiderte sie gelassen. "Stimmt, weiß ich. Aber... ehrlich gesagt, verzeih meine Anmaßung, hätte ich nicht geglaubt, dass du als... Dass du diese Ausbildung hast.", gab Legolas, nach kurzem Zögern, zu. "Jetzt weißt du es besser.", entgegnete Amina ruhig.

Die Ringträgerin -Die Macht des Einen- || Herr der Ringe FFWhere stories live. Discover now