2. Kapitel: Die Gemeinschaft des Ringes

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Am nächsten Tag herrschte reges Treiben auf dem Versammlungsplatz. Von jedem der großen Völkern aus Mittelerde war jemand gekommen. Die Zwerge wurden vertreten, ebenso die Menschen, die Elben, die Hobbits. Amina saß am Rand und hatte die Finger ineinander verflochten. Sie war nervös. Gleich würde Elrond die anderen (außer Gandalf und Aragorn, die beide schon Bescheid wussten), darüber in Kenntnis setzen, was denn überhaupt los war. Die Zwerge und die Elben beäugten einander mit Argusaugen, während die beiden anwesenden Hobbits ihrem zweiten Frühstück, das ausfallen musste, nachtrauerten. Gerade als Amina meinte, jeden Moment durchzudrehen, erhob Elrond die Stimme: "Ich habe euch heute hier zusammengerufen, weil es sehr ernstzunehmende Entwicklungen gegeben hat. Vor dreitausend Jahren wurde der dunkle Herrscher besiegt und sein Ring verschwand mit Isildurs Tod. Doch nun ist er wieder da." "Wer? Isildur?", fragte einer der beiden Hobbits. "Nein. Amina, den Ring, bitte.", Elrond blickte zu ihr und Amina spürte, dass alle sie ansahen. Langsam stand sie auf, ließ den Ring von der Kette gleiten, die sie in der Hand gehalten hatte, und legte den Ring auf die Steinplatte in der Mitte. "Was ist das denn? Doch nicht etwa Saurons Ring?", rief einer der anderen Elben aus. Für einen Moment begriff Amina nicht, dass er mit ihr sprach, doch dann nickte sie. "Doch. Das ist der Meisterring." Stille. "Wir können ihn wohl nicht einfach hier herumliegen lassen, was?", brummte dann einer der Zwerge. "Also los, zerstören wir ihn!" "Der Ring", sagte Gandalf und stand auf "ist nicht so leicht zu zerstören. Keine Axt kann ihn spalten, kein Schwert zerschmettern, kein Pfeil durchbohren." "Und wie", fragte einer der Menschen herausfordernd "wollen wir ihn dann überhaupt zerstören?" Das, fand Amina, war eine gute und berechtigte Frage. "Der Ring wurde von Sauron in den Feuern des Schicksalsberges geschmiedet.", antwortete Gandalf. "Und nur dort kann er wieder zerstört werden." Diese Antwort traf Amina wie ein Schlag ins Gesicht. Sie starrte den Ring ausdruckslos an. "Also müssen wir nach Mordor?", wollte einer der Hobbits wissen. "In der Tat. Der Ring muss nach Mordor gebracht und in den Abgrund des Schicksalsberges geworfen werden.", bestätigte Elrond. "Wir brauchen also jemanden, der den Ring dorthin bringt." "Es muss jemand starkes sein!", sagte einer der Zwerge. "Schonmal nichts für uns!", stellte einer der Hobbits fest. "Nicht unbedingt körperlich stark.", warf Gandalf ein. "Aber seelisch." "Beides wäre doch optimal.", protestierte einer der Menschen. "Der Ring wirkt auf die Seele. Nicht unbedingt auf den Körper.", erwiderte Aragorn. "Wer bist du überhaupt, dass du das zu behaupten wagst?", fragte der gleiche Mensch, der so eben gegen Gandalfs Einwand protestiert hatte. "Ein Waldläufer!", rief der andere Mensch. "Nein!", widersprach sogleich ein weißblonder Waldelb, Amina meinte sich vage zu erinnern, dass er der Sohn von Thranduil war. "Das", fuhr der Prinz des Düsterwaldes fort "ist Aragorn. Arathorns Sohn und rechtmäßiger Thronerbe von Gondor!" Aragorn senkte den Kopf und biss die Zähne aufeinander. "Ach.", sagte der eine Mensch, sein Wappen und seine Haltung verrieten, dass er der Abgesandte des Truchsess sein musste. "Und warum ist er dann hier und nicht auf dem Thron in Minas Tirith?" "Das", stellte Elrond klar "steht nun wirklich nicht zur Debatte." Alle pflichteten ihm mehr oder weniger widerstrebend bei. "Also", ergriff Gandalf wieder das Wort "wer wird den Ring an sich nehmen? Ich warne euch jedoch: Das ist keine einfache Aufgabe, die mal nebenbei schnell erledigt werden kann. Den Ring nach Mordor zu bringen und so der Ringträger zu werden, ist eine schwere Last." Eine Diskussion brach aus, in welcher beinahe jedes Mitglied der Versammlung (Ausnahmen waren Aragorn, Elrond, Gandalf und Amina selbst, sowie einige wenige andere, die die junge Elbin nicht beim Namen kannte) mindestens einmal behauptete, der Ring sei seine Verantwortung, da nur er allein die Bürde des Tragens übernehmen und die mentale Kraft aufweisen könne, um den Ring schlussendlich in die Flammen des Schicksalsberges zu werfen. Amina, die wieder an den Rand zurückgewichen war, stand schweigend daneben und blickte immer noch den Ring an. Er war so gefährlich. Sie spürte das Wispern der Dunkelheit in ihren Gedanken, das verführerische Zerren. Der Ring war wirklich aufs Äußerste gefährlich. Aber anstatt dass etwas passierte, standen beziehungsweise saßen sie nun hier und stritten sich. Wer sollte den Ring nehmen? war die allgemeine Frage. Ein Mensch? Nein, willentlich zu schwach, behaupteten die einen. Ein Zwerg? Nein, schmetterten die anderen ab. Zu grobschlächtig! Ein Elb? Auch nicht, schließlich wären die ja aalglatte Schönlinge ohne große Widerstandskraft. Immer toller wurden die Behauptungen. Die Diskussion bereitete Amina Kopfschmerzen und sie schluckte trocken. Die Zeit rann ihnen zwischen den Fingern hindurch. Sie hatten keine Zeit, sich zu streiten! Denn das war es doch, was Sauron wollte! Dass sie sich so sehr zerstritten, dass sie keine Zeit mehr hatten, keine Kraft mehr hatten, ihn aufzuhalten und ihm Mittelerde wieder in die dunklen, bösen Hände fiel. Nein. Aminas Herz hämmerte schmerzhaft gegen ihre Rippen. Nein. Das durfte nicht geschehen! Nicht noch einmal. Sie mochte erst 103 Jahre alt sein, dennoch war ihr klar, dass die Zukunft ein Spiegelbild der Vergangenheit werden würde, sollte Sauron den Ring bekommen und den Krieg gewinnen. Schließlich fasste sie einen Entschluss. Sie schluckte erneut, hob den Kopf und sagte: "Ich nehme den Ring."
Langsam wurde es still. Wieder wandten sich ihr alle Köpfe zu. "Warum du? Eine Elbin?", fragte einer der Zwerge. "Nicht, weil ich glaube, er würde mir gehören. Oder... Oder weil ich mich für etwas Besseres als ihr anderen halte.", versicherte Amina. "Aber der Ring ist Saurons Werk und somit böse. Nun, und wir reden und reden und mit jeder Sekunde, die verrinnt, erreicht Sauron wieder ein bisschen mehr seiner alten Macht. Mit jeder Sekunde steigen seine Chancen, dass er diesen Krieg gewinnen kann, gewinnen wird, mit jeder Sekunde wird die Sehnsucht des Ringes nach seinem Herren größer. Wir haben keine Zeit. Ich will nur, dass wir endlich handeln können. Darum, bevor alles verloren geht: Ich nehme den Ring."
Erneut schwiegen alle, dann seufzte Gandalf schwer. "Wenn du dich wahrhaftig mit dieser Bürde belasten willst, Amina, so werde ich an deiner Seite sein.", versprach er ihr und stellte sich neben sie. "Ich auch. Du hast mein Schwert.", Aragorn erhob sich ebenfalls und trat neben die beiden. "Und meine Axt. Ihr braucht einen Zwerg.", ließ sich einer der vier anwesenden Zwerge, er trug den Namen Gimli, vernehmen und blieb neben Aragorn stehen. "Gondor wird ebenfalls nicht fehlen.", der Abgesandte von Gondor, Boromir, kam ebenfalls zu den anderen.
"Du hast Schwert, Axt und Stab. Aber einer von uns fehlt noch.", sagte ein schwarzhaariger Elb. "Ich gehe.", Thranduils Sohn Legolas machte einen Schritt aus den Reihen der anderen und sah Amina an. "Du hast meinen Bogen." Er blieb neben Gandalf stehen. Amina war überrascht, dass so viele sich bereit erklärt hatten. "Nun", sprach Elrond "dann seid ihr sechs von nun an die Gemeinschaft des Ringes. Bringt ihn nach Mordor und werft ihn in die Flammen des Schicksalsberges. Wenn ihr scheitert, werden die Tage wieder dunkel werden." Während sie den Ring wieder auf die Kette fädelte und sich umlegte, sagte Amina: "Wenn mein Leben dafür nötig ist, dass wir siegen, so soll es der Preis sein. Ich mag eine Elbin sein, doch ich kenne den Tod und ich fürchte ihn nicht. Wenn er mich holen sollte, allein um den Willen von Mittelerde, dann soll er das tun." "Der Tod wird euch durchaus begegnen.", gab Elrond zurück. "Schlachten werden euch folgen. Denn der Weg nach Mordor ist lang und grausam, deine Last schwer. Ihr, die ihr sie begleitet: Steht hinter ihr und seid bereit, sie zu verteidigen. Die Ringträgerin muss ihr Ziel in jedem Fall erreichen." Noch während er diese Worte sagte, huschten die beiden Hobbits leise davon. Vermutlich, um ihr zweites Frühstück nachzuholen.

Noch am selben Tag war die Gemeinschaft des Ringes aufgebrochen. Gandalf lief an der Spitze, denn der Zauberer schien aus unersichtlichen Gründen zu wissen, wo es lang ging. Hinter ihm kam Aragorn, dann Amina, dahinter Legolas, im Anschluss Boromir und Gimli bildete die Nachhut. "Wie hast du den Ring überhaupt gefunden?", fragte Aragorn. Amina schüttelte den Kopf. "Das war... komisch. Ich war gerade in der Ebene des Großen Flusses, dort, wo er durch die Heidehügel fließt, und habe gefischt. Nun, und wie ich meine Harpune aus dem Fisch zog, den ich gerade erwischt hatte, glitzterte da etwas Goldenes an einem der Widerhaken. Ich besah es mir näher und stellte fest, dass es der Eine Ring war." "Der Ring hat den Ruf seines Herren Sauron vernommen und sich darum von Gollum getrennt.", schaltete sich Gandalf von der Spitze ein. "Ich nehme an, dass er einen der Fische, die in dem unterirdischen See leben in dessen Höhle Gollum wohnt, benutzte, um sich von ihm zu trennen und nach draußen zu kommen. Der Große Fluss führt nah an der Grenze zu Mordor vorbei und ich darf annehmen, dass der Ring dafür gesorgt hätte, dass einer der Diener seines Herren ihn gefunden hätte." "Aber dann hat Amina den Fisch gefangen.", sagte Legolas. "Absolut. Und ich vermute, dass der Ring nicht damit gerechnet hat, dass 'sein' Fisch gefangen wird.", erklärte Gandalf. "Also jetzt mal ganz im Ernst: 'benutzte', 'dafür gesorgt hätte', 'nicht damit gerechnet hat'. Das klingt ja fast als hätte dieses Ding ein Eigenleben.", ließ sich Boromir vernehmen. "Ich nehme an, dass er das hat.", gab Amina zurück. "Denn es fühlt sich so an. Ich spüre seine Dunkelheit, seine Grausamkeit, seinen Hass. Seinen Willen. Der Ring ist Sauron untergeordnet, doch hat er einen eigenen Willen. Jedenfalls auf eine gewisse Art und Weise." "Wie hoch stehen eigentlich unsere Chancen, dass das hier funktioniert?", tönte Gimli vom Ende der Truppe. "Ehrlich gesagt nicht wirklich hoch. Saruman hat uns verraten.", antwortete Gandalf. "Saruman der Weiße ist böse geworden?", hakte Aragorn nach. "In der Tat. Er hielt mich eine Weile in Isengart in Gefangenschaft.", bestätigte der Zauberer. "Das sind furchtbare Nachrichten.", sagte Legolas leise. "Saruman der Weiße wäre ein wertvoller Verbündeter gegen Sauron gewesen." "Ja, und nun zieht er eine eigene Ork-Armee auf, um Sauron zu unterstützen.", Gandalf klang düster. "Warum ziehen wir dann überhaupt nach Mordor, wenn es doch so hoffnungslos ist? Lasst uns den Ring lieber nach Gondor bringen. Mein Vater wird Wege finden, ihn gegen Sauron zu benutzen!", rief Boromir. "Nein! Der Ring muss zerstört werden!", Amina blieb stehen und drehte sich um. "Der Ring kann nicht gegen Sauron verwendet werden. Er ist durch und durch erfüllt von Bösartigkeit, Grausamkeit und dem Verlangen nach Macht, genau wie sein Herr." Einen Moment lang maßen sie und Boromir sich gegenseitig mit Blicken und Amina war sich bewusst, dass sie ihm in einem Schwertkampf überlegen wäre. Dann senkte der Sohn des Truchsess  von Gondor den Kopf und nickte kurz. Den Kopf erhoben wandte Amina sich wieder nach vorne und fuhr fort, Gandalf zu folgen. Der Zug der Gefährten setzte sich wieder in Bewegung.

Die Nacht hatte ihre Schleier über Mittelerde ausgebreitet. In Anbetracht der Gefahr durch die Nazgùl hatte Gandalf angeordnet, dass sie, trotz der Dringlichkeit der Situation, nicht weiterzogen. Also hatten sie alle sie sich schlafen gelegt. Zumindest in der Theorie, denn praktisch gesehen konnte Amina kein Auge zu machen. Nachdem sie minutenlang schlaflos dagelegen hatte, stand sie lautlos auf und entfernte sich einige Schritte von den anderen weg. Der Ring hing glitzernd an der Kette und Amina war hin und her gerissen zwischen Abscheu und Faszination. Denn sie wusste um die böse Macht des Ringes, seine Grausamkeit. Das alles wollte sie dazu veranlassen, den Ring von sich zu werfen, wie sie es getan hatte, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Auf der anderen Seite war genau diese Grausamkeit das faszinierende. Wie hatte Sauron es geschafft, einen Teil seiner selbst in den Ring zu stecken und ihn zeitgleich fast unzerstörbar zu machen? Lautlos seufzte Amina und sie sehnte sich danach, ihre Gedanken in den Ring zu treiben und ihn in tausende Stücke zu zerreißen. Nur würde das nicht funktionieren, das war ihr klar. Auch wenn sie gelernt hatte, die Stärke ihrer Gedanken als Waffe einzusetzen. Amina mochte eine Elbin sein. Unsterblich, wunderschön, elegant. Dennoch war sie nicht wie die anderen Elben. In der Regel bevorzugten die nämlich einen Bogen als Waffe, aber Amina liebte die Klinge. Außerdem war sie, bis auf ihre Eltern früher, immer alleine gewesen. Keinem König und keiner Königin untergeordnet, selbstbestimmt. Auf harte Weise hatte sie lernen müssen, die besonderen Fähigkeiten der Elben, ihre Gewandtheit, die Fähigkeit der Telepathie, als Waffe zu benutzen. Wie oft hatte sie ihren Feinden zweifelnde Stimmen in den Kopf gesetzt oder sinnloses Gedankenwispern, um sie zu verwirren. Ich bin keine ehrenhafte Elbin. Aber ich bin die Ringträgerin. Und ich werde meine Berufung erfüllen. Amina blinzelte durch das Blätterdach, erspähte zwischen den dichten Blättern einen Stern. Er war klein, aber dennoch hell. Ein Lächeln verzog ihre Mundwinkel. Sil'an. Ihr Stern. Der Stern, den ihre Eltern ihr gezeigt hatten. Damals, vor so vielen Jahren, als sie noch klein gewesen war. "Gib mir deine Kraft, Sil'an.", wisperte sie lautlos, eine einzelne Träne rann ihre Wange hinab und fiel zu Boden.

Die Ringträgerin -Die Macht des Einen- || Herr der Ringe FFWhere stories live. Discover now