Gefangener der Zeit

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Einige Auserwählte Kinder werden an ihrem 15. Geburtstag von sehr bestimmten Menschen aufgesucht. Sie erzählen von einer Gabe, die das Kind in einem Jahr erwecken und in 2 vollkommen beherrschen wird. Keiner weiß, wo diese Menschen herkommen, doch jedes der besuchten Kinder bekam tatsächlich eine Gabe. Ein Junge kann das Wetter kontrollieren, ein Mädchen kann nun die Gedanken anderer Lesen. Gestaltwandler, Heiler, Geflügelte. Das ist alles schon vorgekommen. Doch jedes Jahr wird nur ein Kind ausgewählt. Nur eines. Und wenn der 15. Geburtstag einmal vorbei ist, ist deine Chance auf eine Gabe verschwunden. Nunja... Ich war eines der Kinder, das an seinem 15. Geburtstag besucht wurde. Die drei Männer, die bei mir auftauchten, sagten, dass ich in einem Jahr meine Gabe erwecke und sie in 2 vollkommen beherrsche und das volle Potenzial kenne. Nun stehe ich hier an meinem 16. Geburtstag. Ich habe vergessen, wie viele Stunden dieser schon geht. Meine Gabe scheint es nämlich zu sein, dass ich die Zeit für alles um mich herum anhalten kann. Ich habe keine Ahnung, wie es aufhört oder ob es überhaupt aufhört.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte es dann endlich auf und mein 16. Geburtstag wurde ausgiebig gefeiert. Die drei Männer kamen wieder und beglückwünschten mich zum Erhalt meiner Gabe, ehe sie auch schon wieder verschwanden. Über das kommende Jahr habe ich meine Gabe für vieles genutzt. Ich war immer der beste Schüler, denn ich konnte die Antworten von den schlaueren Schülern zusammensammeln oder sie über mein Handy nachschlagen. Meine Videospiele habe ich seit einem Jahr auch zu einem Rabatt von 100% erhalten. Ich habe allgemein vieles angestellt. Dann kam mein 17. Geburtstag. Ich wachte auf, aber irgendwie war alles anders. Ich war in der Vergangenheit gelandet. Und ich hörte mich selbst. Ich versteckte mich also und stellte fest, dass ich mich 9 Jahre in der Zeit zurückgesetzt hatte. Als ich das Haus verließ, standen die drei Männer wieder da. Sie erklärten mir meine Gabe. „Deine Gabe ist die Zeit selbst. Sie fließt durch dich, sie existiert in dir. Du kannst sie stoppen und um dich herum verlaufen lassen. Ob du in der Vergangenheit bleibst und alterst oder nicht alterst, oder jünger wirst. Altern ist nur in deiner Gegenwart unaufhaltsam. Doch in welche Richtung du alterst ist deine Entscheidung. Ob du als Person eigene oder in deinem jüngeren Körper aufwachst, obliegt dir."
Seit dem Tag habe ich vieles ausprobiert. Ich stellte fest, dass ich zurück in die Gegenwart geschleudert werde, wenn ich in der Vergangenheit sterbe. Doch diese Gabe hat meine Gegenwart zu einer Irrelevanz in meinem Denken werden lassen. Was soll ich dort, wenn ich überall sein kann? Warum soll ich in nur einer Zeit sein, wenn ich in jeder erdenklichen Zeit sein kann? Also sprang ich hin und her. Ich starb Tausend Tode und lebte Millionen Leben. Ich war ein König, ein Kriegsherr. Ich war Erfinder, Autor, Schauspieler. Ich war Vater, Ehemann und Witwer. Ich verlor Familien, Geliebte, mich selbst. Und immer, wenn ich zurückkehre, bin ich 18. Es ist wahr. All diese Zeit verbrachte ich in anderen Zeiten und die Gegenwart kam gerade einmal ein Jahr über meinen 17. Geburtstag hinaus. Und das Beste war, dass ich selbst entschied, ob die Gegenwart beeinflusst würde, durch das, was ich tat. Wenn ich es nicht wollte, kehrte ich zurück und es gab keine Veränderung. Waren die Auswirkungen Mal zu drastisch, kehrte ich sie um.

Doch trotz dieser Gabe habe ich nicht an Mitgefühl eingebüßt. Ich versuchte Menschen zu helfen. Ich verhinderte das Sinken der Titanic, ich verhinderte den zweiten Weltkrieg. Ich trug dafür Sorge, dass Sklaverei nie eingeführt wurde, dass die großen Eroberer nie eroberten. Und immer musste ich meine Taten rückgängig machen. Dass die Titanic nicht sank, führte zu einer Welt, die von Nationalsozialisten geleitet wurde. Das Verhindern des zweiten Weltkrieges führte zu rückständiger Technologie, welche bedeutete, dass wir für das kommende nicht bereit waren. Die Eroberungen, die Kriege die Tode... Sie alle mussten passieren. Das realisierte ich, als ich zum allerersten Mal die Zukunft sah. Alles muss passieren, wie es passierte und dafür sorgte ich. Erst jetzt wurde mir klar, wie viel Einfluss ich auf die Welt genommen hatte. Ich sorgte für Rebellionen, startete Kriege, eroberte. Weil alles so passieren musste. Ich ging zurück. Wieder und wieder und wieder. Dann kam der Tag meines 19. Geburtstages in der Gegenwart. Dieser Tag sollte besonders werden, doch es war der pure Horror. Eine Spezies aus dem All kam zur Erde, um ihren Planeten zurückzunehmen. Wir versuchten uns zu verteidigen, doch wir verloren. Wieder und wieder und wieder. Also ging ich zurück. Ich versuchte die Geschichte, die Vergangenheit zu verändern. Doch alles lief so, wie es musste. Nur durch die Eroberungen, die Kriege, die Folter sind wir so weit gekommen, wie wir es mussten, um die Gefahr aus der Leere abzuwenden.

So sehr ich es mir wünschte, ich konnte niemanden retten. Meine Existenz in der Vergangenheit war gleichgültig. Dachte ich. Bis ich zurückging. Weiter als je zuvor. Ich ging in eine Zeit, in der der Mensch nicht existierte. Und ich war nicht allein. Mit mir brachte ich die eine Waffe, die die Außerirdischen vernichten konnte.

Sie selbst.

Eine riesige Flotte an Schiffen tauchte in der Vergangenheit auf und tötete ihre eigenen Vorfahren. Auf mich hätte das Töten meines Vaters oder meiner Großmutter keinen Einfluss, doch sie hatten nicht meine Gabe. Ich löste zwei Konflikte mit einer Lösung. Die Menschheit wurde vor einer Invasion gerettet und da die Aliens bereits ausgelöscht waren, konnte ich die Zeit so verändern, wie es mir beliebte. Doch am Ende. Als meine Gegenwart den Punkt erreichte, an dem ich sterben sollte, da wachte ich auf. In dem Körper von meinem 17-jährigen Ich.

Und da waren die drei Männer wieder. Doch sie sagten etwas anderes als zuvor. Eigentlich sagten sie erst gar nichts. Sie lachten nur. Hämisch und boshaft. „Du bist gefangen in der Zeit! Du musst alles wiederholen. Für immer!" das sagten sie mir. Wieder und wieder. So oft ich versuchte meine Gegenwart zu verändern, am Ende wachte ich wieder auf. An meinem 17. Geburtstag.

Ich konnte nicht mehr unterscheiden, wo ich in meinem Leben stehe. Ich verlor die Orientierung, den Sinn. Ich verlor mich selbst. In der Zeit. Da hatte ich dann eine Idee. Ich ging zurück zum morgen meines 15. Geburtstags. Die Männer tauchten auf, wie zuvor. Doch ich wollte ihre Gabe nicht. Ihr Geschenk, ich lehnte es ab.

Ich sah Imperien aufsteigen und fallen. Ich sah Invasionen von Außerirdischen. Ich sah so viel. Ich wollte es nicht nochmal und nochmal sehen. Ich war es leid geworden und dies war der einzige Ausweg. Doch sie zwangen mir die Gabe auf. Es musste sein. Für das Wohl der Menschen musste ich leiden. Doch ich wollte nicht leiden.

Ich nahm die Gabe an, doch ich nutzte sie nicht. Nicht nach meinem 17. Geburtstag. Ich lebte ein anderes Leben. Mein Leben. Ich machte meinen Schulabschluss mit meinen Freunden. Ich feierte, verliebte mich und mir wurde das Herz gebrochen. Ich begann ein Studium und verliebte mich erneut. Ich wurde Schauspieler. Ich wurde berühmt und beliebt. Ich heiratete den Menschen, den ich liebte und wir adoptierten Kinder. Ich wurde an seiner Seite alt. Nicht einen Tag habe ich verpasst. Nie sprang ich in der Zeit.

Irgendwann war es so weit. Meine Tage waren gezählt. Ich starb. Von meinen Kindern wurde ich begraben. Meine Familie trauerte. Und dann wachte ich auf. Nur ein weiterer Traum der Zeit. 

Lukes SchreibwerkstadtWhere stories live. Discover now