Kapitel 9: Pessimismus

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Ich öffnete die Augen und fand mich in demselben Ort wieder, in dem mein zweites Ich lebt.
Das machte mich wütend, denn ich hatte keinen Grund, hier zu sein, und jedes Mal, wenn ich hierher komme, verlasse ich es wieder mit einem unguten Gefühl. Wie immer saß er nur da und schaute nach unten wie ein Emo.
"Willkommen zurück, Rohan."
"Halt die Klappe, R-Rohan... Was willst du denn diesmal von mir?"
Er seufzte, als hätte ich ihn enttäuscht.
"Schätze, wir hassen immer noch unseren eigenen Namen, was?"
Ich antwortete nicht. Er wusste genau, warum ich meinen eigenen Namen hasste.
"Kannst du mir sagen, was zum Teufel du die ganze Zeit gemacht hast?"
"Hm? Ich verstehe nicht was du meinst."
"All diese lächerlichen Trainingsroutinen, all diese dummen Kampfübungen... Wozu zum Teufel machst du das alles?"
"Was ist das denn für eine Frage?"
Er antwortete nicht. Er saß einfach nur da und dachte nicht einmal daran, aufzublicken.
"Ich versuche, stärker zu werden, damit ich meine gottverdammten Liebsten retten kann! Während du dasitzt, als hättest du 'nen Midlife-Crisis, gehe ich da raus und versuche ernsthaft, die zu retten, die mir lieb sind!"
"Womit? Mit roher Muskelkraft? Nach allem, was du erlebt hast, glaubst du, ein paar mickrige Muskeln würden dich retten? Glaubst du, dass du mit reiner Muskelkraft in die Dimension von Gureisu zurückkehren kannst? Dass du Ma jemals wiedersehen wirst? Hast du ernsthaft zwei gottverdammte Wochen damit verschwendet, wie ein Möchtegern-Superheld zu trainieren?"
"Warum bewegst DU dann nicht deinen Arsch und rettest die Welt? Na los, ich fordere dich heraus. Steh auf und erleide den Schmerz, den ich erleide."
Keine Reaktion. Ich war nicht einmal überrascht, wenn man bedenkt, dass er hier wie immer nur wie eine Statue dasteht.
"Hast du überhaupt versucht, etwas über dein linkes Auge herauszufinden, Rohan?"
"Ich versuche es seit Wochen, und nichts passiert. Ich glaube, wir sitzen jetzt hier fest. Es wird mir auch niemand helfen können."
"Du wirst nie herausfinden, wie du deine Kräfte einsetzen kannst. Du weißt nicht einmal, WARUM du sie hast. Du wirst uns große Schande bringen, und das weißt du."
"Nein, das werde ich nicht. Ich werde lernen, wie ich meine Kräfte kontrollieren kann. Ich werde herausfinden, warum ich sie bekommen habe, und ich werde dich dazu bringen, mich anzuerkennen."
"Du bist kein Held, Rohan."
"Ich wollte sowieso nie einer sein."
"Mit dieser Einstellung bringst du uns nur Unheil und Unglück."
"Ernsthaft, was zum Teufel ist los mit dir?!"
"Ich führe gerade ein Gespräch mit dir."
"Du sollst ich sein! Du sollst mich motivieren und nicht versuchen, mich so pessimistisch zu demotivieren, wie du es gerade tust!"
"Ich bin buchstäblich du. So fühlst du dich in Wahrheit."
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. So sehr ich auch versuchte, es zu leugnen, er hatte Recht. Ich erzwang mir die Motivation, die ich hatte. Ich konnte nicht anders.
Ich setzte mich vor ihn, und wir nahmen zum ersten Mal seit Monaten wieder Blickkontakt auf. Als ich ihm in die Augen sah, hatte ich das Gefühl, dass er sehr traurig ist... sehr müde. Es war, als ob er zu viel geweint hätte.
"R-Rohan...tu mir das nicht an. Ohne dich bin ich ganz allein. Wie soll ich weiterkämpfen, wenn ich mein eigener Feind bin?"
"Ich bin nicht dein Feind, Rohan. Ich bin Du. Wir beide teilen uns einen Körper."
"Dann hör auf, dich wie einer zu verhalten! Warum kannst du mich nicht einfach unterstützen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir viel stärker wären, wenn wir einfach zusammenarbeiten würden."
"Weil du lächerliche Dinge planst. Du trainierst für nichts. Wen willst du mit deiner.... sogenannten neuen Kraft angreifen?"
"Ich werde einen Weg finden, meine Kraft zu nutzen! Irgendwie werden wir nach Gureisu zurückkehren. Alles, was ich brauche, ist etwas Zeit, um herauszufinden, wie ich mein Auge aktivieren kann, und Bumm!"
"Bumm? Du bist erbärmlich... Denk mal darüber nach. Hatten wir jemals Glück?"
"Das Leben ist wie eine Achterbahn. Es hat Höhen und Tiefen, manchmal sogar verrückte Loopings."
"SIEH UNS AN! WANN HATTEN WIR SCHON JEMALS GLÜCK? WANN HABEN WIR UNS JEMALS GLÜCKLICH GEFÜHLT?"
Ich war überrascht, wie er plötzlich mit diesen Worten herausplatzte.
"...Wann hast du angefangen, so pessimistisch über unser Leben zu denken? Warum bist du so negativ?"
Er schien sich zu beruhigen, doch er sah nicht so aus, als würde er jetzt optimistischer denken.
"Vergiss es. Gegen das Schicksal kann man nicht ankommen. Wir sind dazu verdammt, den Verlust von Menschen zu erleiden. Wir sind dazu verdammt, uns unglücklich zu fühlen."
"Was sollen wir dann tun? Unser Schicksal einfach so hinnehmen und so unglücklich bleiben?"
Er antwortete nicht.
"Vergiss Gureisu einfach. Sie hat dich wahrscheinlich auch schon vergessen. Sie braucht dich nicht, und ohne dich ist sie wahrscheinlich viel sicherer."
Das hat mich tierisch aufgeregt. Ich konnte nicht fassen, was ich da hörte.
"GUREISU HAT MICH NICHT VERGESSEN!"
"Woher willst du das wissen? Du bist jetzt schon seit Wochen hier. Sie hat dich bereits vergessen, wahrscheinlich ist sie weitergezogen und hat jemand anderen getroffen, der ihr vielleicht besser helfen kann als wir."
Ich versuchte, ich zu beherrschen. Es bringt nichts, sich aufzuregen, dachte ich mir. Aber dann machte er wieder sein Mund auf.
"...wir sollten es jetzt aufgeben, Dad zu finden."
Ich schlug mit der Faust auf den Boden, der Schlag klang in diesem Ort lauter als normal. Ich konnte nicht glauben, dass mein eigenes Ich alles, was wir bisher getan hatten, HASSEN würde.
Ich packte ihn am Kragen und schüttelte ihn wie verrückt.
"NIMM DAS ZURÜCK!"
Ich wollte ihn gerade schlagen, doch dann schaute er plötzlich überrascht und zeigte auf mein linkes Auge.
"Das Auge....es leuchtet!"
"Häh?"

Unmittelbar danach traf mich ein scharfer Schmerz in meinem linken Auge.


The Curse of Isekai  (Deutsch)Where stories live. Discover now