Ich visierte Ben an und setzte den kältesten Blick auf, den ich auf Lager hatte.

All meinen Hass, der sich in den letzten Monaten gebildet hatte, legte ich in ihn und versuchte, Ben spüren zu lassen, dass er keine Chance gegen mich hatte.

„Will! Bitte... bitte lass... lass m...mich gehen.
Ich... ich hab d...dir doch vertraut..."

Rox spielte das perfekte Opfer.

„Halt deinen Mund!", schnauzte ich sie barsch an.

Daraufhin weinte sie erneut bitterlich und die Tränen rannen ihr nur so über ihre Wangen.

Dann verfestigte sich meine Faust in ihrem Haar noch einmal, bevor ich in die Offensive ging.

„Ich sage dir, wie es läuft Ben.
Ich werde Lynn jetzt mitnehmen und wünsche dir, dass ich feststellen kann, dass sie körperlich unversehrt ist.
Wir gehen zu dritt hier raus und du bleibst hier stehen, ruhig und untätig, bis der Polizeipräsident da ist und mit seiner Mannschaft sowohl dich, als auch den Rest deiner Sippe einkassiert hat.
Solltest du irgendwie aufmucken, abhauen, oder sonst etwas Unschönes tun, drücke ich hier sofort ab und puste Roxy das Hirn weg. Und zwar ohne zu Zögern."

Ich konnte kaum fassen, dass ich das wirklich gesagt hatte.

Roxanne begann zu schreien und wurde immer unruhiger auf ihren Knien vor mir.

Und dann, kam der entscheidende Moment.

Denn ich wusste, jetzt würde sie auf die emotionale Ebene gehen und so versuchen, ihren Vater zu beeinflussen.

„Bitte, tu... tu was Will sagt.

Bitte, bitte Papa!"

Und ab diesem Zeitpunkt war nun auch sicherlich klar für Lynn, dass dieses Mädchen vor mir Roxanne war und sie die Tochter des Gangsterbosses und bestimmt nicht meine Freundin.

Obwohl mich brennend interessierte, wie es in ihrem Gesicht aussah, starrte ich bloß Ben an und würdigte ihr keines Blickes.

Doch je mehr Zeit verging, desto intensiver spürte ich, dass sie versuchen wollte, an mich heranzukommen.
Sicherlich hatte sie Mitleid mit Roxanne.

„Will", flüsterte sie beinah.
„Will bitte, lass sie..."

Ich wusste es. Ich kannte Lynn. Sie war viel zu lieb für diese Welt und wollte sogar in dieser Situation einem Mädchen helfen, das sie nichtmal kannte. Ich war mir sicher, dass sie wusste, dass sie mich zu leicht beeinflussen konnte. Ich hoffte, sie spürte, dass das alles nicht echt war und ich nicht mehr der kriminelle Will von damals, sondern jetzt Kieran war.


Dann ging alles ganz schnell.

Plötzlich erwachte Ben wie aus dem Nichts aus seiner Starre, packte Lynn ruckartig am Arm, zerrte sie vom Stuhl und schleifte sie ein paar Meter mit der Waffe an ihrer Stirn durch die Fabrik.

Shit! Wie konnte das passieren?!

Mein Herz rutschte mir in die Hose.

Nein! Das durfte nicht sein!
Er durfte ihr nichts antun.

Nur über meine Leiche!

Ich musste sofort handeln. Mir blieb keine Zeit mehr.

Blitzschnell ließ ich Roxannes Haare los, nahm die Waffe von ihrer Schläfe und rannte so schnell ich konnte auf Ben zu, der Lynn im Schwitzkasten hielt, und warf mich dann mit all meiner Kraft auf ihn. Ich wollte nur noch, dass er endlich seine dreckigen Finger von meinem Mädchen nahm.

Gemeinsam fielen wir hin und landeten mit einem heftigen Aufprall auf dem Betonboden der Fabrikhalle.

Dadurch wurde Bens Pistole so weit weggeschleudert, dass sie in einen schmalen Schacht neben einer Eisenpforte rutschte und verschwand.

Ich hoffe, dass ich den elenden Kerl mit meinem Körper zerquetschte und schlug ihm dann heftig ins Gesicht, damit er Lynn endlich losließ.
Das tat er zum Glück auch und sie konnte sich von uns beiden wegrollen.

Doch dann begann auch Ben damit, sich zu wehren und boxte mir direkt in die Magengrube.

Mir wurde kotzübel.

Daraufhin schlug ich erneut zurück und kannte kein Erbarmen mehr.

Lynn begann zu schreien, denn ein so heftiger Kampf mit dichtem Gerangel entstand, dass sogar Blut floss.

Ich setzte all meine Kraft ein und versuchte mit jedem Schlag die Vergangenheit ein Stückchen mehr abzuharken.

Ich schlug Ben dafür, dass er mich in meiner Jugend so sehr manipuliert hatte.
Ich schlug ihn für mich, für meine Oma, für Connor, für Roxy, für Lynn...

„Ich hasse dich!", hörte ich auf einmal Roxy aus tiefster Kehle schreien.

Erschrocken lösten Ben und ich und von einander.

Als ich zu ihr aufblickte sah ich, dass sie meine Waffe in der Hand hielt, die ich anscheinend im Laufen verloren hatte und in unsere Richtung zielte.

Shit!

Ich dachte an ihre Worte von vor einigen Minuten zurück und hoffte sehr, dass sie jetzt nichts Unüberlegtes tat, was sie ihr Leben lang bereuen würde.

Dann schrie sie ihren Vater an. Aus vollem Halse.

„Ich hasse dich so sehr! Ich werde dir nie, niemals verzeihen können, was du mir angetan hast. Du hast mein Leben zerstört!
Wie konntest du nur? Wie?!"

Tränen begannen ihr nun wieder über die Wangen zu laufen, während sie ihren Zeigefinger um den Abzug krümmte.

Das durfte sie nicht tun! Sie durfte nicht zur Mörderin ihres eigenen Vaters werden - und schon gar nicht für mich.

Das durfte einfach nicht passieren!

„Rox, tu es nicht!", rief ich noch, doch meine Bitte konnte sie nicht mehr umstimmen und verhallte ohne Antwort darauf in der Fabrik.

Und dann tat ich es endlich und sah zu Lynn.

Unsere Blicke trafen sich.

Ich wollte nicht, dass sie miterleben musste, wie jemand vor ihren Augen erschossen wurde.

Ich wünschte mir, dass ihr Blick einfach an meinem hängen blieb.

Während ich den lauten Knall in meinen Ohren wahrnahm, schenkte ich ihr meinen liebevollsten und wärmsten Blick, in der Hoffnung, sie auch nur ein ganz kleines Bisschen beschützen zu können.


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Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielDär berättelser lever. Upptäck nu