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Mit offenem Mund starrte ich meinen Patienten an.

Es war augenblicklich so still um uns herum, dass man ein Sandkorn hätte fallen hören können.

Das Einzige was ich akustisch wahrnahm, war das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren.
Wie Meereswellen jagte es durch mich hindurch und brachte meine Haut zum Erhitzen.

Mein Körper war steif und mein Gehirn konnte nur noch Eins: Die Worte meines Patienten in ihm abspielen - und das immer und immer wieder, wie in Dauerschliefe.

Er mochte mich.
Mehr, als ich es für möglich gehalten hätte.
Er mochte mein Lächeln, meine Augen, meine Stimme, meine Art, meine Berührungen und... und meine Küsse.

Ich war einfach nur überwältigt von seiner Offenbarung und konnte kaum glauben, dass jemand etwas so unfassbar Schönes zu mir gesagt hatte. Jemand, der genau das Gleiche in mir selbst auslöste.

Noch nie zuvor hatte mir ein Mann das Gefühl gegeben, so wertgeschätzt zu werden und mir all das Gute, was er über mich dachte, und die positiven Emotionen, die er dabei in sich trug, auch ins Gesicht sagen zu können.
Und mein Patient tat das nicht, um mich irgendwie an sich zu binden, sondern um mich von sich fern zu halten, weil er mich schützen und nur das Beste für mich wollte.

Doch das konnte er knicken.

Nach dem was er gerade von sich gegeben hatte, konnte er sich sicher sein, dass er es nicht schaffen würde, mich von sich zu stoßen - egal was er dafür tat.


Ohne seine Hände loszulassen, ging ich einen weiteren Schritt auf ihn zu. Und wieder wich er nicht zurück, sondern ertrug meine Nähe.

Als ich direkt vor ihm stand und mich die Wärme seines Körpers komplett eingenommen hatte, versagte nun auch noch die letzte Glühbirne im kleinen Häuschen und erlosch mit einem kurzen Zischen vollständig.

Plötzlich war es nicht nur totenstill um uns herum, sondern auch noch dunkel. Lediglich das Mondlicht schien durch das Fenster in meinem Rücken und ermöglichte mir, wenigstens noch die Umrisse meines Patienten sehen zu können.

Die Umrisse seines großen, trainierten Körpers, der in eng anliegenden Klamotten steckte und diesen perfekt betonte; die, seiner ausgeprägten Wangenknochen und dem kantigen Kiefer; die, seiner vollen, geschwungenen Lippen; die, der welligen, dunklen Haare, die ihm mal wieder auf der Stirn hingen und die, seiner grün-karamell leuchtenden Augen, die von seinen langen, dichten Wimpern eingerahmt wurden.

Von außen war er genauso schön wie von innen und das wusste ich, weil ich es einfach spürte. Er war ein guter Mensch und es absolut wert, geliebt zu werden. Niemand hätte mich in diesem Moment vom Gegenteil überzeugen und mich von dem abbringen können, was ich als Nächstes tat.

„Ich... ich habe deinen Namen geträumt", flüsterte ich und hauchte dabei gegen seine Lippen, während mein Puls in mir trommelte.
„Ich glaube natürlich nicht, dass er dein echter ist, aber... er gefällt mir und ich finde, dass er zu dir passt", gab ich von mir, bis meine Stimme fast versagte.

Mit dem Hochziehen seiner Augenbrauen bestätigte mein Patient mir, dass er ihn hören wollte, obwohl er nach allem, was sich in den letzten Minuten abgespielt hatte, schon angespannt genug wirkte.

„In meinem Traum...", begann ich leise „...kamst du auf mich zu, nahmst mich an die Hand und alles um mich... um uns... herum... wurde nach deiner Berührung dunkel.
Doch die Dunkelheit machte mir keine Angst, sondern... fühlte sich gut an. Erschreckend gut. Und ich wollte nichts mehr, als für immer in dieser Finsternis zu bleiben und sie mit all meinen Sinnen zu erkunden und wahrzunehmen."

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt