Freiheit

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Still lag der kleine Tropenwald vor ihr. Nur die Blätter bewegten sich leicht im kühlen Wind. „Könnt ihr schon mal rein gehen, ich muss noch schnell meine Mum anrufen, sonst dreht sie noch durch," sagte sie mit dem Blick auf ihrem Handy, auf dem schon mehrere Anrufe eingegangen waren. 

Sie hatte zwar gemeint, dass sie irgendwann mal anrufen würde, aber warum hatte es genau jetzt sein müssen? Drumherum kommen würde Faith eh nicht, ansonsten hätte das bestimmt noch schwerwiegende Folgen für sie. Also wählte sie die Nummer ihrer Mutter und wartete, bis diese dranging. Obwohl es Mitten in der Nacht war, wusste sie, dass ihre Mum noch wach war. Erstens, lag ihr letzter Anruf knapp fünfzehn Minuten zurück, und zum andren war ihre Mutter oft spät nachts noch wach. Das war nicht untypisch für Haiwandler. 

„Na endlich rufst du zurück! Ich hab dich schon mehrmals angerufen! Hast du etwa vergessen, dass ich dich anrufen wollte?" Langsam schlenderte sie in Richtung Lagerhalle. „Nein, ich hatte mein Handy auf stumm gestellt und habe erst jetzt wieder draufgeschaut." „Aha, nächstes Mal stell es lieber auf laut. Heute Abend hab ich Farryn getroffen, er hat mir erzählt wie du dich machst und meinte, du seist nach dem Mittagessen nicht mehr gesehen worden. Wo bist du denn gerade?" Genervt überdrehte sie ihre Augen, antwortete jedoch gespielt freundlich. Wie erwartet, sollte Farryn nach ihr sehen und sie im Auge behalten. „Ich bin mit Maila, Dylan und Tajo unterwegs. Wenn du willst kann ich sie ans Telefon holen." „Nein nein, ich glaub dir, ich wollte ja nur wissen, was du gerade treibst. Das ist doch für eine Mutter normal." 

Erneut überdrehte sie die Augen. „Hast du dann vielleicht schon etwas von Levi gehört, der sollt schon am Sonntag ankommen!" Ihr Bruder war eigentlich nicht so der Typ, der sich um die Schule drückte. Ein Seufzen war am andren Ende der Leitung zu hören. „Nein leider nicht, seitdem er von Olivers Haus weggeschwommen ist, hab ich nichts mehr von ihm gehört." Oliver war ein Arbeitskollege und Freund ihres Vaters und war ebenfalls Wandler. Er hatte Levi auf seinem Rückweg aufgenommen, damit er sich ausruhen konnte und sich bei ihnen melden konnte. 

Denn ein Handy oder Kleidung hatte ihr Bruder nicht dabei, denn so etwas wie ihren Ring herzustellen, kostete sie viel Mühe und Zeit, weshalb es nur sehr wenige davon gab. Ihre Familie hatte darauf verzichtet, einen zu besitzen. „Normalerweise hätte er schon vor ein paar Tagen ankommen sollen, so lange dauert die Reise nämlich nicht!" Faith machte sich wirklich Sorgen um ihren Bruder! 

„Ich weiß, wenn ich geschlafen habe, dreh ich mal ne Runde und schwimm ihm entgegen. Vielleicht finde ich ihn dabei." „Mach das, ich halt auch die Augen offen und frag mal ein wenig rum." Eine beunruhigende Stille herrschte eine Weile, bis ihre Mum wieder das Wort ergriff. „Keine Sorge, bestimmt geht es ihm gut. Ich leg jetzt auf, wenn du noch was brauchst, ruf mich an, ja?" „Ist gut, tschüs." Sie legte auf und verstaute ihr Handy wieder in ihrer Tasche. Ohne es zu merken, war sie weiter in Bewegung geblieben und stand direkt vor der Lagerhalle. Während sie noch an Levi dachte, betrat sie das Gebäude. 

Drinnen waren die andren schon dabei, alles vorzubereiten, um die Schildkröten wieder in die Freiheit zu entlassen. Dylan hatte irgendwo eine Schubkarre aufgetrieben und suchte gerade nach ein paar Sachen, mit denen er sie polstern konnte. Auf einer kleinen Leiter stand Tajo und unterhielt sich mit den Schildkröten, er beherrschte sehr viele Tiersprachen, natürlich am meisten der Tier, die im Meer lebten. Maila half beim auftreiben von Decken und ähnlichen, weichen Sachen. 

„Und hast du das Gespräch mit deiner Mum erledigt?" „Ja hab ich, sagt mal, woher habt ihr eigentlich die Klamotten." Genau wie ihre Familie, wollten auch sie keinen Ring oder ähnliches von ihr. Damals sagten sie, dass sie sich sowieso nur selten verwandelten. Maila antwortete ihr zugleich. „Du weißt doch von unseren Verstecken, die wir überall haben. Hier in der Nähe haben wir auch eins." Ihre Verstecke beinhalteten Kleidung, Geld und noch ein paar Kleinigkeiten, wenn sie doch mal wieder die Menschenwelt besuchten. „Gut ich dachte bereits, ihr hättet sie irgendwo geklaut." Mit einem Grinsen schleppte sie eine Decke zur Schubkarre. „Was denkst du von uns," rief Dylan empört. 

Nach einer kleinen Diskussion und einer Suche nach Polstermaterial, war ihr Transportmittel für die Schildkröten fertig. Langsam näherte sie sich den großen Behältern und blickte zu Tajo hinauf, der bis jetzt noch gar nichts gesagt hatte. „Was haben sie dir erzählt?" Traurig sah er sie an. „Sie sind alle unverletzt, sind jedoch ziemlich gelangweilt von diesem Becken hier und wollen endlich raus. Zwei haben mir sogar erzählt, jemand andres hätte schon einmal versucht sie einzufangen." Anders als die andren, war Tajo ja in zweiter Gestalt aufgewachsen und bemitleidete Tiere, die ihrem Lebensraum entnommen wurden, noch mehr. Vieles an der Menschenwelt konnte er nicht verstehen, illegaler Tierhandel, stand auf der Liste dabei ganz weit oben. 

„Dann sollten wir nicht länger warten und sie ins Meer zurücklassen." Tajo nickte und kletterte von der Leiter herunter. Dylan und Maila kamen zu ihnen und sie besprachen den Plan. „Am besten wir suchen noch nach einer andren Tritthilfe und zwei steigen dann rauf und heben eine nach der andren immer heraus und der Rest legt die Schildkröten dann vorsichtig in die Karre." „Vielleicht sollten wir noch ein paar Handtücher holen uns sie unter und über die Schildkröte legen, wenn wir sie transportieren." „Gute Idee, dann ist es für sie angenehmer." Wie besprochen holten sie alle nötigen Dinge und stellten sie neben den Wasserbehältern ab. 

Faith und Tajo stiegen auf die Leitern und lockten, die noch zögerlichen Schildkröten, zu sich. Doch erst mit gutem Zureden schwammen sie zu ihnen. Langsam, um sie nicht zu verletzen, hievten sie die erste aus dem Becken und reichten sie an Maila und Dylan weiter. Als sie sicher im Schubkarren war, schoben sie gemeinsam diese in Richtung Tür. Vorsichtig fuhren sie aus der Halle, den Strand entlang zum Wasser. Dort hoben sie die Schildkröte wieder aus der Karre und liesen sie auf dem nassen Sand nieder. Schnell machte sie sich auf den Weg ins Meer und sobald das Wasser tief genug war, tauchte sie unter. Das machten sie nun auch mit den andren und kaum eine halbe Stunde später waren alle Bastardschildkröten wieder in Freiheit.

 Sie brachten alle Sachen wieder dorthin, wo sie diese gefunden hatten und verließen die Lagerhalle. Faith schloss alle Türen noch ab und sie schlenderten einen kleinen Pfad entlang, der wohl schon lange nicht mehr benutzt wurde. „Was wollen wir nun eigentlich machen, ich wäre ja für eine Runde schwimmen mit einem Mitternachtssnack," meinte Dylan mit einem Grinsen. „Gerne, aber vorher muss ich noch jemanden anrufen." „Mann, wie oft willst du denn heute noch jemanden anrufen. Ist dir dein Handy etwa schon ans Ohr gewachsen?" „Nein, aber vorher habe ich doch gesagt, ich muss einen Gefallen einlösen. Und am besten mach ich das gleich." 

Erneut zog sie ihr Handy heraus und wählte die Nummer eines Freundes. Es dauerte ein wenig, doch bald ging er ran. „Warum rufst du mich so spät noch an? Du weißt, dass ich es hasse, Mitten in der Nacht geweckt zu werden!" Von seiner schlechten Laune lies sie sich wenig beeindrucken. „Ja weiß ich, aber es ist wichtig. Ich habe noch einen Gefallen bei dir gut und den wirst du mir nun erfüllen müssen." Entsetzen war in seiner Stimme zu hören. „Wegen so etwas rufst du JETZT an? Spinnst du völlig?" „Hör mal, es ist wirklich wichtig, du müsstest sofort los. In der Nähe von Varadero ist, verborgen im Wald, eine Lagerhalle. Dort haben vor kurzem ein paar Wandler Bastardschildkröten gefangen gehalten. Wir haben sie freigelassen und du sollst nun schauen, ob sie sich an ihr Versprechen halten, und nicht erneut sowas machen." Nachdem er einmal tief ein- und ausgeatmet hatte, antwortete er ihr in einem weniger genervten Ton. „Von mir aus, ich bin in einer viertel Stunde da. Schick mir den genauen Standort der Halle." 

Ohne sich zu verabschieden legte er auf. Doch sie war ihm nicht beleidigt deswegen. Denn dafür kannte sie ihn zu gut, wenn er nicht genug Schlaf hatte, wurde er schnell sauer. Bevor Dylan zu Wort kam, wählte sie die Nummer des Arztes. Sie erklärte ihm die Situation und er war sofort damit einverstanden, nach ihnen zu sehen und Faith über ihre Situation im Dorf zu informieren. Als sie auch das geregelt hatte, schickte sie ihrem Freund den Standort der Lagerhalle und steckte ihr Handy weg. 

„Können wir nun los?" „Ja, können wir." Gemeinsam gingen sie weiter, bis der Weg an einem Strand endete. Sie liefen noch ein Stück bis sie zu einem hohlem Baum kamen. Dort zogen sie ihre Kleidung aus und verstauten diese wieder. Maila machte dabei den Anfang und die Jungs drehten sich währenddessen um. 

Als sie fertig war, kam sie zu Faith ins Wasser, die schon vorgegangen war, und verwandelte sich auch. Tajo und Dylan beeilten sich und stießen zu ihnen. Nach dem ganzen hier hab ich echt Hunger, also lasst uns einen Fischschwarm oder ähnliches finden. Dylan preschte vor und die andren folgten im zielstrebig. Auch Faiths Bauch grummelte und sie schloss sich gerne dem kleinen Raubzug an. 

Seawalker FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt