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Dieser Tag war alles andere als normal verlaufen. Wednesday wäre neben ihm beinahe die Treppe hinuntergestürzt, hätte er sie nicht am Arm festgehalten. Sie schien abwesend, beinahe so, als würde sie verdrängen, was am vorherigen Tag zwischen ihnen passiert war und es machte ihn wahnsinnig. Bianca übte in den Gängen in jeder freien Minute ihre Tanznummer. Eugene quälte alle in den Pausen mit seinen schiefen Klarinettentönen. Die Schule schien wie ein Zirkus, alle verhielten sich wie Clowns.

Mrs. Ashton hatte sie zu alldem Chaos noch einen unangekündigten Test schreiben lassen und noch nie hatte er Wednesday so empört erlebt. Ihre Schimpftirade über den Test und die Tatsache, dass sie beim Ausfüllen der Fragen fast mit dem Kopf auf dem Tisch aufgeschlagen wäre, würde er so schnell nicht mehr vergessen. Nach der Stunde liefen sie gemeinsam in Richtung der Wohnheime. Noch immer schimpfte sie: „Mrs. Ashton sollte ihre Prioritäten klären. Entweder verdonnert sie Schüler dazu, an einem völlig unnötigen Wettbewerb teilzunehmen. Sie und Moody hatten beide auf mich eingeredet.“, mit großen, nervösen Augen blickte sie zu ihm. „Oder sie lässt uns einen Test schreiben. An einem Tag, an dem alle vollkommen durchdrehen!“, sie lief so schnell, dass Xavier kaum hinterherkam, „Auch wenn ich jede Antwort gewusst habe, ich glaube nicht, dass die anderen genug Zeit hatten, zu lernen. Es ist unfair, unnötig und vollkommen…“ Er packte ihren Arm und zog sie sie eilig hinter sich her durch die beiden Schwingtüren der Bibliothek, an der sie soeben vorbeigelaufen waren. 

Sie war still und hatte sofort vergessen, was sie sagen wollte. Wednesday blickte kurz über die Regale und den Raum. Niemand war da, sie waren allein. Ihre Augen blieben an dem grünen Buch hängen, das weit oben im linken Regal stand. Die Erinnerung an ihre Nacht in der Kammer kam schlagartig zurück wie ein süßer, vertrauter Duft. Ihre Wut über Mrs. Ashton war verflogen, war sie doch nun vollkommen eingenommen von einem anderen Gefühl.

Xavier ignorierte alles um sich herum und starrte sie an: „Was ist los? Du bist irgendwie…“ Er fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare. „Habe ich irgendetwas falsch gemacht? Gestern?“ Er flüsterte.

„Gestern?“, fragte sie verwundert nach. Wednesday bekam das Wort kaum heraus, als sie sah, wie besorgt er war. Sie hatte nicht bedacht, dass er sich Sorgen machen könnte. „Nein nein… es ist alles gut. Ich bin nur müde und seltsamerweise …“ „Nervös?“, vollendete er ihren Satz. „Ja… nervös.“ „Warum? Wegen der Show? Das sollte dich doch absolut kalt lassen oder nicht?“ Er blieb still vor ihr stehen, auch wenn der Wunsch nach Nähe zu ihr in seinen Knochen brannte. Xavier wollte sie keineswegs einschüchtern, hatte er doch unglaubliche Angst, dass er am Abend zuvor zu weit gegangen war. 

Doch dann, als sie sah, wie seine Augen voller Sorge glänzten, setzte sie sich in Bewegung. Sie kam auf ihn zu und hob ihre rechte Hand. Sie legte ihre Finger auf seine Wange: „Seitdem ich hier bin…“, sie stotterte, „Seitdem ich dich kenne, lässt mich nichts mehr kalt… so viel steht fest.“ Er atmete erleichtert auf, legte seine Hände auf ihre Hüften und zog sie sanft zu sich. Für einen kurzen Moment sah sie an ihm vorbei, direkt zu dem grünen Buch, das zur versteckten Kammer führte. Dieses Mal ertappte er sie dabei. Er sah ebenfalls hin für einen Augenblick. Mit tausend Fragen in seinem Kopf sah er wieder zu ihr, die Sorge in seinem Blick verwandelte sich im Bruchteil von Sekunden zu einem feurigen Verlangen voller Erwartung und Vorfreude. Er wagte es nicht, es auszusprechen, was ihm im Kopf umherschwirrte.

Sie sah es ihm an, an der Art wie seine Brauen zuckten, wie er immer wieder auf ihren Mund starrte. Wednesday handelte wie besessen, von einer fremden Macht gesteuert. Sie griff mit ihren Händen nach seinen Oberarmen und schob ihn nach hinten, immer weiter Richtung Regal. Sie warf ihn hart gegen das Holz, so fest, dass er sich den Kopf an einem der Regalböden anschlug. Er grinste schmerzverzerrt: „Das hat wehgetan.“ „Gewöhn dich dran.“, ihr Lächeln schien beinahe wahnsinnig, wie das einer Verrückten. Sie stieg mit ihrem Fuß zwischen seinen Beinen auf eines der unteren Bretter und kletterte hinauf. Nervös verfolgte er ihren Bewegungen. Ihr Körper rutschte an ihm vorbei, er hob seine Hände an, aus Angst, dass sie stürzen könnte. Ihre Nähe war berauschend und trieb ihm die Hitze ins Gesicht. Sie griff nach dem grünen Buch, sprang wieder nach unten und die Tür öffnete sich hinter Xavier. Er drehte sich kurz um. 

Woe is me, my loveWhere stories live. Discover now