Kapitel 23: Atlas

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Es zerriss mich, sie so zu sehen

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Es zerriss mich, sie so zu sehen.

Als wäre sie nur noch eine leblose Hülle bewegte sie sich über den Asphalt direkt zu der Ampel, an der sie jeden Tag für wenige Minuten verweilte. Auch heute blieb sie stehen und starrte mit leeren Augen auf die gegenüberliegende Seite, als würde ich dort stehen. Und wie jeden Tag lief ihr eine einzelne Träne über die Wange, als sie erkannte, dass ich nicht da war. Doch das war ich. Wenn sie wüsste, dass ich seit dem Tag, als ich sie verlassen hatte, jeden Tag an ihrer Seite war, ohne mich zu zeigen, würde sie mich noch mehr verfluchen.

Doch ich konnte diese Grenze, die uns trennte, nicht überwinden. Ich durfte nicht.

Und so sah ich dabei zu, wie es ihr in den vergangenen zwei Wochen immer schlechter ging. Ihre Augenringe wurden jeden Tag größer. Sie schlief nicht mehr und wenn, dann weinte sie sich in den Schlaf. Jeden Abend hörte ich ihre erstickten Schreie, die meinen Namen riefen. Doch ich erlaubte meiner Seele nicht, dem Drang nachzugeben, zu ihr zu gehen. Im nächsten Leben würde sie glücklich sein. Ihre Seele würde sich nicht mehr an mich erinnern und sich nicht mehr nach mir sehnen.

Dass ihr nächstes Leben voller Freude und Glück sein würde, war mir ein kleiner Trost. Doch es änderte nichts daran, dass es mir jeden Tag schwerer fiel, nicht zu ihr zu gehen und sie in die Arme zu schließen. Ich wollte ihr rundes Gesicht in meine Hände nehmen und ihr all das Leid, das sie täglich ertragen musste, wegküssen und sie heilen.

Doch ich hatte kein Recht mehr in ihr Leben einzugreifen.

Stattdessen stand ich noch immer hier, im Schatten der Baumallee und sah ihr zu, wie sie sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schläfe hielt. Meine Hände waren zu Fäusten geballt und mein Körper bebte vor Anspannung und Selbsthass, den ich in diesem Moment nur noch stärker verspürte.

Als sie über den Bordstein stolperte, ihr Gleichgewicht verlor und auf den Asphalt fiel, löste ich mich instinktiv aus meinem Versteck und wollte zu ihr, doch es war Horus Stimme, die mich zurückhielt.

Wenn du jetzt zu ihr gehst, war all das umsonst. Athanasios wird mit ihr keine Gnade zeigen. Du machst das alles für sie. Handle jetzt nicht instinktiv. Bleib ruhig. Atme. Und denke gut über deine Handlung nach.

Ich erstarrte mitten in der Bewegung, da ich wusste, dass er recht hatte. Doch ihr leises Wimmern riss meine Seele in zwei. Ich konnte nichts anderes tun, als zurück in den Schutz der Bäume zu treten und sie dabei zu beobachten, wie sie sich zittrig durch die braunen Haare fuhr und sich tapfer die Tränen von ihren eingefallenen Wangen wischte. Die Kniee waren beide aufgeschürft, aber das schien sie nicht einmal zu bemerken. Sie schulterte ihre Tasche und lief mit leicht gebückter Haltung weiter in Richtung ihrer Arbeitsstelle. Den Kopf stets auf die Straße gerichtet.

Während ihre Silhouette immer kleiner wurde, nahm das dumpfe Pochen in meiner Brust und die Sehnsucht in meiner Seele immer weiter zu. Umso größer die Distanz zwischen uns wurde, umso stärker wurden die Schmerzen. Es war, als würde glühende Magma mich von innen heraus verbrennen. Deshalb kehrte ich immer zu ihr zurück, um auch den Schmerz für sie erträglicher zu machen.

Soulless - Auf ewig verbundenWhere stories live. Discover now