Kapitel 1

92 3 3
                                    

Sehnsüchtig schweifte mein Blick vom Schreibtisch aus durch das Fenster direkt auf den gegenüberliegenden Buchladen hinunter. Was würde ich dafür geben, diesen Ort nur einmal persönlich zu betreten. Mit den Fingerspitzen entlang der vielen Buchrücken zu streichen und die Rückwand jedes einzelnen zu Lesen. Verträumt zuckte ich auf, als meinte Mutter mein Zimmer betrat.

„Guten Morgen, mein Schatz, hast du gut geschlafen?"

Ich nickte ihr zu und gab ein leises, verschlafenes „Mhm", von mir.

„Bist du denn schon so früh an den Hausaufgaben dran oder immer noch?", Sie warf mir einen besorgten Blick zu.

„Keine Sorge, Mum. Ich hab erst vor einer Stunde angefangen. Ich hab mir nämlich als Ziel für heute gesetzt, mein Workbook online einzureichen" und deutete auf die geöffnete Webseite der IU.

„Ach, ich bin so stolz auf dich, mein Schatz. Wir sollten deine Abgabe heute feiern, du arbeitest so hart, da hast du dir das verdient. Gibt es etwas, dass du gerne unternehmen möchtest?

Ich zögerte einen Moment, denn eigentlich kannte ich die Antwort auf meinen Wunsch schon. Trotzdem wollte ich diesen nicht aufgeben.

„Ja, ich würde gerne in den Buchladen gegenüber gehen."

Ich erstickte fast an meinen eigenen Worten, so trocken und leise brachte ich sie zum Vorscheinen.

Ihr Blick verschärfte sich zu zwei schmalen Schlitzen, die mich sauer anfunkelten. „Rose, ich habe dir jetzt schon mehrfach gesagt, dass das einfach nicht geht. Wenn es ein Buch gibt, das du haben willst, bringe ich es mit oder bestelle es online.

„Aber Mum, der Buchladen ist gleich gegenüber, es wird schon nichts passieren, wenn wir schnell reingehen. Was ist schon gefährlich an einem Buchladen."

„Schon nichts passieren? Rose jetzt hör aber auf mit dem Blödsinn. Der Inhalt dieser Bücher ist gefährlicher, als du denkst. Die manipulieren uns. Wir diskutieren da nicht länger drüber. Versprich mir, dass du niemals einen Buchladen betrittst. Haben wir uns da verstanden?

Ich verschränkte die Arme und kauerte mich in meinem Schreibtischstuhl zusammen. Ich schwieg, während meine Augen schrien.

Rose-Mary" sagte meine Mutter nun lauter.

Ich gab auf und nuschelte ein leises „Versprochen".

Ihr Gesicht nahm wieder einen entspannteren Ausdruck an und ihre Stimme wurde wieder ruhiger. Der Tonfall hatte etwas Mitleidiges.

„Wie wäre es denn, wenn ich heute Nachmittag mal dein Lieblingsessen koche. Ich wollte sowieso heute noch einkaufen. Soll ich dir was vom Supermarkt mitbringen?"

Sie streichelte sanft meinen Kopf und schob eine der Haarsträhnen hinter mein Ohr.

„Kinderpingui" rief ich und hatte jetzt auch wieder ein Lächeln auf dem Gesicht.

„Dann gibt es heute halt Lasagne und zum Nachtisch Kinderpingui. Viel Erfolg bei deinem Workbook. Ich hab dich lieb,"sagte sie und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

Mit einem zufriedenen und doch aufgezwungenen Lächeln schloss sie die Zimmertür. Ungefähr 20 Minuten später hörte ich die Haustür ins Schloss einrasten. Ich hob mich vom Schreibtischstuhl auf und spähte aus dem Fenster. Ich konnte genau beobachten, wie sie mit dem weißen kleinen Smart aus der Einfahrt hinausfährt. Als ich mich gerade wieder in meinem Sessel fallen lassen wollte, blieb mein Blick wieder am Buchladen haften. Ich bin kein schlechter Mensch, aber in gewissen Situationen frage ich mich: Was würde ein schlechter Mensch tun? Was, wenn ich... nur ganz schnell rein... nein Rose NEIN. Du hast es deiner Mutter versprochen redete ich mir ein und wandte mich wieder meinem Workbook zu.


Rote Rosen haben Stacheln und keine DornenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt