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Spuren im Schnee

Hoch lag der unberührte Schnee in dem Küstenwald, dessen Bäume von einer glitzernden Eisschicht überzogen waren. Klirrend kalt war es in dieser Winternacht, der längsten aller Nächte. Hoch oben an einem schwarzen Himmel funkelten die Sterne, Diamanten gleich, die man auf einem samtenen Tuch verteilt hatte. Eine schmale Mondsichel stand dort am Himmel, kaum noch in der Lage, etwas Licht in der totalen Dunkelheit zu spenden.

Ein eisiger Wind wehte vom Meer her und trieb feine Schleier aus scharfen Eiskristallen vor sich her.
Nichts regte sich in dem Wald.
Bedeckt von Schnee und Eis hingen die Zweige der Nadelbäume schwer herab, sodass die Bäume zusammen gekauerten Greisen ähnelten, die sich unter dicken Mänteln vor der Kälte zu verbergen suchten.
Jedes Geräusch wurde von der dicken Schneedecke verschluckt. In tiefem Schlummer lag die Welt da, wartend, dass diese Nacht vorüber ging und das Licht wieder an Stärke gewinnen würde.
Kein Leben schien in dem eisigen Winterwald zu sein.
Doch da...

Ein schlanker Schatten huschte zwischen den herab hängenden Zweigen hindurch, duckte sich dicht an den Boden und hob witternd das Näschen in die Luft.
Ein Fuchs hatte sich trotz der Kälte und des Windes aus seinem Bau gewagt.
Das Fell gesträubt, um sich möglichst warm zu halten, eilte er von Baum zu Baum, wo er etwas vor dem kalten Wind geschützt war.
Hunger hatte ihn aus seinem Schlaf geholt. Eine Zeit lang hatte er das Knurren seines Magens zu ignorieren versucht, doch das war ihm nicht lange gelungen, und so war er dann eben doch nach draußen gegangen.
Innehaltend hockte er sich dicht an einen Baumstamm und legte seinen buschigen Schwanz um die kalten Pfötchen.

Es war fast unmöglich, nun hier etwas zu essen zu finden. Dem Fuchs lief das Wasser im Munde zusammen, als er an ein schönes, fettes Birkhuhn dachte, welches er nicht weit von hier im Herbst erlegt hatte. Das war ein Festmahl gewesen!
Heute würde er sicher mit weniger Vornehmem sich zufrieden geben müssen.
Er erhob sich, schüttelte den Schnee aus dem Pelz und lief los, die Nase in den Wind gereckt, in der Hoffnung, eine Fährte aufnehmen zu können.
Aber nichts war zu erschnüffeln... Kein Huhn, kein Eichhörnchen, noch nicht einmal ein paar erfrorene Brombeeren... Laut knurrte der Magen des armen Fuchses, der entmutigt stehen blieb und die Öhrchen hängen ließ. Wo sollte er nur etwas zu fressen her bekommen?

Er war so in seine Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, wie der Wind ein wenig die Richtung wechselte.
Da stieg ihm ein ganz seltsamer, fremder und süßer Geruch in die Nase. Was war das denn?
Noch nie hatte es so in seinem Wald gerochen.
War das Essen?
Er wusste es nicht, doch etwas in diesem Duft ließ ihn neugierig werden und erfüllte ihn mit einer Wärme, wie es sonst nur sein warmer Fuchsbau während eines furchtbaren Wintersturms vermochte.
Und er wäre nicht Fuchs, würde er derartigen Dingen nicht auf den Grund gehen!
Schnurstracks lief er los, den sonderbaren Gerüchen entgegen.

Mit jedem Stück, das er lief, wurde der Geruch stärker und stärker.
Plötzlich öffnete der Wald sich vor ihm und er stand am Rand eines schmalen Streifens Schneewüste, hinter der die Küste steil zum Meer abfiel.
Der Geruch von salziger Meeresluft mischte sich in den Wind.
Verunsichert blieb der Fuchs unter dem letzten Baum stehen und blickte auf die offene Landschaft hinaus, auf der er gänzlich ohne Schutz war. Noch nie hatte er sich aus seinem Wald heraus getraut. Allerhöchstens stahl er sich des Nachts in Dörfer der Menschen, die am Waldrand zu finden waren.
Doch der geheimnisvolle Geruch, der ihn hervor gelockt hatte, der wurde hier nur stärker, sodass er sich schließlich einen Ruck gab und an die Steilküste vor lief.
Wachsam spähte er nach unten und erblickte dort, in einem Fjord, Häuser und Lichter.

Dies war kein Dorf der Menschen.
Musik drang zu ihm empor, schöner, als er sie je gehört hatte. Lachen und Gesang mischte sich in den Klang hinein. Freundlich flackerten die Lichter unzähliger Laternen und Feuer zu ihm empor, versprachen Wärme und Behaglichkeit.
Und dieser Duft!
War das etwa gebratenes Fleisch? Und Honig?
Die Neugier siegte über jegliche scheue Vorsicht und so hatte er schnell einen schmalen Pfad gefunden, der ihn hinab brachte.

Mittelerde Adventskalender 2022Where stories live. Discover now