Kapitel 4 - Der Wolf im Rampenlicht

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Am nächsten Tag waren wir wieder beim Sender, dort sollten wir die Szenen, die wir vorher gelesen hatten, auch spielen. Dafür gab es extra einen Übungsraum, der aussah wie ein Tanzsaal mit Parkett und riesigen Spiegeln an den Wänden. Es ging nicht um Kostüme oder Sets, sondern eben darum, die Emotionen und Bewegungen der Charaktere einzustudieren. Dice und ich waren die Ersten. Er lehnte an der Wand, las im Drehbuch. Als er mich sah, nickte er mir kurz zu. In der Serie war er so etwas wie ein heimlicher Verehrer von Nok, sprach ihn aber nicht an, weil er wusste, wie schüchtern Nok war. Erst als Wolf auftaucht, mischt er sich ein. Also ein zertifiziertes drittes Rad am Wagen. Dice sah auch sehr gut aus, aber er übte nicht diese Faszination auf mich aus, wie Seua. Diesmal würden nur der Cast und unsere Schauspiel-Trainerin anwesend sein. Seua kam rein und als Dice ihn sah, lief er direkt auf ihn zu und umarmte ihn. Er nahm das lachend zur Kenntnis und erwiderte die Umarmung.

»Ganz ruhig, Dice. Wir haben uns nur einen halben Tag nicht gesehen.«

Mir wuschelte Seua durch die Haare: »Du bist immer überpünktlich, N'Cai.«

Es war mir eben wichtig, auch da zu sein, wenn meine Anwesenheit gebraucht wurde. Auch wenn es heute eher einem Wunder glich, da wir nach der Übernachtung am Strand, noch zum Hotel zurückmussten. Trotzdem hatten wir das alles relativ gut über die Bühne gebracht, Ray sollte sich heute freinehmen, weil ich den ganzen Tag beschäftigt sein würde. Langsam trudelten auch die anderen ein. Unsere Schauspiel-Trainerin war eine junge Frau, sie nannte sich P'Amy.

»Also Leute, hier geht es einerseits darum, dass ihr ein Gefühl für die Szenen bekommt, andererseits möchte ich, dass ihr ein bisschen auf Tuchfühlung geht. Ihr sollt lockerer miteinander werden, fasst euch ruhig an. Das steht schließlich im Vertrag.«

Wir setzten uns in einen Kreis und begannen verschiedenen Fakten über uns zu erzählen. Geburtsorte, Alter, Hobbies, wo man zur Schule gegangen ist. All das während wir die Hand auf dem Rücken der linken und rechten Nachbarn liegen hatten. Rechts von mir saß Seua, links Dice. Irgendwie entspannte es mich, weil wir eine sehr angenehme Atmosphäre schafften. Bei Sun und Moon waren die meisten Antworten gleich, immer wenn sie antworteten, lachten alle. P'Amy beobachtete uns genau, ermutigte uns immer wieder, nicht schüchtern zu sein. Später spielten wir noch Wer-bin-ich, wo man erraten musste, wer aus dem Cast man war.

»Also bin ich jetzt Sun oder Moon?«, fragte Pravat. Wir sahen uns an, aber ich zuckte mit den Schultern: »Das musst du schon selbst rausfinden, die Chancen stehen 50/50.«

Er seufzte: »Moon?« Alle lachten. »Falsch! Sun!«

Nach einer Pause begannen wir damit, die Szenen zu üben. Szene 1, Take 1. Seua verwandelte sich fast fließend in Nok. Seine ganze Körperhaltung änderte sich, wenn er zu Nok wurde. Dann war er nicht mehr der Selbstbewusste, sondern, der Zusammengesunkene. Seine Augen strahlten nicht mehr. Er stand vor einem imaginären schwarzen Brett, wo er seinen Namen eintrug. Dann spulten wir eine Woche vor, das erste Treffen von Wolf und Nok. Jetzt musste auch ich mich verwandeln. Also gut, Cai. Du bist jetzt nicht mehr der verschreckte Amerikaner, sondern der selbstbewusste Amerikaner, der weiß, was er will. Ich richtete mich auf und ging auf ihn zu. Mittlerweile saß er an einem Tisch. Im Rahmen des Programms wurden die ausländischen Studenten ihren Mentoren zugeteilt. Wolf war vorher auf einer Informationsveranstaltung gewesen, war dann auf dem Weg zum Treffpunkt mit Nok.

- Wolfsherz – Szene 1-

»Du bist Nok, oder?«

Ohne mich anzusehen, nickte er.

»Wolf, freut mich«, lächelnd streckte ich ihm die Hand hin, doch bekam keine Reaktion. Also änderte ich meine Taktik und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Erschrocken sah er mich an. Ich schmunzelte: »Geht doch! Auf gute Zusammenarbeit, Mentor«. Doch Nok brachte immer noch kein Wort heraus. Stattdessen drückte er mir einen Zettel in die Hand, auf dem seine Kontaktdaten standen und einige Hinweise zum Campusleben und dem Leben in Thailand generell. Seufzend setzte ich mich ihm gegenüber: »Komm' das wirst du mir doch auch sagen können, oder? Du studierst doch Englisch, oder nicht?« Als ich sah, wie er auf dem Tisch seine Hände zusammendrückte und offensichtlich mit sich rang, beschloss ich das Ganze etwas sanfter anzugehen. Manchen Leuten fiel das Sprechen eben schwer, da wollte ich ihn nicht unter Druck setzen. Trotzdem musste ich ihn ein bisschen aus der Reserve locken, sonst würde er überhaupt nicht mit mir reden.

WolfsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt