Kapitel 2 - Der Wolf und der Unfall

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Ohne es wirklich zu merken, stand ich vor Rays Tür, das Drehbuch immer noch in der Hand. Mit zitternden Händen klopfte ich an und er öffnete grinsend die Tür. Doch statt zu warten, ging ich sofort an ihm vorbei ins Zimmer. Ich klopfte auf das Drehbuch: »Ray! Das..« Immer noch grinsend schloss er Tür, brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Erinnerst du dich an dein Versprechen im Flugzeug? Nicht meine Schuld, ich habe mehrfach versucht, dich zu warnen.«

Fuck! Natürlich konnte ich nichts dagegen sagen, ich war selber schuld. Ich hatte mir weder seine Zweifel angehört noch darüber nachgedacht, dass Thailand notorisch für seine BL-Produktionen war. Ich ballte die Hand zur Faust. Ray lief auf mich zu, verstellte seine Stimme: »Ohh, P'Wolf, küss' mich! Los, den Vertrag hast du doch schon unterschrieben.«

Genervt stieß ich ihn weg. Das durfte ich mir jetzt die ganze Zeit anhören, denn vermutlich hatte Ray darauf spekuliert, dass es genauso enden würde. Gut, das hatte er sich wohl verdient. Doch er merkte auch, wie geschockt ich war und wurde schnell wieder ernst.

»Was machst du jetzt?«

Ich war noch nicht über den Fakt hinweg, dass ich gerade einen Vertrag unterschrieben hatte, ohne ihn zu lesen. Warum war ich so blöd? Das war so eine verdammte Caiden-Aktion! Erst handeln, dann denken.

»Was soll ich denn machen? Ich werde das Drehbuch lesen und den Rest des Tages heulen, weil meine eigene Dummheit mich hierhergebracht hat.«

Besorgt sah er mich an: »Nicht dein Ernst, oder?« Ich ließ mich in den Sessel sinken, der vor dem Tisch stand, legte das Drehbuch darauf ab.

»Ehrlich gesagt würde ich mich jetzt gerade gerne in Luft auflösen. Aber ich weiß, dass es dafür zu spät ist. Ich weiß, dass es Leute gibt, die diese Serie sehen wollen. Ich weiß, dass sehr viele Leute sehr hart gearbeitet haben und arbeiten werden, um das umzusetzen. Ich habe unterschrieben, also werde ich es durchziehen. Ein guter Schauspieler ist nämlich jemand, der alles spielen kann«, auch wenn ich das mehr zur mir selbst als Absicherung sagte, fühlte es sich gut an.

»Das stimmt. Also ich mag das Konzept der Serie und Seua hat schon in einigen BL-Produktionen mitgewirkt, er kann dir bestimmt helfen. Aber ich bin wirklich froh, dass du dich der Herausforderung stellen willst, Cai. Diese Serie wird deiner Karriere sehr guttun, da bin ich mir sicher. Die Frage ist nur: Kannst du dich überwinden, einen Typen zu küssen?«

Mal abgesehen davon, dass ich noch nicht wirklich viele Menschen in meinem Leben geküsst hatte und auch sonst von sowas keinen Plan hatte, klar, wieso fangen wir nicht direkt mit einem Typen an? Ich fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. Ich hatte großkotzig gesagt, dass ich die Herausforderung annehmen würde, also konnte ich mich davon nicht mehr lossprechen.

»K-klar! Das kriege ich schon hin. Ich will groß rauskommen und dafür werde ich alles tun«, ich stand auf und klopfte mir gegen die Brust. Ich fühlte mich wie der größte Betrüger von allen. Ray nickte, hatte schon wieder dieses überlegene Grinsen aufgesetzt: »Gut, packen wir's an. Falls du schon üben willst, Seua wohnt gegenüber.«

»Halts Maul.«

Zurück in meinem Zimmer hielt ich das Drehbuch weit weg von mir. Es fühlte sich an, als würden aus diesem Buch plötzlich Schlangen herauskommen. Als wäre es etwas Verbotenes, was ich auf keinen Fall öffnen durfte. Wollte ich das überhaupt lesen? Was würden Wolf und Nok noch alles miteinander anstellen? Ich hatte schlichtweg gesagt keine Erfahrung mit sowas und es fühlte sich an, als würde plötzlich eine riesige Wand vor mir stehen. Diese Wand konnte ich nur überwinden, wenn ich mir der Sache stellte. Entschlossen atmete ich auf. Mach' mich berühmt, Thailand! Wieder legte ich mich auf die Couch, las diesmal ein bisschen die Szenen. An der ein oder anderen Stelle blieb ich jedoch hängen...

WolfsherzWhere stories live. Discover now