»Jeder Mensch hat gute Gründe, sich zum Besseren zu ändern.«

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Sasha

Ich öffne die Augen, als sich etwas zwischen Myles und mich drückt. »Ich will auch kuscheln«, jammert der Junge.

»Hey!« Grinsend wehre ich mich nicht und lasse zu, dass er sich in die Arme des verschlafenen Myles quetscht. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. »Es ist Mitternacht. Warum bist du um diese Uhrzeit noch wach?«

»Ich habe Angst vor den Geistern«, erzählt er. »Pàpa sagt sie kommen nur an Día de los Muertos, aber ich glaube ihm nicht.«

Ängstlich deckt er sich zu und blinzelt mich an. Das wenige Mondlicht, das durch die Terassentür scheint, kann mir nicht viel von seinem Gesichtsausdruck preisgeben, aber ich sehe seine Augen und seine Zähne blitzen.

»Okay. Dann bleib bei uns liegen«, sage ich, weil ich mit so etwas nie umgehen musste. Ich quäle mich in meinen eigenen, kalten Schlafsack und rücke etwas näher heran, um wenigstens Myles' Hand zu halten. »Aber wehe du trittst mich im Schlaf! Dann schick ich dich zurück in dein Bett und-«

»Ich bin ruhig«, verspricht er mir und schließt die kleinen Äuglein. »Du wirst mich gar nicht bemerken.«

Ich habe ihn die ganze Nacht bemerkt. Er ist ein wahnsinnig unruhiger Schläfer, der wild um sich schlägt und hundert Mal die Position wechselt. So überrascht es mich auch nicht, dass als ich zum fünften Mal aufwache, es immer noch dunkel ist und ich seinem Fuß im Gesicht habe.

Ich kämpfe mich unter ihm hervor und stehe auf. Ich tapse leise in die Küche und schließe hinter mir die Tür.

»Morgen«, begrüßt mich Meralyn erschöpft. »Genauso beschissen geschlafen wie ich?«

Lachend setze ich mich an den Tisch. »Dein Kleiner hat sogar im Schlaf viel Energie.«

»Wir können ja mal tauschen. Ich habe die Bettlaken meiner Mutter wechseln und den Boden bis zum Badezimmer wischen müssen. Betrunkene Leute kotzen ernorm viel«, brummt sie und gießt Kaffee in zwei Tassen. Sie schiebt mir eine zu, als sie sich zu mir setzt.

»Trinkt sie viel?«, frage ich sie vorsichtig und kippe die Hälfte des Zuckers in die Tasse, nur um festzustellen, dass ich den ganzen Zucker brauche.

»Sie ist Alkoholikerin«, sagt Meralyn und mustert mich, als würde sie auf meine Reaktion warten.

Ich nicke. »Habe ich mir schon gedacht. Wie geht es dir damit?«

Überrascht sieht sie mich an, als würden die Leute nie nach ihrem Befinden fragen. Etwas hadert sie mit einer Antwort. »Besser als Myles, nehme ich an.«

»Myles redet nie von euch«, murmle ich und fühle mich schlecht, weil ich das Gefühl habe, nicht mit ihr darüber reden zu sollen. »Liegts an euer Mom?«

Sie seufzt und sieht verträumt in ihre dampfende Brühe. »Myles möchte endlich Abstand zu all dem haben. Er hat genug gemacht. Er hat mich aufzuziehen und sich um unsere depressive, alkoholkranke Mutter gekümmert. Er will endlich leben und nicht nur für uns existieren.«

Super, dass ich dann da bin, denke ich genervt. Mal wieder stehe ich jemanden im Weg.

»Ich habe lange gebraucht, um das zu verstehen«, setzt sie fort. »Aber seit ich unsere Mom unterstütze, kann ich seine Wünsche und Bedürnisse nachvollziehen. Ich denke, es ist das Beste, Mom einfach in die Reha zu stecken und ihr so zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann.«

»Sie muss es wollen. Solange sie sich nicht bessern will, können ihr die Leute sagen, was sie wollen«, sage ich bitter. »Ich musste erst einmal meine Eltern zum Weinen bringen, um zu kapieren, dass die Sucht nicht nur mich sondern auch anderen um mich herum verletzt.«

BullyWhere stories live. Discover now