»Willst du trotzdem ein Mitleidsküsschen?«

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Myles

Sasha geht mir aus dem Weg. Sobald er mich sieht, verschwindet er und ich kann ihn nicht mehr finden. Es ist, wie als hätte er den Tarnumhang aus Harry Potter. Das geht jetzt schon seit ein paar Tagen so.

»Myles, kommst du zur Silvesterfeier morgen?«, fragt mich Noella interessiert. »Waylen hat uns zu sich eingeladen und hat mich gebeten, dich auch zu fragen.«

Ich überlege einen Moment, doch schüttle dann den Kopf. »Lieber nicht.«

Sasha ist zu Waylen gezogen. Ich möchte Sasha nicht zwingen, mit mir zu reden. Er möchte sicher mit ihnen feiern und ich würde nur stören.

Sofia kommt mit ihrem frischen Kaffee hereinspaziert. Als sie uns sieht, lächelt sie fröhlich. »Und hast du ihn schon gefragt?«

»Er kommt nicht mit«, sagt Noella genervt und verdreht die Augen. Seit sie bei Waylen hocken, treffe ich mich außerhalb der Arbeit gar nicht mehr mit ihnen.

Ich schlucke schwer und schalte meinen Computer aus. »Ich mache jetzt Pause. Bis später.«

Sie verabschieden sich bei mir und verschwinden im Aufenthaltsraum, aus dem Sofia gerade erst gekommen ist.

Ich nehme wie immer die Treppe und werfe einen Blick aus dem Fenster. Der Hof ist fast leer. Einzig und allein eine Person sitzt unten und trinkt ihren Kaffee.

»Jacob?« Verwirrt reiße ich mich los und hüpfe die übrigen Stufen hinunter. Ich schlüpfe aus der Tür hinaus in die Kälte und verfluche mich dafür, dass ich meine Jacke nicht mitgenommen habe.

Jacob sieht überrascht auf. Als er mich sieht seufzt er kläglich. »Was willst du, Myles?«

»Dir Gesellschaft leisten«, erkläre ich ihm und setze mich neben ihn. »Was machst du hier draußen? Es ist arschkalt.«

»Sasha aus den Weg gehen«, raunt er. »Ich darf mich ihm immer noch nicht nähern, deswegen mache ich seitdem meine Pause hier.«

Ich lächle tröstlich. »Keine Sorge! Hier wird er nicht auftauchen. Er geht mir aus dem Weg.«

Er nickt, zögert, doch erhebt sich dann. »Willst du in die Cafeteria gehen? Ich lade dich ein.«

Ich laufe ihm wieder hinterher zurück in die Wärme. Rebecca wirft mir einen prüfenden Blick zu, als ich Jacob im Schleppdau in die Cafeteria folge.

Ich hebe die Hand und winke ihr sanft. Sie möchte eindeutig etwas dazu sagen, hält aber den Mund und kümmert sich darum, eine alte Dame davon abzuhalten, sich an ihr vorbeizuschleichen.

Jacob stellt sich an und tippt abwartend mit dem Fuß auf den Boden. Tapp, Tapp, Tapp. Er dreht sich zu mir um.

»Warum geht dir Sasha aus dem Weg?«, fragt er mich neutral, aber in seinen Augen liegt glänzende Interesse. »Hat er genug von dir? Ist er fertig mit Spielen?«

Ich verdrehe die Augen. »Wenn du nur etwas netter wärst, hättest du vielleicht auch mehr Freunde.«

»Wahrscheinlich«, sagt er zustimmend und bestellt uns zwei Chickensandwiches und einen Kaffee für mich.

Wir nehmen alles an, er bezahlt und wir setzen uns auf den ersten freien Tisch. Ich rühre in meinem Kaffee und mustere ihn.

Letzendlich ist er der Erste, der die Stille bricht. »Ich nehme an, er läuft mal wieder weg?«

Ich sage nichts, halte mich sogar vom Nicken ab. Es scheint ihm dennoch Antwort genug zu sein.

»Hat er immer schon gemacht. Es hat angefangen als er vier war. Er hat seine Sachen gepackt und war weg. Unsere Eltern haben ihn für Stunden gesucht. Meine Tante ist fast durchgedreht, weil er nirgends aufzufinden war. Schließlich hat man ihn in seinem Baumhaus gefunden.«, erzählt er mir grinsend. »Er hat nie dasselbe Versteck zwei Mal genommen und irgendwann waren seine Verstecke so gut, dass wir sogar die Polizei rufen mussten, um ihn zu finden.«

BullyWhere stories live. Discover now