»Man muss nicht sterben, um wiedergeboren zu werden«

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Myles

Ich lehne erschöpft die Stirn an den kühlen Spiegel des Aufzugs und betrachte mich aus naher Entfernung. Ich sehe genauso aus wie ich mich fühle - wie ausgekotzt.

Den ganzen Tag hat mich mein Chef von einem Ort zum anderen taktiert. Zuerst musste ich Kaffee besorgen, dann musste ich ihm ein paar Kopien bringen, die er dann aber doch nicht mehr wollte. Gegen Ende habe ich seiner Affäre Blumen in seinem Namen gebracht und mich komplett zum Affen gemacht, da sie dachte, die Blumen wären für mich.

»Ich hätte BWL studieren sollen«, jammere ich und stütze mich von der Wand ab, als der Lift sein erlerntes Ping macht und sich die Türen zwingend öffnen.

Ich schleppe mich zur Wohnungstür und krame meinen Schlüssel aus dem Jacket. Ich trete herein und steige in eine komische, klebrige Masse. Ich hebe den Fuß, doch er löst sich nicht vom Parkett.

Ich hebe den Kopf und reiße weit die Augen auf. In der Küche hat ein Sturm getobt. Sämtliche Tücher und Shirts von mir liegen am feuchten Boden, meine Küchenschränke sind alle aufgerissen. Essensreste, kaputtes Geschirr und zerknüllte Küchenrollenblätter liegen überall verstreut.

Im Wohnzimmer sieht es dagegen aus wie immer. Mit der Ausnahme, dass der Tisch gedeckt ist, als würde mich ein schönes Abendessen erwarten. Leider ist alles, was ich bekomme nur ein Saustall.

»Sasha?«, rufe ich nach dem vermeindlichen Täter dieses Attentats gegen meine geliebte Wohnung. »Wo versteckst du dich und warum hast du noch nicht aufgeräumt?«

Ich bekomme keine Antwort. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen, um endlich weiterzukommen und sehe mich in den weiteren Räumen um, doch auch dort finde ich ihn nicht wieder.

Ich gebe auf und kehre zurück zu dem Saustall, den Sasha fabriziert hat. Ich bleibe ein weiteres Mal stecken, doch dieses Mal mit den Socken. Ich lasse mich kraftlos auf den Boden sinken und atme tief durch. Ich bin viel zu müde, um mich richtig aufzuregen, doch nach Weinen ist mir ebenfalls nicht zumute.

Ich zucke zusammen, als die Haustür aufgesperrt wird und kurz darauf Sasha die Wohnung betritt. In seiner rechten Hand hält er eine Tüte, in der linken hält er eine weiße Pappschachtel. Er stellt alles auf dem Kaffeetisch ab und begrüßt mich fröhlich, »Wie war dein Arbeitstag, Smiles?«

Ich seufze schwer und lasse meinen Kopf auf meinen Schoß sinken. Ich vergrabe mein Gesicht zwischen meinen Oberschenkel und kann endlich am Geruch erkennen, was das klebrige Zeug am Boden ist: Karamell, Schokolade und Spülmittel. Ich hebe schnell wieder den Kopf, da meine Riechschleimhaut überreizt wird.

»Klingt gar nicht gut«, murmelt der blonde Mann und beginnt die Tüte auszupacken. »Du solltest dich umziehen und dann zu mir setzen.«

»Ich habe keinen Hunger«, murmle ich und starre entsetzt auf das, was er vor meinen Augen auspackt. Er gibt zwei Mal Reis, zwei mal Süß-Sauer-Suppe, einmal Gong-Bao-Hühnchen und drei Mal frittierte Teigtaschen. Auch zwei Glückskekse und zwei Paar Essstäbchen finden ihren Platz auf dem kleinen Tisch. »W-wie viel hast du dafür gezahlt?«

Er zuckt gleichgütig mit den Achseln. »So um die 30$.«

Ich sehe mein Geld vor meinen Augen verbrennen und könnte aufschreien, doch auch dazu fehlt mir jegliche Kraft heute. Wenn ich jetzt nicht esse, werde wir es nur wegwerfen und ich habe wirklich um sonst so viel Geld ausgegeben. Ich erhebe und schleppe mich zum Tisch. Ich sehe Sasha auffordernd an und bekomme von ihm ein Kissen, um mich setzen zu können.

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