Kapitel 37: Erkenntnis

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„Eya, lass uns eine Pause machen“, sagte Tikva leise.

Eya sah sie erstaunt an, nickte dann aber und setzte sofort zum Landeflug an. Moment später standen sie auf dem Boden der Grasebene zwischen Teoras und Tais. Eya ließ sich sofort auf den Boden fallen, während Tikva sich vorsichtig hinsetzte. Ihre Flügel sanken hinter ihr auf den Boden, ihre Muskeln zu schwach um sie gerade zu halten. An ihrem Gürtel war eine Wasserflasche befestigt, die sie gierig leer trank.

„Es tut mir Leid, dass ich euch so gehetzt habe“, entschuldigte sich Tikva und sah zu Eya.

Eya setzte ihre Wasserflasche ab und nickte. „Das sollte es auch. Ich weiß, du willst so schnell wie möglich nach Tais zu den anderen, aber das kannst du nicht auf Kosten anderer machen.“

„Das weiß ich jetzt“, gab Tikva kläglich zu. „Aber warum hast du nicht eher etwas gesagt?“

Eya hob eine Augenbraue. „Du warst vorhin so stur und verbissen. Du hast noch nicht mal auf Queratan gehört. Und auf mich hättest du auch nicht hören wollen in deinem Drang. Du musstest schon selber erkennen, dass du falsch gehandelt hast.“

„So schlimm?“

Eya nickte. „Absolut. Meistens ist es gut, dass du so stur bist. Aber du kannst es nicht immer sein. Manchmal ist es besser Kompromisse einzugehen. Vor allem wenn es um das Leben anderer geht.“

„Danke, dass wenigstens du bei mir bist.“ Tikva meinte es wirklich so. Wenn Eya nicht wäre, dann würde sie wahrscheinlich irgendwann abstürzen weil sie zu stur war.

„Wir haben achtzehn Jahre unseres Lebens miteinander verbracht“, erwiderte Eya mit einem Lächeln. „Von denen du ungefähr achtzehn genauso stur warst. Ich kenne dich.“

Tikva und Eya waren in der gleichen Straße in Alasdes Armenviertel aufgewachsen. Zusammen hatten sie schon früh die Straßen unsicher gemacht, immer auf der Suche nach einem Weg den Tag zu überleben. Sie hatten einer kleinen Bande von Taschendieben angehört, ebenso wie Veon, Istvan und später auch Miko. Und jetzt war aus der kleinen Bande von Taschendieben die Lynx von Alasde geworden. Immer noch ging es darum den Tag zu überleben. Und doch steckte so viel mehr dahinter.

In dieser Nacht waren sie unterwegs zu dem größten Kampf ihres jungen Lebens. Bereit sich allem zu stellen. Sie würden es schon irgendwie schaffen, so wie es in den letzten Jahren auch immer geschafft hatten.

***

„Seht ihr wer auf dem Thron sitzt?“

Automatisch sahen Saya und Aila, die bisher mehr dem Geschehen um sie herum Aufmerksamkeit geschenkt hatten, genauer hin. Sayas Gesicht verzerrte sich vor Wut, als sie es erkannte.

„Das kann doch nicht wahr sein“, zischte Aila. Aus ihrer sonst so ruhigen Stimme sprach Unglauben, aber auch Hass mischte sich hinein. Es passte nicht zu ihr, es war so ungewohnt.

„Oh doch“, erwiderte Saya. „Diese miese, kleine Ratte. Jiral hat ihm vertraut und ich hab mir natürlich auch nichts dabei gedacht. Aber er kam mir so bekannt vor, auch wenn ich ja noch nie wirklich gesehen habe.“

Aila wandte sich zu Erin und sah sie besorgt an. „Geht es dir gut? Sollen wir hier wieder weg?“

Erin schüttelte den Kopf. „Nein, wir bleiben“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Er soll ruhig sehen, dass ich nicht klein beigebe.“

„Aber was ist wenn er ihr schon Bescheid gesagt hat?“, warf Aila ein.

Saya sah sich kurz um, dann zog sie die beiden aus der Menge heraus, zurück an den Rand des Saales. Ruben und der Thron verschwanden aus ihrem Blick. „Hier können wir besser reden“, erklärte Saya. „Aila hat Recht. Wenn er Veara schon gesagt hat, wer wir sind und dass wir hier sind, dann stehen wir auf der Tanzfläche vollkommen auf dem Präsentierteller.“

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