𝟐𝟏: 𝐏𝐑𝐄𝐏𝐄𝐑𝐀𝐓𝐈𝐎𝐍𝐒

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𝟐𝟏: 𝐏𝐑𝐄𝐏𝐄𝐑𝐀𝐓𝐈𝐎𝐍𝐒

𝐃𝐄𝐍 𝐆𝐀𝐍𝐙𝐄𝐍 𝐌𝐎𝐑𝐆𝐄𝐍 𝐋𝐀𝐍𝐆 schielte ich immer und immer wieder auf meinen Sari, der an einem Bügel an der Türklinke meiner Zimmertür baumelte.
Ich konnte es kaum erwarten ihn zu tragen und, wenn ich ehrlich war, konnte ich es auch nicht erwarten, dass Eddie mich darin sah.
Trotzdem waren meine Hoffnungen begrenzt.
Auch, wenn Maya mir eine ganz neue Perspektive aufgezeigt hatte, hieß das noch lange nicht, dass Eddie die Dinge wirklich so sah.
Dass der Kuss in ihm auch etwas aufgedeckt hatte, dass Jahrelang verschollen gewesen war.
Von dessen Existenz wir nichts wussten .
Wir beide nicht.

Unsere Freundschaft war das was man in einem Lexikon unter dem Eintrag platonisch fand.
War sie immer gewesen.
Bis er mich mit seinen weichen Lippen um den Verstand küsste.
Und darauf folgend mir offenbart wurde, dass so ziemlich dasselbe mit Judy passiert war.
Mehr noch, Eddie war allem Anschein nach wütend auf sie, weil sie die ganze Sache beendet hatte.
Hieß das nicht im Umkehrschluss, dass er immer noch an ihr hing?
Und wollte ich wirklich eine Antwort darauf?

»Aly. Bist du scheinträchtig oder warum schnaufst du so?«, holte mich Maya aus meinem wirren Gedankenkonstrukt.
Lachend schmiss ich einen der Putzlappen nach ihr.
Wieso wir noch einmal den ganzen Trailer reinigen mussten, wo doch woanders gefeiert wurde, wollte sich mir nicht erschließen.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass eine Gottheit uns heimsuchen würde, wenn meine Chucks im Wohnzimmer lagen, anstatt in meinem Kleiderschrank.
Außerdem würden wir erst morgen Lakshmi, der Göttin des Glücks gedenken.
Der Trailer am heutigen Tage war  somit gottfrei.

»Was machen wir mit der -In-deren-Gesicht-ich-spucken-will?«, fragte Maya und meinte damit niemand geringeren als Judy.
Als Antwort darauf legte ich mir einen der sauberen Putzlappen auf mein Gesicht und pustete stöhnend gegen den feuchten Stoff.
»Keeeineee Ahnuuung.«, johlte ich und nahm den Lappen wieder von mir.
»Wenn wir nicht zu ihrer Show gehen sind wir die Bösen.«, jammerte ich.
Maya lachte höhnisch auf und wedelte ein wenig zu enthusiastisch den Staub weg.
»Das hat sie auch nicht interessiert, als sie Eddie die Zunge in den Hals und die Brust in- Sorry«, stoppte sie sich selbst und so gerade noch rechtzeitig.

Obwohl ihre Worte keinerlei Witz erlaubten, lachte ich leise auf.
Mit Maya war jedes Unglück der Welt so viel leichter zu ertragen.
»Wir lassen uns einfach kurz blicken, beglückwünschen sie und verschwinden.«, schlug ich vor.
»Wofür denn beglückwünschen? Dafür, dass sie Sekt austeilt? Sie ist Praktikantin, keine Designerin.«, höhnte Maya.
Ich wollte nicht schon wieder lachen müssen.
Judy war schließlich Jahre lang meine beste Freundin gewesen.
Und nur weil sie einen Fehler gemacht hatte, war all das Gute nicht automatisch ausradiert.

»Nehmen wir den Ozzy für Arme mit?«, spielte sie auf Judy's gewählten Worte an.
Ich zuckte unwissend mit den Schultern.
Eddie würde wahrscheinlich lieber auf ein Madonna-Konzert gehen als eine Modenschau zu ertragen.
Andererseits wäre es dadurch für uns vielleicht erträglicher.
Wir könnten uns ein wenig über die steifen Models lustig machen oder über den fragwürdigen Stil der Designer.
Wobei es eigentlich nicht meiner Art entsprach sich über das Aussehen anderer lustig zu machen.
Davon hatte ich in der Vergangenheit reichlich genug selbst erlebt.

»Wobei es schon interessant wäre ihn mal in etwas zu sehen, dass keine Risse, Nieten oder Löcher hat.« , grübelte Maya lautstark und wackelte aufreizend mit den Augenbrauen, als ich zu ihr sah.
Mit zusammengepressten Lippen, die einem schiefen Grinsen ähnelten, checkte ich sie ab.
Sie trug selbst eine zerrissene Jeans und ihre Oversizelederjacke hing ihr lässig von der einen Schulter.
»Dasselbe kann ich über dich sagen.«, flachste ich.
Dabei fand ich, dass sie einen grandiosen Kleidungsstil hatte.
Er war wie für sie gemacht. Geradezu maßgeschneidert.
Und ehrlicherweise verstand ich auch nicht das irrsinnige Konzept gesellschaftlicher Pflichten, bei denen man nicht man selbst sein konnte.

𝐁𝐈𝐒 𝐙𝐔𝐌 𝐌𝐈𝐓𝐓𝐀𝐆 hatten wir nicht nur die Küchenzeile geputzt, wieder verwüstest, weil wir uns an Eiern Benedict versuchten und dann wieder geputzt.
Wir hatten sogar meinen Kleiderschrank aussortiert und dabei so viele karierte Blusen weggeworfen, dass sich Eddie freudig im Kreis gedreht hätte.
Ich wollte mich nicht vollkommen verändern, aber mehr aus mir machen konnte ich schon.
Aus einem Bauernmädchen könnte doch zumindest eine mit der Zeit gehende Teenagerin werden.
Dazu gehörte es auch, die vielen Sekretärinnenoutfits wegzudonnern, mit denen mich Eddie und Judie häufig aufgezogen hatten.
Nur meine Piyamas würde ich behalten, ihren Verlust würde ich nicht vertragen.

Außerdem hatte Eddie gesagt, dass er sie mochte und hatte mich dabei mit seinen Fingern gekitzelt als er- Schluss damit.
Ich räusperte mich lautstark und scheuchte jeden Gedanken, der in diese Richtung abdriften wollte, konsequent weg.
Wir waren auf einen so guten Weg unsere altbekannte Freundschaft zurückzubekommen, dass ich das auf keinen Fall aufs Spiel setzen wollte.
Was danach geschehen würde stand in den Sternen und vielleicht in einem der lächerlichen Horoskope, die mir Judy immer vorlas.
Natürlich passten sie wie angegossen zu einem selbst, sie waren ja auch so allgemein gehalten, dass sie immer zur aktuellen Lebenslage passten.

Bei mir stünde momentan wahrscheinlich etwas wie: Das Glück ist auf dem Weg. Seien Sie geduldig.
Doof nur, dass mir kaum etwas so fremd war wie Geduld.
Ganz im Gegenteil. Ich war die wohl ungeduldigste Person, die es gab.
Die zwei Minuten warten, bis die Mikrowelle mit dem Erwärmen fertig war? Nicht ohne mein Buch!
Bei dem Gedanken an Eddie, der mir schon zu oft vorgeworfen hatte, ich wäre wie ein Kreisel, unfähig zum Stillstand, musste ich sanft lächeln.
Das traf es ziemlich gut.
Und aus diesem Grund war ich auch den gesamten Nachmittag unruhig wie ein Flummi umhergetigert.
So lange, bis Maya sich endlich dazu herabließ mir die Haare zu machen.

Wir verbrachten die nächsten anderthalb Stunden damit, mich zu schminken und diverse Frisuren auszuprobieren, bis wir beide zufrieden waren.
Ich beneidete Maya darum, dass es bei ihr reichte, dass MakeUp aufzufrischen und ihre Haare zu glätten.
Sie war eine punkige, alternative Naturschönheit und passte, wenn man es genau nahm, mehr als perfekt zu Eddie.
Nicht nur einmal hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, ob sie füreinander mehr waren als nur flüchtige Freunde.
Der Umgang zwischen ihnen war so einfach und achtsam , dass ich mir hin und wieder vorstellte, wie gut sie zusammenpassen würden.

Das tat ich in der Vergangenheit, in der mir die Vorstellung keinerlei Schmerz bereitet hatte und das tat ich noch heute, wenn ich sah wie sie miteinander witzelten und so vertraut wirkten.
Im Gegensatz zu Judy wusste ich aber, dass mich Maya niemals auf diese Weise verletzten würde.
Und genauso sehr wusste ich, tief in meinem Herzen, dass, sollten sie wirklich Gefühle füreinander hegen, ich niemals dazwischen grätschen würde.
Es gab nur wenige Menschen in meinem Umfeld, denen ich das reinste Glück wünschte.
Eddie und Maya gehörten allemal dazu.

»Ich glaub ich hab nen Sprung in der Platte, weil ich mich so oft wiederhole. Aber du siehst atemberaubend aus, Aayliah. Wenn ich mir eine indische Prinzessin vorstellen müsste, dann so.«, pflichtete sie mir bei und strich mir eine lose Strähne hinter das Ohr.
»Eddie wird aus den Latschen kippen.«, gluckste sie und kniff mir in die ohnehin geröteten Wangen.
Ich gab ein nervöses Lachen von mir und betrachtete mich in der Winzigkeit, die ich Spiegel nannte , die aber nichts weiter war als eine gerissene Scheibe mit Spiegelfolie.
Maya hatte etwas geschafft, was Judy und mir nur allzu oft misslungen war.
Sie hatte meine natürlichen Gesichtszüge lediglich konturiert, anstatt mich in einen völlig neuen Menschen zu verwandeln.
Ich war immer noch Al, Aly, Al-the-Bell, Alybear.
Und das gefiel mir.

Weil Mom und Dad verlangten, dass ich mit ihnen fuhr und wir als Familie gemeinsam zur Feier auftauchten, hatte Maya angeboten, Eddie dorthin zu lotsen.
Er war die letzten Jahre zwar ausnahmslos dabei gewesen, aber weil die Zeremonien immer bei einem anderen Familienmitglied stattfanden, hatte er nicht wissen können wo dieses Jahr gefeiert wurde.
Ich stand mit dem Rücken zur Hauseingangstür und unterhielt mich gerade mit einer Person, deren Namen ich nicht kannte, von der meine Mutter aber fest und steif behauptete ich würde sie kennen, da tippte mir jemand auf die Schulter.
Ich drehte mich nicht sofort um, erst nachdem er fertig damit war, wie ein quengeliges Kind in mein Ohr zu tuscheln.
»Mamaaa, wann gibt es Feuerwerk?«

Als ich mich dann endlich  zu ihm umdrehte und glücklich lächelte, erstarb ebendieses Lächeln sofort, als ich in sein Gesicht blickte.
Ich hatte es ihm nur gleichgetan, denn ihm waren zuerst alle Gesichtszüge entglitten.
»Aly.«, raunte er und die tiefe Tonlage seiner Stimme verpasste mir augenblicklich eine Gänsehaut.

• 𝐉𝐔𝐒𝐓 𝐎𝐍𝐄 𝐊𝐈𝐒𝐒 • [ 𝚎𝚍𝚍𝚒𝚎 𝚖𝚞𝚗𝚜𝚘𝚗 ]Où les histoires vivent. Découvrez maintenant