Die Löwin

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Wann war aus ihrem Leben nur das hier geworden?

Seit wann waren ihre größten Sorgen im Leben nicht mehr die Streiche oder Schulnoten ihrer Kinder, sondern die Leben ihrer Kinder?

Wann hatte sie aufgehört einfach eine Hexe zu sein, die sich um ihre Familie kümmerte und angefangen in einem Krieg zu kämpfen? Als sie dem Orden beigetreten war? Als sie heute Nacht nach Hogwarts gekommen war? Als Fabian und Gideon, ihre Brüder vor so vielen Jahren verkündet hatten, sich dem Orden des Phönix anzuschließen? Oder erst als sie in die Halle zurückkam und jemand ihr sagte, dass eines ihrer Kinder tot war?

Von da an konnte Molly sich nur bruchstückhaft erinnern. Sie wusste noch, dass sie Ewigkeiten bei Freds Leiche verbracht hatte und nach und nach Arthur und seine Geschwister dazugekommen waren. Manche hatten es offenbar schon zuvor gehört, was passiert war. Zumindest sah Ginny ganz danach aus und da sie nicht im Mindesten schockiert über die Nachricht war, musste es ihr jemand zuvor erzählt haben. Doch da waren noch andere gewesen, die an ihnen vorbeigegangen waren und ihr Mitleid für Freds Tod ausgedrückt hatten. Manche wie mechanisch, als würden sie von Totem zu Totem gehen und jedem trauernden Angehörigen das Gleiche sagen. Manche schienen es aber ernst zu meinen und blieben sogar einen Moment stehen, um einen Satz über Fred zu sagen, eine Erinnerung zu teilen. Molly hatte es nie richtig verstanden, wie beliebt er und George immer gewesen waren und wie viele Leute sie für ihre Scherze und Streiche mochten. Sowohl ihre Mitschüler aus Hogwarts als auch die Kunden aus ihrem Laden.

Molly nahm alles nur am Rande wahr, als wäre es in einem anderen Raum. Und obwohl andere auch um ihre verlorenen Freunde und Familienmitglieder trauerten, fühlte sie sich so weit entfernt von ihnen. Für Minuten, die sich wie Ewigkeiten anfühlten, gab es nur noch sie und Freds Leiche. Und den Rest ihrer Familie. Jedes Mal, wenn sie aus den Augenwinkeln einen roten Haarschopf sah, blickte sie kurz auf und jedes Mal bekam sie die Gewissheit, dass sie nicht noch jemanden verloren hatte.

Sie hätte sich doch darauf vorbereiten können, dass es früher oder später jemanden aus ihrer Familie treffen würde. Ginny, Ron, Arthur, Bill und George waren in den letzten Jahren schon einmal kurz davor gewesen. Doch jeder von ihnen hatte es noch einmal geschafft. Hatte Molly nicht beinahe jeden Tag damit gerechnet, seit die Weasleys dem Orden des Phönix beigetreten waren? Doch egal wie lange man sich auf etwas vorbereiten konnte, wenn es dann doch eintrat, war es immer ein Schock. Besonders dann, wenn es um den Tod des eigenen Kindes ging. Ausgerechnet an dem Tag, an dem alles zu Ende gehen sollte, an dem Tag an dem Percy wieder zurückgekommen war, hatte sie wieder jemanden für immer an Du-weißt-schon-wen-verloren. Vor zwanzig Jahren waren es ihre Zwillingsbrüder gewesen, Fabian und Gideon. Fred und George waren nur drei Monate später zur Welt gekommen und als Andenken an ihre Brüder hatten ihre Zwillingssöhne dieselben Anfangsbuchstaben bekommen. Jetzt fragte sie sich, ob sie damit nicht ihr Leben verflucht hatte. George hatte ein Ohr verloren und Fred sein Leben.

In dieser Nacht sah sie nicht einmal die Toten, die neben Fred lagen. Sie konnte sich nicht von ihrem toten Sohn abwenden und hätte es auch nicht ertragen, noch jemanden den sie gekannt hatte dort liegen zu sehen.

Irgendwann sagte jemand, Harry sei da gewesen, doch selbst das bekam Molly nicht mit.

Und dann erklang wieder diese schreckliche Stimme, die aus jedem Stein in den Wänden der Großen Halle selbst zu kommen schien. Diese Stimme, die sie schon zwei Mal in dieser Nacht gehört hatte. Die Stimme von Du-weißt-schon-wer. Und wenn sie dachte mit Freds Tod könnte es in dieser Nacht nicht noch schlimmer werden, hatte sie sich offenbar getäuscht. Denn das, was Du-weißt-schon-wer jetzt verkündete war schlimmer: Harry Potter war tot. Harry! Rons bester Freund. Ginnys Freund. Und Molly inoffizieller siebter Sohn. Aber immerhin würden die Todesser den Überlebenden Gnade gewähren. Der Rest ihrer Familie würde diese Nacht überleben. Es würde eine kalte und grausame Welt werden, ja. Aber immerhin würden sie weiterleben.

Ein Teil von ihr wollte weiterhin bei Fred bleiben. Doch etwas in ihr sagte, dass das Zeit hatte. Dass es jetzt wichtigere Dinge gab, dass die Schlacht noch nicht zu Ende war und die Zeit der Trauer erst noch kommen würde.

Molly wusste, dass Harry tot war, doch auf den Anblick seiner Leiche in Hagrids Armen hatte sie das nicht vorbereitet. Er sah so jung aus, wie er dort lag. Wie der Siebzehnjährige der er war.

Und dann trat Neville vor. Trat vor und stellte sich Du-weißt-schon-wem persönlich.

Und zog ein Schwert aus dem Sprechenden Hut, den man ihm auf den Kopf gesetzt hatte. Zog ein Schwert daraus hervor und schlug der Schlange, den Kopf ab.

Und dann rief jemand, dass Harry verschwunden sei. Und wirklich. Er lag nicht mehr in Hagrids Armen, sondern kämpfte gegen zwei Todesser zehn Meter weiter. Er war nicht tot. Harry war nicht tot.

Und dieser Anblick war es, der Anblick von Harry, der doch nicht verloren war, der in Molly etwas veränderte. Aus ihrer Starre und der Trauer wurde Wut. Dort irgendwo war der Todesser, der Freds Leben beendet hatte. Dort unter den Todessern war der Mörder ihres Sohnes. Und so stand sie diesmal nicht am Rand, sondern stürzte sich mitten unter die Reihen auf Freunden und Feinden.

Die Schlacht flammte wieder auf, doch etwas war anders. Ihre Seite hatte die Oberhand. Aus dem Augenwinken sah Molly wie Todesser zu Boden gingen und Schüler, Lehrer und Ordensmitglieder sich anderen Gegnern zuwandten.

Jemand rief, Zentauren seien gekommen und Verstärkung aus Hogsmeade. Als Molly den Kopf umwandte, sah sie ganz vorne einen weiteren roten Haarschopf. Einen roten Haarschopf, den sie nur zu gut kannte: Charlie. Charlie war gekommen und gerade rechtzeitig. Doch bevor Molly ihm auch nur etwas zurufen konnte, trieb die Schlacht sie durch die hohen Türen in die Eingangshalle des Schlosses und weiter in die Große Halle.

Mehr und mehr Todesser lagen verletzt, bewusstlos oder Tod am Boden und immer weniger Duell wurden ausgefochten.

Und dann hörte Molly ein irres Lachen, sah Bellatrix Lestrange und dann sah sie ihre Gegner. Drei gegen eins kämpften sie gegen Bellatrix, doch die schien darüber nur zu lachen. Hermine, Luna und – Ginny. Sie würde nicht noch ein Kind an die Todesser verlieren. Nicht in dieser Nacht und in keiner darauf. Molly stürzte sich durch die Menge, schob die drei Mädchen zur Seite und ihre Wut verwandelte sich in Zorn. Bellatrix lachte über sie. Lachte als wäre Molly ein leichteres Opfer als die drei Mädchen. Molly wusste selbst nicht genau was sie tat, sie schleuderte Fluch um Fluch auf Bellatrix als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes getan, die weiterhin lachte. Blockte die Flüche ihrer Gegnerin ab oder wich ihnen aus. Und dann traf einer von Mollys Flüchen Bellatrix genau in die Brust. Und sie fiel zu Boden, das letzte irre Lachen noch auf den Lippen. Und erst am Geschrei der Umstehenden erkannte Molly, dass Bellatrix tot war. Dass Molly sie getötet hatte.

Of Smoke and RainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt