Der Held

22 2 0
                                    

Neville hätte sich nie als mutig bezeichnet. Nicht in der Zeit, als das ein Thema gewesen war. Als das Hogwartshaus noch eine Rolle gespielt hatte, war er nie mutig genug für Gryffindor gewesen.
Vielleicht war er jetzt mutig.
Er wusste es nicht.
Und es spielte auch keine Rolle mehr.
Es gab ohnehin nur noch kämpfen oder untergehen. Seit Monaten.
Die Anderen sahen in ihm ihren Anführer. Vielleicht war er auch einer geworden. Weil von den ursprünglichen drei nur noch einer übrig war.
Das ganze Jahr über hatten er und die DA auf diesen Tag gewartet. Auf den Tag, an dem sie endlich die Carrows stürzen würden.
Und Neville hatte geglaubt, er hatte gehofft, dieser Tag sei heute, als er Harry, Ron und Hermine bei Aberforth hatte stehen sehen.
Es dauerte keine halbe Stunde, da wurde aus einem Aufstand gegen die Schulleitung ein Kampf gegen Du-weißt-schon-wem selbst.
Neville zögerte keinen Moment, ob er mitkämpfen sollte oder nicht. Dafür hatte Harry sie schließlich vor zwei Jahren unterrichtet und dafür trainierten sie seit Beginn des Schuljahres wieder. Neville war noch immer der Anführer der DA, auch wenn Harry, Ron, Hermine, Ginny und Luna wieder da waren. Wenn er nicht kämpfte, würde der Rest es wohl auch nicht tun.
Noch vor zwei Jahren hätte Neville sich einer der Gruppen angeschlossen, die sich auf die vermeintlich sichereren Türme verteilten.
Doch heute würde er den Todessern direkt auf dem Schlossgelände begegnen.
Nur Minuten später stand er zwischen Seamus und Ernie vor dem Schloss und sah auf die näherkommende Masse aus Todessern. Das war keine Gruppe mehr.
Das war eine Armee, die da auf sie zukam. Eine Armee aus Todessern, Greifern und allem, was sich Du-weißt-schon-wem im letzten Jahr angeschlossen hatte.
Neville fragte sich, wie sie dagegen nur ankommen sollten.
Doch McGonagall hatte ihnen ohnehin klar gemacht, dass es nicht ums Gewinnen ging, nur ums Aufhalten. Harry musste etwas im Schloss tun. Und sie sollten nur versuchen die Todesser draußen zu halten.
Neville warf keinen Blick auf seine Uhr. Mitternacht würde unweigerlich kommen. Und damit die Schlacht.
Er würde heute Nacht Menschen sterben sehen. Das wusste er. Bei so einer Schlacht, würde es Tote geben. Und er wusste, dass er einige davon kennen würde. Oder würde er am Morgen einer von denen sein, die nicht mehr aufstanden? Er wusste nicht wieso, aber er hatte keine Angst. Keine Angst zu sterben. Und auch keine Angst zu töten, sollte es unvermeidlich sein.
Neville blickte sich noch einmal zu seinen Freunden um. In wenigen Sekunden müsste es Mitternacht sein.
Seamus hob seinen Zauberstab und nickte Neville zu.
Ernie blickte auf seine Uhr, fing dann aber Nevilles Blick auf und nickte ihm ebenfalls zu.
Er fragte sich kurz, ob es das letzte Mal war, dass er einen der beiden lebend sah.
Es brauchte keine Uhr, keinen Gong und keinen Glockenschlag, um Mitternacht zu verkünden.
Wie auf ein Kommando stürmten die Todesser vor. Und schossen mit Flüchen auf das Schloss.
Als hätten sie es geübt, erklang von überall um Neville herum laut „Protego." Es könnte freilich nicht alle Flüche abhalten. Und Neville blieb auch keine Zeit sich umzusehen, ob neben ihm noch alle standen.
Er spürte es mehr als das er es hörte, dass von Türmen aus Flüche auf die Todesser abgefeuert wurden. Und einige von ihnen, von Schockzaubern getroffen zu Boden gingen.
Neville selbst feuerte einen Fluch nach dem anderen ab. Auf die anonyme Masse. Er konnte keinen der Angreifer erkennen. Und jeder ausgeschaltete Gegner war ein kleiner Gewinn, sagte er sich.
Viel zu früh wurde aus den kontrollierten Salven ein unkontrolliertes Abfeuern jedes einzelnen. Und dann waren die Todesser so nah, dass sich nun eins zu eins duellierten.
Neville wusste nicht wieso, doch er war selbst überrascht, wie gut er sich schlug. Die erfahrenden Todesser schienen sich lieber um die Mitglieder des Ordens zu kümmern als um Schüler.
Und so schockte Neville seinen ersten Gegner, seinen zweiten und dritten, bevor er einen vierten zum Stolpern brachte, bevor der seinen Fluch fertig gesprochen hatte.
Einen fünften entwaffnete er und zerbrach den Zauberstab über dem Knie, bevor er auch diesen schockte.
Es war fast wie ein Rausch. Die Welt bestand nur noch aus ihm, den verschwommenen Gestalten um ihn herum, seinem Zauberstab und seinem nächsten Gegner. Alles schrumpfte auf wenige Dinge zusammen. Fast wie ein Tanz. Einem Fluch ausweichen, einen Fluch abfeuern, sicher gehen, dass der Gegner getroffen war und sich das nächste Opfer aussuchen.
Neville achtete gar nicht darauf, ob neben ihm jemand zu Boden fiel. Er hätte ohnehin nicht sagen können, ob es einer seiner Mitstreiter oder Gegner war, geschweige denn, wer genau es war.
Irgendwann waren Seamus und Ernie fort, doch wohin, das wusste Neville nicht. Neville wusste nur, dass er mehr Angreifer geschockt hatte, als er zählen konnte. Und dass er nun beinahe alleine auf dem Schlossgelände stand. Die Angreifer hatten sich einen Weg ins Schloss freigekämpft. Waren seine Mitstreiter mit ihnen gegangen oder waren sie alle tot? Neville wartete nicht darauf, dass ihm jemand eine Anweisung gab, er lief einfach los. Aufs Schloss zu und stürzte sich wieder in den Kampf.
Und wieder hätte er nicht sagen können, wie lange er kämpfte. Bis Lord Voldemorts Stimme zum zweiten Mal in dieser Nacht vom Schloss selbst zu kommen schien.
Eine Stunde lang würde der Kampf pausieren.
Erst jetzt bemerkte Neville, dass er nicht einen Kratzer abbekommen hatte. Er war außer Atem und schwitzte ein wenig, doch das war alles. Nach scheinbar mehreren Stunden Schlacht. Doch jetzt hatte Neville Zeit, sich umzusehen. Und er merkte sehr schnell, dass die wenigsten so viel Glück wie er hatten. Schon auf der Marmortreppe hinunter in die Eingangshalle traf er auf leblose Körper und Verletzte. Einige leichter Verletzte Schüler wagten sich nun aus dem Versteck und machten sich mit den Übrigen auf den Weg in die Große Halle. Offenbar weil sie sonst nicht wussten, wo sie hinsollten.
„Neville?", fragte eine Stimme. Er wandte sich um und sah Susan Bones auf dem Boden. Sie sahs an eine Wand gelehnt und hielt sich das rechte Bein. Es musste gebrochen oder verstaucht sein. Doch abgesehen davon sah sie unverletzt aus. „Kannst du mir schnell helfen?", fragte Susan. Neville nickte und half ihr vom Boden auf. Susan stützte sich auf ihn und zusammen kämpften sie sich langsam die Marmortreppe hinunter auf die Große Halle zu.
„Wahnsinn, oder?", fragte Susan, die offenbar die Stille nicht mehr länger aushielt, die überall um sie herum herrschte. „Ich meine wir haben das ganze Jahr darauf gewartet, aber das es so ist..." Sie musste nicht weitersprechen. Neville wusste, was sie meinte.
Keiner von ihnen wagte es zu fragen, ob der andere schon von Toten gehört hatte. Und so schwiegen sie den restlichen Weg, bis sie zu Madam Pompfrey auf dem Podium in der Großen Halle kamen, wo Neville sich von Susan verabschiedete.
Zum ersten Mal hatte er wirklich Gelegenheit sich umzusehen, wer von seinen Freunden noch lebte. Und er musste lächeln, allen Ernstes lächeln, als er erst Seamus, dann Parvati, dann Luna und Ginny, dann sogar Dean woher auch immer er kam und dann eine Gruppe aus Hufflepuffs und Ravenclaws sah. Alle lebendig und mehr oder weniger unverletzt.
Doch um ihn herum lagen genug Tote und genug Menschen in der Halle trauerten über ihren Toten Freunden oder Geschwistern.
Neville konnte nicht länger dastehen und nichts tun.
Aufs Geradewohl hin trat er hinaus in die Eingangshalle. Und wurde prompt von Oliver Wood in Beschlag genommen. „Du kannst mir helfen, die hier reinzutragen." Er nickte zu einigen leblosen Körpern hin, die auf dem Gelände verstreut lagen. Offenbar vermied er es, Leichen zu sagen.
Neville nickte nur und machte sich an die Arbeit. Er versuchte keinem von ihnen ins Gesicht zu sehen, sich nicht einzugestehen, dass er diesen Menschen nie wieder lebend sehen würde.
Doch das war es nicht, wofür Neville später bekannt sein würde. Und auch nicht dafür, dass Harry Potter ihm von allen im Schloss ein Geheimnis anvertraut hatte, das die Entscheidung um den Ausgang der Schlacht bringen konnte.
Neville würde noch Jahre später gefragt werden, wie es sich angefühlt hatte, als er Lord Voldemort und seinen Todessern alleine entgegen getreten war. Ob er Angst gehabt hätte, ob er ein Zeichen habe setzten wollen. In Wahrheit hatte es sich einfach nur richtig angefühlt. Vielleicht fühlten sich so Helden.
Selbst dann noch, als ihm der Sprechende Hut auf den Kopf gesetzt wurde. Er hatte keine Angst gehabt, selbst als der Hut auf seinem Kopf angezündet worden war. Neville wusste nicht wieso, doch mit einem Mal konnte er sich wieder bewegen und den Hut vom Kopf reißen. Genau in dem Moment, als Anderen um ihn herum zu schreien begannen. Und von der Ferne eine weitere Gruppe Kämpfer anzukommen schien.
Und als er den Hut wegwerfen wollte, sah er ein längliches, silbernes Etwas darin funkeln. Er ergriff es und zog es heraus. Es war ein Schwert. Das Schwert von Gryffindor.
Und da erinnerte er sich daran, was Harry ihm kaum eine Stunde zuvor gesagt hatte. Zwischen ihm und der Schlange lagen nur wenige Meter. Neville holte aus und schlug der Schlange den Kopf ab.
Dafür würde er noch Jahre später berühmt sein, dafür und für seinen Widerstand gegen Voldemort.
Harry erzählte ihm erst Jahre später, was Neville da eigentlich getan hatte.
Doch auch ohne dieses Wissen, sah die Zaubererwelt ihn von diesem Morgen an, als er das Schwert aus dem Hut gezogen hatte, als Helden.
Erst Tage später erinnert er sich daran, dass nur ein wahrer Gryffindor das Schwert aus dem Hut ziehen konnte. Also war er wohl doch ein wahrer Gryffindor. Auch wenn er es nicht von Anfang an gewesen war, so war er doch einer geworden.

Of Smoke and RainWhere stories live. Discover now