Das Portrait

9 1 0
                                    

Sie hatte sich im Laufe ihres Daseins schon über viele Dinge beschwert: Schüler, die das Passwort vergessen hatten und sie mit beinahe unwiderstehlichen Hundeaugen anblickten, sie dennoch reinzulassen; Schüler, die zwar das Passwort kannten, in letzter Sekunde aber wieder umdrehten und doch nicht in den Gemeinschaftsraum wollten; Schüler, die sie aufweckten; Schüler, die sie störten, wenn sie gerade ihren Kater nach Weihnachten ausschlief; den Namen, den irgendjemand ihr einmal gegeben hatte „die Fette Dame", wobei man ihr nie einen richtigen Namen gegeben hatte, aber dennoch war ihr Spitzname wenig schmeichelhaft. Doch noch nie hatte sie sich darüber beschwert, dass sie ein Portrait war. Sie kannte es nicht anders. Sie war auch nicht das Abbild einer realen Person, deren Persönlichkeit sie hätte übernehmen können. Irgendein magischer Künstler hatte eines Tages die Idee gehabt, ein Bild einer rundlichen Dame in einem rosa Spitzenkleid zu malen und es mit einem Animatuszauber zu belegen. Und seitdem lebte sie. Und sie konnte sich an wenig erinnern, das nicht in Hogwarts stattfand. Offenbar hatte man sie irgendwann für die passende Wahl gehalten, den Eingang zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors zu bewachen.

Sie kannte kein anderes Dasein, als das eines magischen Portraits. Die Geister konnten sich noch daran erinnern, wie es gewesen war, lebendig zu sein, Dinge zu berühren, zu fühlen und zu schmecken. Sie hatte all das nie gekannt.

Und doch hoffte sie heute zum ersten Mal überhaupt, aus ihrem Rahmen steigen zu können um... nun, um überhaupt etwas tun zu können.

Sie wusste wohl besser als alle anderen Bilder im Schloss, wie anfällig sie alle für Angriffe waren. Selbst wenn sie es noch rechtzeitig in Nachbarbilder schafften, wenn ihr Bild zerstört war, konnten sie nicht mehr dorthin zurück. Sie konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie man ihr vor über vier Jahren die Leinwand zerfetzt hatte. Was würde passieren, wenn ein Fluch sie traf? Könnte sie für immer versteinert werden, in ihrem eigenen Bild gefangen oder gar sterben und einfach verschwinden?

Doch Portraits waren nicht dazu geschaffen worden, sich um sich selbst zu kümmern, sie sollten den Menschen helfen. Im Büro des Schulleiters gab es Portraits aller bisheriger Schulleiter, die dem aktuellen Schulleiter beratend zur Seite standen. Das war ihre oberste Priorität, dafür waren sie da. Wofür war sie nun da? Den Eingang zum Gryffindorgemeinschaftsraum zu schützen, ja, aber war das alles? Sollte sie nicht alle Gryffindors vor unbefugten Eindringlingen schützen? Sollte sie nicht alle Schüler schützen, so fern ihr das Möglich war.

Die Nachricht hatte sich erst langsam durch das Schloss verbreitet. Die Geister, die in der Großen Halle gewesen waren, hatten es den Portraits im großen Treppenhaus erzählt und die hatten es an ihre Nachbarn weiter getragen, bis schließlich jedes Bild vom Kerker bis zum höchsten Turm davon gehört hatte: In Hogwarts würd es eine Schlacht geben.

Irgendjemand hatte an die Geister und Portraits gedacht. Zum ersten Mal seit Jahren verließ sie ihren Posten dauerhaft. Es waren ohnehin alle Gryffindors aus dem Gemeinschaftsraum raus und so schnell würde niemand zurückkommen.

Eine Informationskette sollten Bilder und Geister bilden. Das war wohl auch das einzige, das sie wirklich tun konnten. Sie sah sich schon wie wild durch fremde Bilder rennen, in Teilen des Schlosses, die sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Doch sehr schnell, landete sie wieder dort, wo sie immer war. Vor dem Eingang zum Gryffindorgemeinschaftsraum.

Informationskette bedeutete nichts anderes, als das jeder auf seinem Posten blieb und sie Informationen von einem zum nächsten durchgaben, damit sie schneller bei den Leuten ankamen, für die die Information bestimmt war.

Sie nickte den Bilder links und rechts von sich zu und wartete. Auf Leute, die vorbei kamen. Auf Informationen von links oder rechts, die sie nach rechts oder links weitergeben konnte, auf weitere Anweisungen und ja, auch auf Kämpfe hier direkt vor ihrem Rahmen.

Of Smoke and RainUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum