Die Kriegerin

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Die Welt endete in Chaos.
Einem Chaos aus Dunkelheit und Lichtblitzen.
Einem Chaos aus den Schreien ihrer Freunde, Gefährten und Gegner, die Flüche brüllten, nach ihren Freunden riefen oder vor Triumph, Schmerz, Wut und Verzweiflung schrien.
Einem Chaos aus den herabstürzenden Brocken und den Kämpfern, die ihnen auszuweichen versuchten.
Die Welt würde enden. Hier und heute.
Zumindest die Welt, wie sie bisher gewesen war. Wie Ginny sie ihr Leben lang gekannt hatte oder zu dem sie sich ihr Leben lang entwickelt hatte. Bis zu diesem Punkt. Egal ob sie heute überlebte oder starb, die Welt würde danach nicht mehr dieselbe sein. Die Frage war nur, ob die neue Welt der Sieg oder nie Niederlage war. Voldemort oder Harry. Hogwarts oder die Todesser. Der Tod oder das Leben. Für sie. Für Harry. Für ihre Familie. Für ihre Freunde. Für Hogwarts. Für alle.
Wie auch immer die Welt enden würde, Ginny würde das Schicksal ihrer Freunde teilen. Wenn sie gewannen, würde sie leben und mit ihnen eine Welt schaffen, die besser war als die, die sie vorgefunden hatten. Und wenn sie verloren, dann würde Ginny mit ihnen allen sterben.
Was für einen Unterschied machte es also, ob sie mitkämpfte oder nicht. Wenn die Schlacht verloren ging, würde Ginny sterben. Das wusste sie. Sie würde von Todessern getötet werden. Und wenn die Schlacht gewonnen wurde, hatte sie auch einen Teil dafür getan. Natürlich könnte sie auch sterben, wenn die Schlacht gewonnen wurde. Aber dann war sie immerhin für das Richtige gestorben. Dann hätte sie ihren Teil beigetragen.
So wie die leblosen Körper, die Ginny schon gesehen hatte. Manche lagen noch immer mitten im Schloss. Andere waren bereits von ihren Freunden zur Seite geschafft worden.
Also rannte Ginny durch die Gänge und Flure von Hogwarts, schneller als jemals zuvor, schoss Flüche ab und wich denen ihrer Gegner aus und versuchte nicht hinzusehen, wer dort leblos am Boden lag.
Fluch um Fluch traf die Todesser.
Ginny versuchte sich in kein Duell verwickeln zu lassen.
Sie suchte sich Todesser, die gerade im Duell waren und jagte ihnen von hinten einen Fluch auf.
Ginny wusste, dass sie damit keinen von ihnen töten würde, noch nicht einmal dauerhaft außer Gefecht setzen, doch ihr Fluch lenkte die Todesser ab, sodass ihre Gegner ihnen ebenfalls einen Fluch auf den Hals jagen konnten.
Sie wollte kämpfen. Sie wollte etwas Sinnvolles tun. Und nicht nur bei Tante Muriel herumsitzen und warten bis alles vorbei war und man ihr erzählte, wer von ihren Freunden und ihre Familie getötet worden war, wer verletzt worden war und wer eine große Heldentat vollbracht hatte. Sie wollte mitmachen. Etwas Sinnvolles tun. Auf diesen Tag hatten sie, Neville und Luna mit dem Rest der DA schließlich das ganze Schuljahr gewartet. Und wegen vier Monaten, vier lächerliche kurzer Monate, sollte sie nicht mitkämpfen. Während Neville und Luna, Hermine und ihre Brüder und Harry kämpften, sollte sie brav zuhause sitzen und warten bis alles vorbei war. Bis die Schlacht geschlagen war und jemand kam, um ihr zu sagen, ob sie gewonnen oder verloren hatten. Ob Ginny Weasley sterben musste oder weiterleben konnte.
Und während sie so durch die Treppenhäuser und Flure rannte, versuchte sie nicht daran zu denken, wenn sie heute Nacht wohl verlieren würde. Wenn sie gerade zum letzten Mal gesehen hatte. Manche der Kämpfer kannte sie seit Jahren aus Gryffindor, mit anderen dagegen hatte sie noch kaum ein Wort gewechselt.
Und vor allem versuchte sie nicht daran zu denken, was Harry gerade tat. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sie aus dem Raum der Wünsche geschickt. Das war ihr nur recht gewesen denn damit konnte sie endlich auch mitkämpfen.
Nun war niemand mehr da, der kontrollieren würde, ob sie wieder zurück in den Raum der Wünsche gegangen war. Und falls sie doch jemand erkannte, der wusste, dass sie eigentlich nicht mitkämpfen durfte, war der meist viel zu sehr mit einem oder mehreren Todessern beschäftigt. Anfangs hatte sie nur Flüche durch die Fenster und Löcher in den Wänden auf die Angreifer unten geschickt, doch als die ersten Todesser ins Schloss eingedrungen waren, hatte sie sich daran gemacht, stattdessen sie anzugreifen.
Im Unterricht und in der DA hatte Ginny immer verschiedene Flüche und Zauber zur Hand gehabt. Doch das hier war bitterer Ernst und kein geheimes Training oder Unterricht mehr und sie griff sie nur auf ihren Lieblingszauber den Flederwichtfluch zurück und auf den Schockzauber.
Drei-oder viermal war sie allerdings auch schon in Duell verwickelt worden. Merlin sei Dank waren ihre Gegner keine besonders guten Duellanten gewesen oder sie hatten sie schlicht und einfach unterschätzt. Halb hatte sie sich gefragt, wie diese Todesser es überhaupt so weit ins Schloss hineingeschafft hatten. Ob sie ihre bisherigen Gegner einfach überrascht hatten oder sich absichtlich auf die Suche Schülern gemacht hatten, mit denen sie leichter fertig werden würden.
Aber im Grunde interessierte es Ginny nicht. Nicht, solange ihre geschlagenen Duellgegner geschockt in einer Ecke lagen und so schnell niemanden mehr angriffen.
Auch wenn sie wusste, dass sie nicht daran denken dürfte. Nicht mal eine Sekunde darüber nachdenken dürfte, fragte sie sich dennoch immer wieder, wo Harry wohl gerade war. Doch er musste noch am Leben sein, denn sonst hätte Lord Voldemort seinen Tod lauthals verkündet. Lord Voldemort hätte seinen Sieg über Harry Potter in die Welt hinausposaunt. Und seinen Todessern befohlen, den Angriff auf Hogwarts abzubrechen.
Es grenzte wohl schon an ein Wunder, dass Ginny noch niemanden ihrer Freunde hatte sterben sehen.
Doch jeden Augenblick konnte ein Schüler, ein Lehrer oder ein Mitglied des Ordens vor ihren Augen getötet werden. Oder ein Todesfluch traf sie selbst. Und von ihr wäre binnen weniger Augenblicke nicht mehr übrig als eine kalte Leiche, die Sekunden, Minuten oder Stunden später von jemandem betrauert werden würde.
Noch wusste sie nicht, dass sie in dieser Nacht einen Bruder verlieren würde, einen der Brüder, dem sie immer nahe gestanden hatte.
Noch wusste sie nicht, dass sie in dieser Nacht einen Mitschüler verlieren würde, der ihr über ihre fünf gemeinsamen Schuljahre zu einem Freund geworden war.
Und so rannte Ginny weiter durch die Flure und Treppen von Hogwarts und schoss Flüche auf Todesser, während das Schloss und das Gelände draußen vor den zerbrochenen Fenstern und den zerborstenen Türen ein Meer aus Lichtblitzen war.

Of Smoke and RainOnde histórias criam vida. Descubra agora