Chancen {14}

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Er hat sich eine Bank gesucht. Irgendwo am Straßenrand in der Nähe eines Cafés. Dort sitzt Daniel jetzt schon eine Weile und schluchzt vor sich hin. Immer wieder gehen Leute an ihm vorbei und geben ihm schäbige oder mitleidende Blicke.

Er fährt sich immer wieder mit seinen Händen über sein nasses Gesicht. Der Regen hat, kurz nachdem er aus Luthers Auto gestiegen ist, aufgehört. Die Bank ist trotzdem nass und Daniel ist furchtbar kalt. Wahrscheinlich wird er sich erkälten. Er zittert und umarmt sich selbst, als er in die Leere vor sich starrt. Das Café auf der anderen Straßenseite nicht einmal mehr richtig sieht. Alles was er sieht, ist Luthers Geschichte. Er sieht sie in Bilder vor sich und alles was er sich fragt ist: Was wäre gewesen, wenn ich an Tylers Stelle gewesen wäre? Was wäre gewesen, wenn Felix mein bester Freund gewesen wäre? Hätte ich so gehandelt wie Luther? Hätte ich so gehandelt wie Tyler? Hätte Luther mich auch in den Suizid getrieben?

Bei diesen Gedanken läuft es ihm kälter als der Regen den Rücken hinab. Hat Luther Tyler indirekt umgebracht? Ist es zu entschuldigen durch seine eigenen Zweifel und Ängste?

Daniel schüttelt den Kopf. Das ist nicht zu entschuldigen. So etwas kann man mit nichts entschuldigen. Luther war ein Weichei ohne Rückgrat. Wahrscheinlich ängstlicher als Daniel selbst.

Doch wie kam es, dass Luthers Schule sich so von seiner unterscheidet? Hier akzeptieren alle die beiden. Daniel wurde noch von keinem blöd angemacht. Und Luthers Schule hatte ihn sogar angefeuert, auf Tyler loszugehen. Das ist verrückt.

Lag es an England und Amerika? Vielleicht an den Leuten?

Daniel zeichnet mit seinen Fußspitzen, die in seinen nass getränkten Schuhen stecken, Kreise auf den Boden. Er blickt hinab und seufzt. Was nun?

Luther hat damit abgeschlossen. Er hat die Vergangenheit hinter sich gelassen und es hier geschafft, alles besser zu machen. Nur dass er Daniel von vorn herein belogen hat... Nicht richtig belogen, aber Daniel fühlt sich betrogen. Luther war für ihn ein Vorbild. Er hat ihn dazu gebracht, zu seiner Sexualität zu stehen. Ihm verständlich gemacht, dass keiner gegen ihn war und wenn doch, würde er ihn beschützen. Mit Leib und Seele.

Und dann musste Daniel beobachten, wie dieses Bild von seinem Helden vor seinen Augen zerfällt und sich in einen ängstlichen Jungen verwandelt.

Es ist wohl eher das, als Luthers Vergangenheit, die ihm zu schaffen macht.

Daniel steht danach auf und geht nach Hause. Jedenfalls in die Richtung. Kurz bevor er in die nächste Straße biegt, blickt er auf das Café, dreht um und geht rein. Jetzt würde er es Luther zeigen. Er würde schon sehen, dass er anders ist.

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