14. Kapitel: Redselige und unbeliebte Zeitgenossen

17 6 5
                                    



Es hatte ihm die Sprache verschlagen. Sie hatte so viel Leid aushalten müssen. Und irgendwie, auf eine verkorkste Weise, fühlte er sich schuldig. Er hätte für sie da sein müssen. Sein Verstand tadelte ihn dafür. Er war damals schließlich selber noch ein Kind gewesen, hatte sie ja nicht einmal gekannt. Und dennoch ließ ihn das Gefühl nicht los. Schuld lastete schwer auf ihm, so fühlte es sich an, aber er wusste nicht, warum.

Seine verworrenen Gedanken wurden durch die Tür unterbrochen, die unsanft aufgestoßen wurde. Zwei Männer blickten hinein und wirkten für einen kurzen Moment etwas erleichtert, bevor sie die Tür wieder zuzogen. Draußen waren plötzlich viele gedämpfte Stimmen zu hören, und er meinte, das Geräusch von schnellen Schritten erahnen zu können. Unwillkürlich rückte er näher an sie heran.

Die Tür flog ein zweites Mal auf. Dieses Mal traten drei Männer in den Raum, zwei von ihnen hatten die beiden gerade eben schon gesehen. Der dritte Mann trat vor. "Na wen haben wir denn da?" Vermutlich handelte es sich um jemanden in einer führenden Position, schloss er. Wahrscheinlich sogar der Anführer dieser ... Gruppierung. Der Mann sah überraschend normal aus. Mittelgroß, etwa Ende vierzig, ein paar graue Haare zierten seinen sonst braunen Haarschopf. Nur dieses Funkeln in seinen Augen, die Art, wie er sich bewegte, das bereitete ihm Sorgen.

"Schön, dass du dich mal wieder zu uns gesellst, meine liebe Stella." Ihr Gesichtsausdruck war erstaunlich ruhig, trotzdem blitzte ein wenig Angst in ihren Augen auf. "Das letzte Mal ist ...nun ja ... nicht allzu lange her, würde ich sagen." Er spielte wohl auf die zwei Wochen ihres Verschwindens an. "Wir haben dich solange gesucht, meine Liebe. Aber du warst einfach nicht aufzufinden, für eine recht lange Zeit. Und als wir dich dann hatten, verspürtest du auch gleich den Wunsch, uns wieder zu verlassen." Er schüttelte den Kopf und schnalzte missbilligend mit der Zunge.

"Was wollen Sie von ihr?" Die Worte kamen stärker heraus, als er von sich vermutet hatte. Sie klangen mutiger, als er eigentlich war. "Oh, hat sie Ihnen das nicht gesagt?" Der Mann grinste mit einem Zähnefletschen. "Hat sie ihrem Lover also kein Wort von allem gesagt?" "Wir sind nicht zusammen", unterbrach er ihn. Der Mann brach in Gelächter aus. "Das erinnert mich an die Grundschulzeit. Alle waren zusammen, aber jeder hat es geleugnet. Und Sie wirken mit ihr sehr vertraut. Aber es wundert mich doch, das jemand das alles mitmacht, ohne die rosarote Brille der Liebe im Gesicht kleben zu haben."

"Wie meinen Sie das?" Doch der Mann ging gar nicht darauf ein, sondern redete einfach munter weiter. "Dabei ist sie ja nicht mal besonders hübsch. Haben Sie sich mal die ganzen hässlichen Narben angesehen?" "Die Sie ihr zugefügt haben!", erwiderte er aufgebracht. Sein Gegenüber lächelte. "Mag sein, mag sein.  Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Jedenfalls müssen Sie ein unglaublicher Menschenfreund sein, wenn Sie für eine völlig Fremde im Grunde Ihr Leben aufs Spiel setzen. Sie sind wohl einer dieser Gutmenschen. Hilfsbereit, freundlich aufopferungsvoll und eindeutig naiv." Er spuckte die Wörter aus, als wären sie das Schlimmste und Ekligste, was er je gehört hatte.

"Aber gut, ich werde Ihnen Ihre Frage beantworten. Nachdem wir den Abtrünnigen erschießen ließen, blieben immer noch seine beiden Töchter. Wir waren uns nicht sicher, was wir mit Ihnen tun sollten. Sollten wir sie gleich umbringen, erst ein wenig Spaß haben und dann umbringen oder die beiden sogar zu neuen Mitgliedern machen? Wir überlegten noch. Aber ganz offensichtlich zu lange." Der Mann seufzte, als wäre er genervt von dem, was damals passiert war.

"Wir hatten einen Verräter unter uns. Er wollte die beiden befreien, unseren Anführer töten und den Inhalt dieser einen, wichtigen Akte zerstören. Es gelang ihm, den Präsidenten mit Gift unauffällig umzubringen und die Mädchen von ihren Fesseln zu befreien. Aber auf den Gängen bemerkten ihn plötzlich Wachen und die drei begannen, zu rennen. Dara war noch zu geschwächt, sie wurde überwältigt." An dieser Stelle spürte er, wie sie anfing, leicht zu zittern. Beschützend rückte er noch näher an sie heran und sie legte ihren Kopf ganz leicht auf seine Schulter.

"Der Verräter und Stella schafften es, sich im Büro des Führers zu verbarrikadieren. Aber die Wachen setzten alles daran, die Tür aufzubrechen. Er nahm die Akte und sah sie sich noch ein letztes Mal an. Dann befahl er Stella, den Geheimgang hinter dem Schrank zu nehmen. Sie rannte. Er vernichtete die Akte mit einer uns noch heute unbekannten Flüssigkeit. Die Wachen schafften es, in den Raum zu kommen und töteten ihn sofort. Aber es war zu spät, die Unterlagen waren vollkommen zerstört worden."

Der Mann lächelte falsch. "Sie fragen sich jetzt sicher, was in dieser Akte stand, was so wichtig war. Aber niemand weiß es. Nur dem Präsidenten unserer Organisation sind diese Informationen vorbehalten. Ich bin der neue Präsident, aber ich kann diese wichtigen Informationen nicht mehr bekommen, weil niemand weiß, was in der Akte stand. Aber eine gewisse Person hat sie noch vor der Vernichtung gesehen. Eine Person weiß das, was mir vorenthalten ist. Und das ist unsere liebe Stella."


836 Wörter.

Soul ShardWhere stories live. Discover now