Teil 1

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10 Jahre später

Milans Sicht
„Milan... darf ich bei dir schlafen? Ich... hatte einen Albtraum", nuschelt Nico verunsichert, während er offenbar neben meinem Bett steht. Nervös steigt der Omega von einem Bein auf das andere.

Verschlafen öffne ich meine haselnussbraunen Augen.
„Bist du nicht langsam zu alt dafür?", frage ich schmunzelnd.

Früher ist Nico gefühlt jede zweite Nacht aus diesem Grund zu mir gekommen. Ich kann mich gut an das tappsende Geräusch seiner nackten Füße erinnern, wenn sie aus seinem Zimmer zu mir rüber gewandert sind. Doch mittlerweile kommt dies kaum noch vor. Immerhin ist der Omega 15 und nicht mehr ein kleiner verschreckter Fünfjähriger, der nicht versteht was los ist.
Ja, die Anfangszeit war sehr schwer für den Omega. Zu Beginn musste er erst erzogen werden. Meine Eltern - beide Alphas - haben ihn dabei nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst. So bin ich der Einzige von dem Nico Zuneigung bekommt. Ständig wurde er von den Erwachsenen bestraft. Es war schwer für ihn zu verstehen, dass ich ihn bei Strafen nicht verteidige. Denn, wenn er sich für ein Fehverhalten eine einbrockt, muss er mit den Konsequenzen leben. Jedoch endet eine Bestrafung fast immer damit, dass der Omega bei mir Trost findet, wenn es zu Ende ist.

Jetzt wo ich selber 17 Jahre alt bin, habe ich es natürlich längst verstanden warum meine Eltern damals derartig streng zu dem Jungen waren. Es ging nicht nur darum auf den Omega möglichst schnell den gesamten Haushalt abzuwälzen. Durch ihr Handeln haben sie dafür gesorgt, dass Nico eine Bindung zu mir, seinem zukünftigen Alpha, aufbaut, die ihn abhängig macht.
„Also... darf ich... nicht...", niedergeschlagen will sich der Omega schon abwenden, aber ich halte ihn sofort auf: „Doch, komm her." Dabei rücke ich etwas zu Seite, damit der Omega genug Platz hat. Langsam wird es in dem Bett etwas eng. Aber wir brauchen nicht viel Platz.
Wie so oft schmiegt sich Nico an meine Brust und ich streiche dem Jüngeren sanft durch die fluffigen, blonden Haare.

Ohne den Omega sehen zu müssen, spüre ich, dass dieser gerade total angespannt ist.
„Alles gut, ich bin bei dir", spreche ich ruhig und setzte bewusst Pheromone frei, damit er sich leichter beruhigen kann.

Doch jetzt, wo sich Nico sicher und geborgen fühlt, platzt alles aus ihm heraus. Schluchzend klammert er sich an meinem Oberteil fest und lässt den Tränen freien Lauf.
Sanft flüstere ich dem Omega beruhigende Worte zu.
Als sich Nico endlich etwas beruhigt hat, meint er mit zittriger Atmung: „Ich kann einfach nicht mehr. Mir ist alles zu viel. I.. Ich gebe mir wirklich Mühe, aber ich schaffe es nicht. Morgen werde ich sicher wieder bestraft, weil ich nicht schnell genug arbeite und noch immer nicht richtig lesen kann."
Meine Eltern haben vor rund einem Jahr bemerkt, dass Nico weder lesen noch schreiben kann. Eigentlich verwunderlich. Wie konnte der Omega dies nur so lange Zeit verbergen?
Aber wie hätte er es auch lernen sollen? Er war nie in einer Schule. Deshalb haben meine Eltern ihm meine alten Schulbücher herausgekramt, die er nun durcharbeiten muss. Seine Lernfortschritte werden ständig von meinem Vater überprüft. Nicht selten artet dies aus, weil Nico noch immer massive Probleme beim Lesen hat, und wird dafür bestraft.

Strafen bestehen meistens aus Schlägen oder Isolation in der Besenkammer. Dort musste er früher auch rein, wenn wir Besuch hatten. Mittlerweile hält er sich in solch einem Fall meistens im Heizungskeller auf, wo wir wegen ihm ein kleines Badezimmer eingerichtet haben. An diesem Ort befindet er sich auch, wenn keiner von uns zu Hause ist. Sonst bestünde die Gefahr, dass er versuchen könnte wegzulaufen und das würde uns klarerweise in große Schwierigkeiten bringen. Daher sind alle Fenster und Türen des Hauses doppelt verriegelt.
Ab und zu wurde ihm bereits als Strafe das Essen verwehrt - wozu es nicht mehr kommt, da ihn dies erst vor ein paar Monaten fast in die Magersucht getrieben hat - oder er bekommt noch mehr Aufgaben im Haushalt.

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