Kapitel 19

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AMALIA

Es tat mir leid, Carla ihren Wunsch ausschlagen zu müssen, aber sie konnte unmöglich alleine bis nach Medellín reiten! Es war zu gefährlich und nachdem, was damals mit Esteban passiert war, fühlte ich mich doppelt unsicher, sie alleine gehen zu lassen. Begleiten konnte sie allerdings auch keiner, denn wir hatten alle eine Menge im Dorf zu tun und konnten unmöglich für ein ganzes Wochenende gehen! Hoffentlich nahm Carla es uns nicht allzu übel, es tat mir ja selber im Herzen weh, sie so abwürgen zu müssen. Ich musste dringend noch einmal mit ihr sprechen, um sicherzugehen, dass sie nicht sauer auf uns war. Bruno hatte am Nachmittag einen Termin für eine Vision mit einer jungen Frau aus dem Dorf, die wissen wollte, ob ihre Hochzeit schön werden würde, also hatte ich Zeit, um nach Carla zu sehen. Ich klopfte gegen ihre Tür und trat ein. Carla war auf einer der oberen Plattformen, auf der sich ihr Schrank und ihr Spiegel befanden.
"Carlita, amor? Kann ich bitte mal mit dir reden?", rief ich nach oben, worauf sie sich umdrehte und mich ansah.
"Ja, warte kurz!", antwortete sie und ließ ihre Plattform nach unten schweben. "Was gibt es denn, Mamá?"
"Ich wollte mit dir noch einmal wegen vorhin sprechen. Nicht, dass du uns da falsch verstanden hast. Wir verstehen deinen Liebeskummer, wirklich, aber Medellín ist einfach sehr weit weg. Wir haben nur Angst, dass dir auf dem Weg etwas passiert! Und diese Sorgen würden wir uns auch machen, wenn du ein Junge wärst! Das hat nichts mit deinem Geschlecht zu tun!", erklärte ich und nahm ihre Hand. "Wirklich, mi vida, wir nehmen deine Sorgen ernst, aber der Weg ist einfach zu lang und zu gefährlich! Wir wollen nur nicht, dass dir etwas passiert! Und nach der Sache mit Esteban vor einigen Jahren, sind wir nun einmal extra vorsichtig!" Sie stöhnte genervt und verdrehte die Augen.
"Mamá, da war ich fünf, das ist jetzt zehn Jahre her! Ich kann mittlerweile sehr gut auf mich selbst aufpassen und bin sehr viel vorsichtiger geworden, wem ich vertraue und wem nicht!", wandte sie genervt ein. "Und es wäre doch auch nur ein Wochenende und kein ganzes Jahr! Ich will ja keine Weltreise machen, nur meinen Freund besuchen!"
"Ich weiß, mi vida, aber Medellín ist doch recht weit weg. Wir machen uns doch nur Sorgen um dich", erwiderte ich und lächelte sie an.
"Das müsst ihr nicht, ich kann sehr gut selbst auf mich aufpassen! Und ich kann Gedanken lesen, schon vergessen? Sollte jemand etwas Böses vorhaben, kriege ich das auf jeden Fall rechtzeitig mit und kann mich aus dem Staub machen! Was soll denn schon passieren?", meinte sie unbekümmert und zuckte die Schultern.
"Carla, ich weiß, dass du das alles kannst, aber sollte doch etwas passieren, bist du auf einem langen Weg verschollen und wir hätten keine Chance, dich zu finden! Ich will dich nicht schon wieder verlieren, mi vida, verstehst du das? Und Papá will es auch nicht", wandte ich besorgt ein.
"Das weiß ich, aber ich bin alt genug, um solche Sachen selbst zu entscheiden, meinst du nicht?", fragte sie nach, ich seufzte und schüttelte den Kopf.
"Nein, tut mir leid. Dafür ist es mir zu gefährlich. Würde es hier um einen Freund in der Stadt gehen oder um einen Ausflug zum Fluss, würde ich nichts sagen, aber Medellín ist eine ganz andere Baustelle!", widersprach ich ihr. "Nimm es mir bitte nicht übel, amor." Sie zog ihre Hand weg und drehte sich wieder zu ihrem Schrank um.
"Schon gut, Mamá. Ihr macht euch ja nur Sorgen. Würde es dir etwas ausmachen, mich alleine zu lassen? Ich will meine Klamotten ausmisten", bat sie abweisend, ich seufzte und nickte.
"Natürlich, amor. Du kannst aber immer zu uns kommen, wenn du reden möchtest, hörst du?", bot ich an, sie nickte.
"Mach ich." Also verließ ich ihr Zimmer wieder und schloss die Tür hinter mir. Das hatte nicht geklappt wie erhofft, ich wusste nicht einmal, ob ich es irgendwie besser gemacht hatte. Ich schüttelte den Kopf und ging nach unten, wo Estrella und Luna spielten. Luna flog hoch in die Luft, Estrella folgte ihr in Gestalt eines Tukans. Die zwei liebten ihre Gaben!
"Hey, das sieht toll aus, mis princesas!", rief ich ihnen zu, worauf sie zu mir nach unten kamen und Estrella sich zurück verwandelte.
"Ja, wir üben auch ganz viel!", rief Luna aufgeregt.
"Mamá, guck mal, was ich vorhin gemacht habe!", erwiderte Estrella ebenso aufgeregt und streckte die Arme zu den Seiten aus, bevor sie sich in einen riesigen, lila Drachen verwandelte und gen Himmel flog. Wow, das war wirklich unglaublich! Sie stieß einen lauten Schrei aus, bevor sie etwas Feuer in den Himmel spuckte und dann wieder landete. Etwas ungeschickt fiel sie bei der Rückverwandlung hin, ich half ihr sofort wieder hoch.
"Das ist toll, mi vida! Das sah wirklich toll aus!", lobte ich sie, während sie unsicher schwankte. "Geht es dir gut?"
"Ja, nur wenn ich etwas zu Großes oder etwas zu lange mache, wird mir schwindelig", antwortete sie und hielt meine Hände fest. "Das war vorhin auch schon so, aber es geht gleich wieder weg!"
"Dann ist ja gut", seufzte ich beruhigt. Da sah ich, dass ihr Knie blutete. Wahrscheinlich musste sie es sich beim Landen und Hinfallen aufgeschürft haben. "Hey, dein Knie blutet ja, mi vida. Setz dich mal hin, ja? Ich hole dir eine Arepa von tía Julieta. Lunita, würdest du bitte kurz auf deine Schwester aufpassen?" Luna nickte und setzte sich zu Estrella auf die kühlen Fließen, während ich in die Küche ging, wo Julieta gerade etwas zu essen vorbereitete, das sie eigentlich ins Dorf bringen wollte, um die Bewohner zu heilen. "Julieta, könnte ich mir eine Arepa nehmen? Estrella hat sich ihr Knie aufgeschürft, als sie mir ihre Gabe gezeigt hat." Meine Schwägerin nickte und gab mir eine Arepa.
"Natürlich, hier", erwiderte sie, ich bedankte mich und ging dann zurück zu meinen Töchtern, die noch auf dem Boden saßen und herumalberten. So schlecht schien es Estrella also nicht zu gehen, wenn sie herumalbern konnte!
"Hier, amor", sagte ich und hielt ihr die Arepa hin, die sie annahm und herzhaft hineinbiss.
"Danke, Mamá!", erwiderte sie, während sich die Wunde an ihrem Knie schloss. "Können wir dann wieder spielen gehen?"
"Natürlich, ihr zwei. Geht nur nicht zu weit in den Wald, ja? Und seid zum Abendessen wieder da, sonst wird Abuela sauer!", stimmte ich zu, die beiden nickten und standen wieder auf.
"Na klar, Mamá! Bis später, wir haben dich lieb!" Sie drückten mir einen Kuss auf die Wange.
"Ich euch auch, ihr Mäuse." Damit rannten sie nach draußen und ich ging zurück in die Küche, um Julieta zu helfen. Sie würde sicherlich Hilfe beim Tragen brauchen und da Carla mich beim Ausmisten ihrer Klamotten nicht brauchte, half ich eben Julieta. Mich brauchte hier ja sonst keiner! Zumindest nicht im Moment.

Ich brauche dich, Bruno 4 - Die verlorene Tochter - Carlas Suche Onde as histórias ganham vida. Descobre agora