Kapitel 18

25 4 0
                                    

CARLA

Am nächsten Morgen war es soweit. Luca reiste ab. Ich wartete vor seiner Haustür, noch bevor die Sonne aufgegangen war und half ihm dabei, das bereitgestellte Pferd zu satteln. Er warf seine Taschen über den Rücken des Pferdes, bevor er es an den Zügeln nahm und wir in Richtung Wald liefen. Schweigend liefen wir nebeneinander her, weil wir beide nicht wussten, was wir in dieser traurigen Situation sagen sollten. Nur das Schnauben des Pferdes war zu hören und die leisen Huftritte, während wir über den weichen Boden liefen und schlussendlich zum Fluss gelangten. Dort blieb Luca stehen und sah mich an.
"So, jetzt heißt es wohl Abschied nehmen", sagte er und seufzte.
"Ja, leider", erwiderte ich nur und nickte niedergeschlagen. Er nahm meine Hand und drückte sie.
"Ich bin nicht allzu gut mit Worten, Carla, und ich weiß auch nicht wirklich, was ich jetzt sagen soll, aber ich versuche es einfach mal. Ich werde dich nie vergessen, das verspreche ich dir. Ich schreibe dir, sobald ich zuhause bin, versprochen. Ich liebe dich, mi amor. Wir kennen uns vielleicht nur zwei Wochen, aber ich hab das Gefühl, als würde ich dich schon ein Leben lang kennen", sagte er, worauf mir Tränen in den Augen standen. Ich wischte sie schnell fort und umarmte ihn stürmisch.
"Mir geht es genauso! Ich liebe dich auch, mi amor! Ich erwarte deinen Brief und schreibe dir sofort zurück, versprochen! Ich liebe dich!", erwiderte ich, während er meine Umarmung erwiderte und mich stark an sich drückte.
"Ich kann es kaum erwarten, deinen Brief zu lesen", flüsterte er mir leise zu, bevor er mich küsste, ich erwiderte den Kuss. Obwohl wir uns solange küssten, bis wir keine Luft mehr bekamen, kam der Kuss mir viel zu kurz vor. Als wir uns voneinander lösten und Luca meine Hand losließ, um aufzusitzen, konnte ich meine Tränen nicht länger aufhalten. Luca saß noch einmal ab und küsste mir die Tränen von der Wange. "Wein nicht, Carla, das macht es nur noch schwieriger! Und ich schreibe dir, sobald ich zuhause bin, versprochen. Und sobald ich kann, komme ich dich wieder besuchen, das verspreche ich dir hoch und heilig." Ich nickte und wischte mir die Tränen ab.
"Danke, das wäre sehr schön", erwiderte ich etwas heiser, er lächelte mich an und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
"Ich liebe dich, mi amor. Wir sehen uns wieder."
"Ich liebe dich auch." Er ließ mich los und saß auf, bevor er durch den Fluss ritt. Ich blieb am Wasser stehen, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte und wischte mir die letzten Tränen ab, bevor ich schließlich umkehrte, um zurück zu Casita zu laufen. Ich wollte Luca nicht verlieren, ich wäre am liebsten mit ihm mitgegangen! Ich konnte nicht ohne ihn leben! Als ich zuhause ankam, ließ ich mir von Casita helfen, die Treppen hinaufzukommen, um in mein Zimmer zu gehen und mich auf mein Bett fallen zu lassen. Wieso konnte Luca nicht bei uns leben? Hoffentlich schrieb er mir schnell, ich vermisste ihn jetzt schon!

Obwohl Luca gerade mal seit einem Monat wieder zuhause war und wir uns quasi täglich schrieben, hatte sich mein Liebeskummer nicht wirklich gelegt. Ich vermisste es, seine Stimme zu hören und seine Nähe zu spüren und das konnten auch seine Briefe nicht ersetzen. Jeden einzelnen davon küsste ich, nachdem ich ihn gelesen hatte und bewahrte alle in einer verschlossenen Kiste auf, um sie ja nicht zu verlieren. Auch Estrella und Luna vermissten es, mit ihm zu spielen, aber sie hatten keine Ahnung, wie sehr ich ihn vermisste! Ihn nicht bei mir zu haben, fühlte sich einfach schrecklich an! Ich musste zu ihm, sofort! Ich konnte nicht noch länger warten! Ich hatte mich auf einer Karte darüber informiert, wo genau Medellín lag und hatte mir den Weg fest ins Gehirn gebrannt. Es würde gute fünf Stunden dauern, bis dorthin zu reiten, aber das wäre es mir wert, um meinen Freund sehen zu können. Jetzt mussten nur noch Mamá und Papá zustimmen, mich gehen zu lassen. Nur über das Wochenende! Dann hatte Luca vielleicht auch frei und wir konnten etwas zusammen machen. Als wir heute mit Abuela im Dorf waren, um einige Einkäufe zu tätigen, sah ich meine Eltern an.
"Mamá, Papá? Darf ich euch um etwas bitten?", fragte ich, worauf die beiden mich ansahen und nickten.
"Natürlich, was ist denn, amor?", fragte Mamá zurück und nahm Abuela den Korb voller Kräuter ab, die wir für tía Julieta geholt hatten.
"Wisst ihr, ich vermisse Luca ziemlich und selbst seine Briefe können nicht viel helfen. Ich wollte euch deshalb fragen, ob ich für ein Wochenende nach Medellín reisen könnte, um ihn zu besuchen. Ich halte es einfach nicht länger ohne ihn aus!", antwortete ich, worauf meine Familie stehenblieb und mich überrascht ansah.
"Du willst wohin?", fragte Abuela verwirrt nach.
"Nach Medellín zu Luca. Ich habe mir den Weg schon auf der Karte angesehen und in ein paar Stunden wäre ich dort!", wiederholte ich aufgeregt, aber Papá schüttelte den Kopf.
"Nein, du gehst nicht nach Medellín!", antwortete er, worauf ich ihn überrascht ansah. Wieso wollte er mich nicht gehen lassen?
"Wieso denn?", fragte ich fassungslos nach.
"Erstens mal ist Medellín sehr weit weg! Und zweitens bist du erst fünfzehn und hast hier Pflichten zu erledigen!", antwortete er.
"Luca ist auch fünfzehn und er reist alleine!", wandte ich ein. "Und übers Wochenende wird mich wohl kaum einer vermissen!"
"Natürlich vermissen wir dich über das Wochenende!", rief Mamá.
"Aber Luca darf alleine zwei Wochen verreisen und ihn vermisst zuhause keiner!", widersprach ich ihr sofort. "Wieso darf ich das dann nicht?"
"Na ja, mi vida, es ist nun mal so, dass... na ja... Luca ein Junge ist und du ein Mädchen", wandte Papá vorsichtig ein, worauf ich ihn fassungslos ansah.
"Ernsthaft? Ich darf nicht nach Medellín, weil ich ein Mädchen bin?! Tut mir leid, dass ich nicht als Junge geboren wurde!", fuhr ich ihn wütend an und verschränkte die Arme vor der Brust.
"So war das nicht gemeint, mi vida! Jungs können sich nur für gewöhnlich besser beschützen als Mädchen auf so einem langen Weg!", wandte er schnell ein.
"Dann soll mich doch jemand begleiten!", schlug ich vor, aber Abuela schüttelte entschieden den Kopf.
"Wir werden alle hier im Dorf gebraucht! Hör auf deinen Vater, Carla! Du bleibst hier! Luca wird schon irgendwann wiederkommen und ihr habt ja wenigstens eure Briefe! Das muss für den Moment reichen, tut mir leid", entschied sie, bevor sie weiterging, Papá folgte ihr. Mamá legte mir eine Hand auf die Schulter und gab mir einen Kuss auf die Wange.
"Es tut mir leid, mi vida, aber dein Vater hat recht. Das ist zu gefährlich für dich", meinte sie und lächelte mich entschuldigend an, bevor sie Papá und Abuela folgte. Ich seufzte und blieb stehen. Wieso nur ließen sie mich nicht gehen, wenn ich Luca so sehr vermisste? Nur, weil ich ein Mädchen war, durfte ich nicht gehen?! Denen würde ich es zeigen! Ich würde zu Luca kommen und meiner Familie beweisen, dass ich alleine verreisen konnte! Die würden sich noch wundern!

Ich brauche dich, Bruno 4 - Die verlorene Tochter - Carlas Suche Where stories live. Discover now