Kapitel 19

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AMALIA

Während wir Carla schützend umarmten, spürte ich genau, wie sehr sie sich verkrampfte und verzweifelt versuchte nicht zu weinen oder die Kontrolle über sich zu verlieren. Sie musste wirklich Angst haben, wenn sie diese Stimmen hörte und ihren Körper dann auch nicht mehr richtig kontrollieren konnte. Ich konnte verstehen, dass sie Angst gehabt hatte und weggelaufen war, aber sie hätte mit uns darüber reden müssen! Wir hätten ihr doch geholfen! Ich wusste genau, dass sie ihre Schwestern niemals freiwillig verletzt, geschweige denn umgebracht hätte, das war nicht sie gewesen. Es war Estebans Schuld, er beeinflusste sie auf eine negative Weise und nahm ihr jegliche Entscheidungsfreiheit. Ich hoffte wirklich, dass wenigstens die Stimme von Brunos Vater netter zu ihr war! Bruno und ich hielten Carla fest an uns gedrückt, während Bruno unserer Familie erklärte, was hier los war. Alle wirkten sofort geschockt und schienen nicht zu wissen, was sie sagen sollten, aber es war auch nicht nötig, viel dazu zu sagen. Alma drehte sich schließlich nur zum Bild ihres Mannes im Treppenhaus um, das wie zu leuchten schien. Sie seufzte leise.
"Pedro, du bist mal wieder unsere Rettung", flüsterte sie leise. "Danke, dass du Carla hilfst!"
"Abuela, in deinem Zimmer gibt es ein Buch, das unsere Kräfte genau beschreibt! Da steht auch drin, dass ich diese Stimmen hören kann, ich hab es gelesen! Es tut mir leid, dass ich einfach in dein Zimmer gegangen bin, aber ich wollte nur rausfinden, was los ist! Ich hatte einfach Angst! Vielleicht gibt es ja auch eine Lösung dafür in diesem Buch! Sonst gehe ich wieder! Mit meiner Gabe bin ich bloß eine Gefahr für die ganze Familie!", erwiderte Carla verzweifelt.
"Nein, Carla, du bleibst hier! Du wirst nicht wieder gehen, du bist keine Gefahr!", beruhigte Félix sie. "Wirklich, bleib hier. Es gibt mit Sicherheit eine Lösung."
"Ich gehe das Buch holen und dann sehen wir nach", sagte Alma, bevor sie schnellen Schrittes nach oben ging. Ich hielt die Hand meiner Tochter fest und lächelte sie an.
"Carla, ist die Stimme von Abuelo Pedro wenigstens nett zu dir?", fragte ich sie, sie nickte.
"Ja, er versucht mir zu helfen", antwortete sie mir, worauf ich sie anlächelte.
"Sehr gut, dann denk nur daran. Versuch Estebans Stimme zu ignorieren und nur an Abuelo Pedro zu denken! Er wird dir helfen!", erwiderte ich, sie nickte und atmete tief durch, während sie die Augen schloss, um sich zu konzentrieren. Langsam lösten sich ihre verkrampften Hände und sie atmete ruhiger, bevor sie die Augen wieder öffnete und uns ansah. "Besser?"
"Ja, danke, Mamá. Etwas schon", antwortete sie, worauf ich sie an mich drückte und Bruno ihr einen Kuss auf die Wange gab.
"Siehst du? Zusammen kriegen wir das hin! Und sobald du dich beruhigt hast, werden die Risse in Casita auch wieder verschwinden! Du musst dir nur für diese ganzen Sachen verzeihen, du kannst nichts für das, was du getan hast! Es kam nicht von dir, sondern von Esteban. Du bist so unschuldig wie früher, Carlita", beruhigte er sie. Sie nickte und da fiel mir auf, dass sie ihre Kette nicht mehr trug.
"Hey, mi vida, wo ist denn deine Kette hin?", fragte ich sie, um etwas vom Thema abzulenken. Vielleicht würde sie das ja auch ein wenig beruhigen.
"Die hab ich in meinem Versteck weggeworfen. Ich dachte, dass ich es nicht verdient habe, eine Madrigal zu sein, wenn ich so böse Sachen veranstalte", antwortete sie verlegen und zuckte die Schultern. Sie hatte sich nicht mehr als Teil dieser Familie gesehen? Wie schrecklich war das denn! Der Rest der Familie kam zu uns, um sich der Umarmung anzuschließen.
"Du bist natürlich eine Madrigal und das wirst du auch immer bleiben, hörst du? Da kann kommen, was wolle!", beruhigte Julieta sie.
"Weißt du was? Morgen gehen wir in den Wald und suchen deine Kette! Wir finden sie bestimmt wieder", sagte ich, Carla nickte.
"Ja, danke, Mamá", stimmte sie zu.
"Und wir kommen mit und spielen mit dir!", meinte Mirabel, Camilo nickte.
"Auf jeden Fall!"
"Und wir kommen auch mit! Ich mache dir eine schöne Blumenkrone und dann spielen wir wie früher Prinzessin!", erwiderte Isabela, Dolores nickte. Da kam Alma zurück und setzte sich zu uns auf den kühlen Boden. Sie schlug das magische Buch auf, das in einer magischen Schrift leuchtete. Sie schlug Carlas Seite auf, die hell leuchtete.
"Diese Seite hab ich schon gelesen, Abuela", meinte Carla.
"Ja, aber es gibt etwas, dass du nicht über dieses Buch weißt", erwiderte Alma. Sie holte die magische Kerze hinter ihrem Rücken hervor und stellte sie neben das Buch. "Stell der Kerze eine Frage. Mit etwas Glück kennt sie die Antwort und wird sie ins Buch schreiben lassen. Die beiden Gegenstände sind nämlich miteinander verbunden." Carla sah die Kerze unsicher an.
"Wie kann ich die böse Stimme von Esteban loswerden?", fragte sie, worauf die Kerze hell aufleuchtete und sekundenspäter erschien eine helle Schrift unter Carlas Text. Alma hielt Carla das Buch hin.
"Lies vor, Carla."
"Die Stimmen können nicht einfach ungehört gemacht werden, sie passen sich je nach ihrer Stimmung an. Geht es ihr gut, wird sie positivere Stimmen hören, als wenn es ihr schlecht geht", las Carla vor, bevor sie uns geschockt ansah. "Muss ich Estebans Stimme jetzt für immer hören?"
"Nein, du musst dich bloß wieder sicher und gut in deiner Haut fühlen, mi amor! Dann wird sie von ganz allein verschwinden! Und halte dir immer vor Augen, dass wir dich über alles lieben und du nichts tun könntest, was diese Liebe null und nichtig machen könnte! Und du wirst die beste große Schwester für Estrella und Luna sein, die man sich wünschen kann!", antwortete ich ihr, sie nickte.
"Na gut, wenn du meinst, Mamá. Ich hab euch alle lieb und es tut mir leid, dass ich so viel Mist gebaut habe in letzter Zeit", erwiderte sie.
"Ist vergessen, Carlita. Wir haben dich auch lieb", sagte Bruno und lächelte sie an. Die Kerze leuchtete grell auf, bevor ich sah, dass sich alle Risse in Casita wie von Zauberhand schlossen und das Haus in einem neuen Glanz erstrahlte. Carlas Tür im oberen Stockwerk begann wieder zu leuchten und als ich meine Tochter ansah, lachte sie und wirkte schon sehr viel freier und entspannter. Etwas in ihr hatte sich verändert. "Geht es dir jetzt besser, mi vida?"
"Ja, Estebans böse Stimme ist verschwunden!", antwortete sie glücklich. "Darf ich Estrella und Luna mal halten?"
"Natürlich." Pepa und Julieta gaben ihr die Zwillinge auf den Arm, Carla lächelte sie an.
"Hola, ihr zwei. Es tut mir leid, dass ich so gemein zu euch war, ihr seid toll. Hoffentlich verzeiht ihr mir noch einmal", sagte sie leise und gab ihnen einen Kuss auf die Stirn. "Ich passe ab sofort gut auf euch auf, versprochen. Ihr habt nämlich nichts besseres verdient. Ich liebe euch und ich werde nicht zulassen, dass euch jemals wieder etwas passiert. Ich werde euch eine gute Schwester sein, das verspreche ich euch. Ihr könnt immer zu mir kommen, wenn ihr ein Problem habt, hört ihr? Ich werde euch helfen, das verspreche ich euch mit meinem Leben! Und ich meine es auch so, mis hermanitas queridas."

Ich brauche dich, Bruno 3 - Schwindende MagieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt