Kapitel 2

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BRUNO

Ich ging mit Carla nach unten, wo Mira und Milo ungeduldig auf uns warteten. Sie wollten unbedingt mit Carla und mir verstecken spielen und ich hatte den beiden versprochen, dass ich meine Tochter holen gehen würde. Als wir jetzt die Treppe nach unten kamen, rannten sie aufgeregt auf uns zu, worauf Carla ihre Haare über ihre Narbe legte und den Kopf senkte. Es war ihr immer noch ungeheuer, mit ihren Cousins zu spielen, aber das musste es nicht. Nur, weil sie sich so fühlte, als wäre sie verstörend und verrückt, musste das ja nicht zwangsläufig stimmen - und das tat es absolut nicht. Sie war immer noch genauso wundervoll wie vor fünf Jahren, daran hatte sich absolut nichts geändert! Ich wusste nur nicht, wie ich sie davon überzeugen konnte. Lia und ich versuchten es seit fünf Jahren und kümmerten uns beinahe vierundzwanzig Stunden am Tag intensiv um sie, aber das schien irgendwie nicht zu helfen. Was konnten wir nur tun, damit es ihr endlich wieder besser ging? Wir hatten schon alles versucht, aber irgendwie klappte nichts. Ich wollte meiner Tochter helfen, Lia auch, aber wir wussten beide so langsam nicht mehr weiter. Wir gaben ihr jede mögliche Form von Aufmerksamkeit und hatten dafür gesorgt, dass selbst, wenn die Zwillinge geboren worden waren, immer jemand bei Carla war, damit sie sich nicht zurückgesetzt oder vernachlässigt fühlte. Ich hoffte wirklich, dass das auch klappen würde!
"Tío, da bist du ja! Können wir jetzt endlich verstecken spielen?", rief Mira aufgeregt.
"Ja, machen wir, Mira. Ich hab auch Carla mitgebracht", stimmte ich ihr zu.
"Ich verstecke mich schon mal", murmelte Carla und wollte weggehen, aber ich hielt sie fest. Ich wusste genau, dass sie sich dann bloß wieder verstecken würde, ohne, dass wir sie finden konnten, also musste ich sie irgendwie davon abhalten, sich direkt wieder zurückzuziehen.
"Wie wäre es, wenn du zuerst suchst?", schlug ich vor, sie seufzte und nickte.
"Ja, na gut", willigte sie ein. "Ich zähle bis zwanzig." Sie stellte sich gegen die Säule, schloss die Augen und begann zu zählen, worauf Mira und Milo sofort davonrannten, um sich zu verstecken. Ich ging einfach in die Küche und setzte mich hinter die Theke, sodass ich Carla im Blick hatte. Sie stand einfach nur an die Säule gelehnt da und zählte, wirkte allerdings absolut unzufrieden. Was konnte ich nur tun, um ihr zu helfen? Ich seufzte leise. Ich wollte meine Tochter nicht mehr so traurig, traumatisiert und ja, beinahe schon depressiv, sehen. Ich wusste nicht, wie lange ich sie noch so sehen konnte, aber ich wusste auch nicht, was ich tun konnte, damit es ihr besser ging. Ich liebte sie doch so sehr! Sie hob den Kopf, straffte die Schultern und lief dann die Treppen hinauf, um oben nach Mira und Milo zu suchen. Ich blieb sitzen und wartete einfach. Da kam Lia mit einem Korb voller Wäsche in die Küche und stellte ihn auf die Anrichte. Ich stand sofort auf.
"Lia, du sollst doch nicht so schwer schleppen!", wandte ich sofort besorgt ein und nahm ihr den Korb ab. Sie stand nur noch wenige Wochen vor der Geburt und sollte sich eigentlich ausruhen, aber sie konnte nicht anders, als sich trotzdem weiter um den Haushalt zu kümmern. Mir machte das etwas Sorgen, ich hatte nämlich Angst, dass sich das negativ auf ihren Zustand auswirkte und es vielleicht zu einer vorzeitigen Geburt kommen könnte. Sie sah mich an, lächelte und legte sich eine Hand auf ihren riesigen Bauch, auf dem sie mittlerweile ihren Teller abstellen konnte, ohne, dass er herunterfiel. Das musste sie beim Essen sogar machen, weil sie kaum mehr nah genug an den Tisch kam, um ihren Teller dort abzustellen.
"So schwer ist der Korb nicht, Brunito", konterte sie und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Und irgendjemand muss sich ja um die Wäsche kümmern, während du mit den Kindern spielst!"
"Dann hol Pepa oder Julieta, aber du solltest hier nicht so viel tun! Du musst dich ausruhen!", erwiderte ich und strich ihr vorsichtig über den Bauch, während ich ihr einen Kuss auf die Wange gab. "Tu mir bitte den Gefallen, ja? Ich mache mir nur Sorgen um dich." Sie lächelte mich an.
"Das weiß ich doch, aber du musst dir keine Sorgen machen, es geht mir gut. Ich kann schon selbst einschätzen, was ich tun kann und was nicht", sagte sie liebevoll und lehnte sich gegen die Küchentheke. "Spielt ihr immer noch verstecken?"
"Ja, aber ich musste dir jetzt schnell helfen", antwortete ich ihr.
"Das musst du nicht, versteck dich ruhig wieder. Ich lasse den Korb hier, dann sollen Julieta oder Pepa das später machen. Wenn du dich dann beruhigst, lege ich mich etwas ab", erwiderte sie und gab mir einen Kuss auf die Wange. "Mach dir keine Sorgen, ja? Ich spüre am besten, was ich kann und was nicht."
"Ich weiß", gab ich ihr recht und nickte. "Ich bin nur wieder zu übervorsichtig, tut mir leid."
"Muss es nicht, ich weiß ja, dass du es nur gut meinst", beruhigte sie mich. "Dann lege ich mich oben etwas ab, ja? Carla und du könnt ja später zu mir kommen, wenn ihr fertig mit spielen seid."
"Machen wir", stimmte ich zu, worauf sie sich wieder die Treppe nach oben schleppte, um sich hinzulegen. Ich setzte mich wieder in mein Versteck und lauschte dem aufgeregten Lachen von Mira, die wohl von Carla gefunden worden war. Mit Carla verstecken zu spielen war wirklich schwer, denn dadurch, dass sie Gedanken lesen konnte, konzentrierte sie sich einfach auf die Stimmen und ließ sich zu ihnen leiten. Es war am besten, gar nichts zu denken, wenn man mit ihr spielte, aber das war leichter gesagt als getan - besonders für Vierjährige. Carla hatte als Sucher also wirklich leichtes Spiel. Wortwörtlich. Mira rannte nach unten ins Erdgeschoss und setzte sich auf eine Bank, um dort auf die anderen zu warten. Sie war wirklich goldig, mit den kurzen, schwarzen Locken, der kleinen, grünen Brille und dem wirklich aufgeweckten Gemüt. Sie hatte immer Energie, egal, wann man sie antraf und war immer bereit, um zu spielen oder irgendwem zu helfen. Ich war wirklich gespannt, welche Gabe sie zu ihrem Geburtstag in einem Jahr bekommen würde. Ebenso war ich auf Milos Gabe gespannt. Dolores, Isabela und Luisa hatten ihre Gaben schon erhalten, vor einigen Jahren schon. Dolores hatte ein ausgezeichnetes Gehör bekommen, mit dem sie selbst einen tropfenden Wasserhahn aus einigen Kilometern Entfernung mühelos und klar hören konnte. Isabela konnte Blumen erschaffen und damit wunderschöne Kränze und Sträuße erstellen und Luisa hatte die Gabe bekommen, so stark zu sein, dass sie mühelos einen ganzen Berg hochheben und versetzen konnte. Ich war jedes Mal über unsere Magie erstaunt. Sie war wirklich wundersam und unzerstörbar. Ich war stolz darauf, Teil dieser Familie zu sein und ich liebte jeden einzelnen über alles. Ich würde alles tun, um sie zu beschützen, wirklich alles. Ebenso wie ich für die Magie alles tun würde, aber das würde wahrscheinlich nie nötig werden. Sie war schließlich unzerstörbar!

Ich brauche dich, Bruno 3 - Schwindende MagieWhere stories live. Discover now