Kapitel 6

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BRUNO

Ich ging mit Carla zu unserer Lichtung, wo wir uns zusammen an den Fluss setzten. Ich hatte sie von Mamá wegholen müssen, bevor diese ihr noch ein schlechtes Gewissen einredete, weil sie nicht ins Dorf ging. Ich konnte nachvollziehen, wie Carla sich fühlte, mir war es lange Zeit ja genauso gegangen wie ihr. Ich konnte sehr gut verstehen, dass sie nicht ins Dorf wollte und dass sie Angst vor den Leuten hatte, die sie in letzter Zeit wirklich nicht gerade sehr nett behandelt hatten. Aber genau deswegen würde ich ja mit ihr mitgehen. Ich würde sie unterstützen und beschützen, niemand konnte ihr etwas tun. Sie war meine Tochter und ich liebte sie über alles. Ich würde alles tun, um sie zu beschützen. Als wir jetzt am Fluss saßen, pflückten wir einige Blumen, bevor ich Carla zeigte, wie man aus ihnen eine kleine Krone flechten konnte. Ich war schließlich mit zwei Schwestern aufgewachsen, ich wusste, wie das ging. Während wir zusammen unsere Kronen bastelten, war es seltsam still. Ich sah Carla an.
"Ist alles gut, mi hija?", fragte ich sie, sie zuckte die Schultern.
"Ich will nicht ins Dorf gehen. Wieso hast du Abuela nicht gesagt, dass ich das nicht kann?", fragte sie nach und sah mich beinahe enttäuscht an. Sie war traurig, weil ich Mamá nicht widersprochen hatte?
"Du bist traurig, weil ich zugelassen habe, dass du ins Dorf musst?", fragte ich verwirrt nach, sie zuckte die Schultern.
"Ich will das einfach nicht, du weißt doch, wie gemein alle dort zu mir sind! Und da dachte ich, dass du das verstehst und Abuela nicht zustimmst!", erklärte sie und sah mich an. "Besonders, weil es bei dir früher ja auch so war." Ich seufzte und legte die Blumen zur Seite, um Carla in den Arm zu nehmen. Ich hatte nicht gewollt, dass sie sich missverstanden fühlte, aber sie konnte auch nicht ewig nur alleine in ihrem Zimmer sitzen!
"Carlita, so habe ich das nicht gemeint! Ich weiß, wie du dich fühlst und ich kann verstehen, dass sich das schrecklich anfühlt, aber du kannst dich nicht ewig in deinem Zimmer verstecken! Wir schaffen das zusammen, amor. Ich bin ja dabei und beschütze dich, dir kann nichts passieren. Und sobald irgendjemand dir blöd kommt, sagst du mir Bescheid, ja?", beruhigte ich sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. "Du bist doch das Wertvollste, das ich habe! Da lasse ich bestimmt nicht zu, dass dich jemand ärgert!" Sie nickte und lehnte ihren Kopf an meine Schulter.
"Gestern Nacht hast du dich aber bloß um die Zwillinge gekümmert", murmelte sie, worauf ich sie ansah.
"Das habe ich nicht, Carlita. Ich wollte bloß deine Mamá entlasten, weil sie sehr erschöpft war! Ich war doch trotzdem bei dir! Und es tut mir leid, dass wir unsere gemeinsame Sternenschau gestern Abend unterbrechen mussten, aber es war wirklich wichtig. Deswegen bin ich ja jetzt mit dir hier und hole unsere Vater-Tochter-Zeit nach. Ich wollte dich gestern nicht abwürgen, wirklich. Kannst du mir das noch mal verzeihen, mi vida?", fragte ich sie, sie nickte.
"Ja, kann ich, Papá. Ich dachte nur, dass jeder die Zwillinge jetzt lieber hat als mich. Ich meine, sie haben keine Narbe und seit gestern Abend werde ich so gut wie gar nicht mehr beachtet! Abuela Ines hat mich vorhin nicht mal wirklich begrüßt!", antwortete sie niedergeschlagen, worauf ich sie in den Arm nahm.
"So ist das mit neuen Babys immer, mi vida, das heißt aber nicht, dass wir sie lieber haben als dich, auf gar keinen Fall! Und deine Narbe hat damit erst recht nichts zu tun! Wir lieben dich genauso sehr wie die Zwillinge, das kannst du mir glauben. Erinnerst du dich noch daran, als Mirabel geboren wurde? Da waren Isa und Luisa auch so eifersüchtig auf sie wie du jetzt! Das ist ganz natürlich, aber das legt sich auch wieder. Wichtig ist nur, dass du dir merkst, dass wir trotzdem jederzeit für dich da sind und wir dich trotzdem unermesslich lieben! Daran können die Zwillinge nichts ändern, nichts und niemand kann das! Merk dir das, ja?", bat ich, sie nickte und lächelte mich an.
"Ja, danke, Papá. Ich hab dich lieb", erwiderte sie, worauf ich ihr einen Kuss auf die Stirn gab.
"Ich dich auch, mi vida." Sie hielt mir ihre fertige Blumenkrone hin.
"Ich glaube, dass ich fertig bin. Glaubst du, dass sie mir passt?", fragte sie nach.
"Es gibt nur einen Weg, um das rauszufinden", antwortete ich und war wirklich froh über diesen Themenwechsel. Ich setzte ihr die Krone auf und lächelte sie an. Sie saß perfekt und stand Carla wirklich gut. "Du siehst wunderschön aus, mi princesa." Sie lachte.
"Danke, Papá", erwiderte sie und setzte mir ebenfalls die kleine Krone auf, die ich fertigggestellt hatte. "Du aber auch."
"Danke, Eure Majestät", grinste ich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. "Bist du bereit, jetzt ins Dorf zu gehen? Die Blumen geben dir Kraft und ich bleibe auch bei dir." Sie seufzte leise und nickte.
"Ja, wir können gehen. Ich will Abuela ja auch nicht enttäuschen", willigte sie ein.
"Das tust du nicht, amor. Du könntest uns nie enttäuschen", beruhigte ich sie, bevor wir aufstanden und ich ihre Hand nahm. Zusammen liefen wir ins Dorf und ich bemerkte sofort, dass Carla nervös wurde. Sie klammerte sich an meine Hand und sah nur auf den Boden, um die anderen Bewohner nicht ansehen zu müssen. Verwirrt sahen diese zu uns auf und redeten leise miteinander.
"Sie denken, ich bin ein Monster. Meine Augen leuchten und die Narbe lässt es so aussehen, als wäre ich ein Monster", murmelte Carla leise, worauf ich stehenblieb und mich vor sie kniete. Sie weinte lautlos und ließ ihren Tränen freien Lauf, worauf ich sie ihr sanft von der Wange küsste.
"Du bist kein Monster, mi princesa. Du bist das wundervollste Mädchen der Welt! Hör nicht auf das, was die Leute sagen und denken! Du bist unser Wunder und wir hätten uns kein besseres wünschen können!", widersprach ich ihr und drückte sie an mich. "Ich liebe dich, mi vida." Sie nickte nur stumm. "Willst du nach Hause gehen?"
"Ja, bitte", stimmte sie schluchzend zu und wischte sich über die Augen. Ich stand auf, nahm sie an die Hand und sah mich um. Die Bewohner beäugten uns argwöhnisch. Es war schrecklich, dass sie Carla so behandelten. Sie konnte doch am allerwenigsten etwas für das, was passiert war!
"Schämt euch, so etwas über Carla zu denken!", fuhr ich sie an und schob meine Tochter dann beschützend auf Casita zu. Miguel kam uns auf halbem Weg entgegen.
"Entschuldigt bitte, aber ich hab das gerade mitbekommen", sagte er und sah Carla an. "Und ich denke nicht, dass du ein Monster bist. Du bist so mutig, du kannst gar kein Monster sein. Und ich glaube, ich könnte die Hilfe von deiner Gabe und dir gebrauchen." Carla sah ihn erstaunt an.
"Ach ja? Wobei denn?", fragte sie verwirrt nach.
"Weißt du, meine Frau und ich haben uns gestritten und ich will mich wieder versöhnen, aber ich weiß um ehrlich zu sein gar nicht, weswegen sie überhaupt so sauer ist! Vielleicht könntest du das rausfinden und mir damit ein bisschen helfen", bat er, Carla sah mich an, ich lächelte sie an.
"Da siehst du es, mi vida. Du bist kein Monster und die Leute wollen deine Hilfe", ermutigte ich sie, worauf sie seufzte und nickte, bevor sie Miguel ansah.
"Ist gut, ich helfe dir. Aber Papá kommt mit", stimmte sie zu, worauf Miguel sie anlächelte.
"Danke, Carla. Und weißt du was? Wenn du mir geholfen hast, gebe dir einen Kakao! Den hast du dir für deinen Mut wirklich verdient!", erwiderte er dankbar, bevor er mit uns zum Hotel ging. Es war wirklich nett von ihm, Carla ein wenig aufzumuntern und ihr zu zeigen, dass sie im Dorf durchaus gebraucht wurde. Ich war ihm dafür wirklich etwas schuldig.

Ich brauche dich, Bruno 3 - Schwindende MagieWhere stories live. Discover now