Kapitel 4

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BRUNO

Nach dem Spaziergang wurde es Zeit fürs Abendessen, das wie immer sehr laut ausfiel. Alle Kinder außer Carla riefen aufgeregt durcheinander und erzählten von ihrem Tag. Nur Carla versteckte sich wie immer hinter ihren Haare und starrte einfach nur stumm auf ihr Essen. Seitdem wir von der Lichtung zurück waren, war sie wieder so still und traurig, was mich doch sehr traurig machte. Wieso konnte sie nicht häufiger so glücklich wie vorhin sein? Nach dem Essen ging ich mit ihr nach draußen, um das Ritual zu vollführen, das wir jeden Abend hatten, seitdem wir von Esteban zurückgekommen waren - wir bebachteten den Sonnenuntergang und die Sterne. Lia war da nur selten dabei, sie nannte es unseren "Vater-Tochter-Moment" und dabei wollte sie uns nicht stören. Also legte sie sich wieder hin, weil sie ohnehin leichte Bauchschmerzen vom Spaziergang bekommen hatte. Wir waren wohl etwas zu lange unterwegs gewesen. Also saßen Carla und ich jetzt draußen auf dem Rasen und sahen der Sonne dabei zu, wie sie langsam am Horizont verschwand und die Sterne schließlich am Himmel erschienen. Ich liebte es, mir mit Carla diesen Moment anzusehen, er war jeden Abend aufs Neue magisch. Es hatte etwas Beruhigendes und Entspannendes, das wir beide sehr genossen. Wir brauchten das einfach, wir waren einfach sehr ruhige und friedliebende Menschen, die es genossen, einfach in Stille zusammenzusitzen und zu beobachten. Ich zog meine Tochter an mich, die sich müde an meine Schulter lehnte und in den Himmel starrte. Sie sah mich nach einer langen, stillen Weile an.
"Hättest du lieber zwei Mädchen, zwei Jungs oder ein Mädchen und einen Jungen, wenn die Babys da sind?", fragte sie mich, worauf ich sie verwirrt ansah. Wie kam sie denn jetzt darauf?
"Wie kommst du darauf?", fragte ich neugierig nach.
"Ich höre den ganzen Tag, wie die Leute im Dorf sich über Mamás Schwangerschaft unterhalten und im Moment wollen die meisten ein Mädchen und einen Jungen", antwortete sie mir und sah mich neugierig an. "Deswegen wollte ich wissen, was du lieber hättest."
"Mir ist es eigentlich egal, Hauptsache ist, dass es den Zwillingen und Mamá gutgeht", antwortete ich ihr und sah sie an. "Und du? Was hättest du am liebsten?"
"Ein Mädchen und einen Jungen. Dann haben Mirabel und Camilo neue Spielkameraden - und Camilo hätte einen zweiten Jungen und nicht nur Mädchen!", erwiderte sie, worauf ich sie anlächelte.
"Es ist süß von dir, an deinen Cousin zu denken", gab ich zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. "Du bist wirklich fürsorglich, weißt du das?" Sie zuckte die Schultern.
"Ich will nur, dass alle glücklich sind", wandte sie ein. "Und ich bin mir sicher, dass Camilo sich sehr über einen weiteren Jungen in der Familie freuen würde."
"Ja, da bin ich mir auch sicher", gab ich ihr recht und nickte. "Ich hätte mich damals auch über einen Bruder gefreut, aber mit Julieta und Pepa war es auch nicht schlimm. Außerdem hatte ich ja noch deine Mutter."
"Mamá und du wart schon als Kinder Freunde, oder?", hakte sie neugierig nach, ich nickte.
"Ja, das waren wir. Wir kennen uns schon, seit wir in den Windeln liegen! Wir haben uns jeden Tag gesehen und eine Menge zusammen durchgemacht", erklärte ich.
"Und wie..."
"Bruno, ich störe dich nur ungern, aber kannst du kommen? Ich glaube bei Lia haben die Wehen eingesetzt." Pepa kam nach draußen und hatte eine kleine Wolke über dem Kopf, die einen leichten Wind verursachte. Sie war wohl aufgeregt. Kein Wunder, wenn bei Lia wirklich die Wehen eingesetzt hatten! Ich musste sofort zu ihr! Ich stand auf. "Was heißt das, Papá?" Ich sah Carla an.
"Das heißt, dass die Babys kommen, mi vida. Bleib du am besten mit tía Pepa hier, ich sehe nach Mamá", antwortete ich ihr, bevor ich schnellen Schrittes nach oben in unser Zimmer ging. Julieta saß bei Lia am Bett, die sich den Bauch hielt und schwer atmete. "Hey, amor, wie geht's dir?" Ich setzte mich zu den beiden und nahm Lias Hand, worauf sie mich anlächelte.
"Es geht noch, aber ich bin mir sehr sicher, dass die Kinder langsam rauswollen", antwortete sie mir.
"Sicher?", fragte ich nervös nach, während mir mein Herz bis zum Hals schlug. Schon vor Carlas Geburt war ich absolut nervös und wahrscheinlich auch nicht die beste Hilfe gewesen, aber dieses Mal ging es hier um drei Leben! Das von Lia und den Zwillingen! Das war noch einmal ein ganz anderes Thema!
"Ja, da kannst du mir glauben. Ich spüre das schon", stimmte sie mir zu und lächelte, bevor sie kurz schmervoll aufkeuchte. "Ja, das war der Beweis. Die Zwillinge haben wohl keinen Platz mehr."
"Dann bleibe ich bei dir, Pepa soll sich um Carla kümmern", erwiderte ich und drückte ihre Hand. "Keine Sorge, ich lasse dich nicht alleine."
"Brunito, ich liebe dich, das weißt du, aber um ehrlich zu sein, warst du bei Carlas Geburt keine große Hilfe. Bist du dir sicher, dass du hierbleiben willst?", fragte sie nach.
"Willst du mich etwa nicht dabei haben?", fragte ich beinahe etwas ettäuscht zurück, worauf sie schnell den Kopf schüttelte.
"Nein, so habe ich das nicht gemeint! Ich wollte nur sagen, dass du bei Carlas Geburt wirklich sehr nervös warst und beinahe in Ohnmacht gefallen bist! Ich will nur sichergehen, dass du dir sicher bist, dass du hierbleiben willst und dich nicht lieber selbst um Carla kümmerst", korrigierte sie sich schnell.
"Pepa kann das, ich bleibe bei dir. Ich will die Geburt meiner Kinder ja nicht verpassen!", entschied ich, sie nickte.
"In Ordnung, dann bleib bei mir. Danke, mi vida."
"Das ist doch selbstverständlich, mi amor."

Es war schon beinahe wieder morgens, als meine Töchter geboren wurden. Ich nahm sie Lia sofort ab, damit sie sich ausruhen konnte und hielt die Zwillinge in den Armen. Beide waren in Handtücher gewickelt und lagen friedlich in meinem Arm, während sie schliefen. Sie waren wirklich goldig und obwohl ich die beiden noch nicht mal fünf Minuten kannte, liebte ich sie jetzt schon bedingungslos.
"Hallo, ihr zwei. Ich bin euer Papá und ich liebe euch, habt ihr gehört? Ihr könnt immer zu mir kommen, wenn ihr etwas braucht, mis amores", flüsterte ich ihnen zu und gab jedem von ihnen jeweils einen Kuss auf die Stirn. Lia lachte leise, worauf ich mich zu ihr umdrehte.
"Bruno, darf ich meine Töchter bitte auch mal halten?", bat sie lächelnd, ich nickte schnell und gab ihr die zwei auf den Arm.
"Natürlich, tut mir leid, ich wollte sie dir nur abnehmen, damit du dich ausruhen kannst", beeilte mich zu sagen und setzte mich zu ihr.
"Das weiß ich doch", erwiderte sie und drückte die kleinen Kinder an sich. Julieta lächelte uns an.
"Herzlichen Glückwunsch, ihr zwei. Soll ich mal Carla holen, damit sie ihre Schwestern kennenlernen kann?", fragte sie, ich nickte.
"Wenn sie noch wach ist, ja", stimmte ich zu, also ging sie aus dem Raum.
"Wie wollen wir die zwei Kleinen nennen?", fragte Lia mich. Ich dachte nach, doch dann kam mir eine Idee.
"Weißt du, sie kamen in einer wunderschönen und sternenklaren Vollmondnacht zur Welt. Wie wäre es mit Estrella und Luna?", schlug ich vor, worauf sie lächelte.
"Ja, das klingt gut", sagte sie und sah Estrella und Luna an. "Willkommen auf der Welt, Estrella und Luna. Wir lieben euch, merkt euch das, ja?" Da ging die Tür auf und Carla kam rein. Sie setzte sich vorsichtig zu uns ans Bett, ich nahm sie in den Arm, während sie die kleinen Babys ansah.
"Carla, das sind Estrella und Luna, deine Schwestern", sagte ich, während Carla ihre Narbe hinter ihren Haaren versteckte. "Du musst deine Narbe nicht verstecken, mi vida. Du kannst die beiden nicht erschrecken - und sonst auch niemanden."
"Komm schon, Carlita, nimm sie ruhig mal auf den Arm", ermutigte Lia sie und gab ihr die Zwillinge vorsichtig auf den Arm, worauf Carla sie nur zögernd ansah. Sie hielt Estrella ihren Finger hin, die ihn sofort umschloss. Ich lächelte sie an.
"Sie mögen dich, Carlita", sagte ich und konnte nicht anders, als stolz auf meine Familie zu sein. Ich liebte jeden einzelnen von ihnen unendlich und diese Nacht war einfach nur perfekt. Wir waren alle zusammen und zufrieden und das war das Wichtigste auf der Welt für mich.

Ich brauche dich, Bruno 3 - Schwindende MagieWhere stories live. Discover now