3 - Zwei Sätze und drei mehr oder weniger wichtige Menschen

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In meiner Frühstückspause stehe ich vor der Heizung im Flur der ersten Etage, direkt neben den Spinden

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In meiner Frühstückspause stehe ich vor der Heizung im Flur der ersten Etage, direkt neben den Spinden. Hier gehört das Slam-Book hin, hier ist es verschwunden. Vielleicht bekomme ich ja eine Antwort auf meine Frage.
Noch halte ich das Buch in den Händen. Noch kann ich die Seite rauseißen und einfach so tun, als hätte dieser Satz nie darin gestanden. Aber ich tue es nicht. Ich muss das Buch erst ein wenig zusammen pressen, damit es hinter die Heizung passt. So wie immer.

"Hey, Adrin? Was brauchst du denn so lange?" Plötzlich steht Valentin hinter mir und guckt mir neugierig über die Schulter.
"Sekunde noch, ich komm' gleich", brumme ich, während ich versuche, das Buch hinter der Heizung zu platzieren
"Warum quetschst du das Buch hinter 'ne Heizung?" Valentin ist einer der neugierigsten Menschen, die ich kenne. Immer will er alles wissen. "Oh, warte!", er hebt gebieterisch die Hand, ein Zeichen, dass jetzt gleich eine weltverändernde Aussage seinen Mund verlassen wird, "Du schreibst in diesem Buch mit einem Mädchen! Hab' ich recht oder hab ich recht?"
Er lehnt sich entspannt an einen der eintönig grauen Spinde, die Arme vor der Brust verschränkt und eine Augenbraue grinsend gehoben.
"Variante drei ist richtig: du hast unrecht, beziehungsweise weiß ich es nicht", gebe ich zu. Valentin fällt alles aus dem Gesicht. Wortwörtlich. Ich sehe sein Grinsen auf dem farblich undefinierbaren Linoleumboden aufprallen und zerschellen. Stattdessen nimmt ein entsetzter Ausdruck auf seinem Gesicht Platz.

"Wie? Du weißt das nicht? Du versteckst hier 'n Buch und weißt nicht, wer da reingeschrieben hat? Das ist doch das Buch, von dem du mir vor den Sommerferien erzählt hast, oder? Und du hast nicht rausgefunden, wer das war? Mensch, Adrin!" Valentin ist während seines kleinen Redeschwalls ein wenig lauter geworden, sodass sich einige Schüler, die noch im Gang stehen, zu uns drehen.
"Ähm, nein, ich weiß nicht, wer reingeschrieben hat?" Meine Stimme nimmt einen fragenden Unterton an.
Endlich ist das Buch fest hinter der Heizung und rutscht nicht ständig nach unten.

Valentin wartet kurz, bis ich zu ihm gehe und setzt sich dann in Bewegung. Nebeneinander laufen wir über den alten Boden, der unter unseren Schritten quietscht. Ich beobachte die Schüler um uns herum, einige stehen in Gruppen da und unterhalten sich, andere wiederum suchen etwas in ihren Spinden. Hier und da sieht man auch jemanden lachen, die meisten haben jedoch ernste, zumindest unerfreute, Gesichter. Alles wie immer, am ersten Schultag.
"Was hast du eigentlich geantwortet?" Valentin dreht seinen Kopf und schaut mich neugierig aus seinen braunen Augen an, die unter einigen Haarsträhnen hervorlugen.
"Nur, dass ich auch weiß, wer ich bin und natürlich gefragt, wer der Schreiber ist."
Valentin grinst wieder einmal.
"Nein, wirklich? Du weißt, wer du bist? Das hätte ich nicht erwartet, ehrlich nicht."
"Sag' mal? Machst du dich gerade über mich lustig? Mich, den ultimativen Antwortschreiber? Die Antwort war genial!", verteidige ich meine Antwort halbherzig. Das Lachen kann ich nur schwer zurückhalten.
"Klar", spottet Valentin, "Komm, wir müssen in den Unterricht. Was hast du jetzt?"
"Ich glaube, ich habe Geschichte", antworte ich wenig begeistert, "Mit der Schreckschraube."
Valentin nickt und seine Augen strahlen pures Mitleid aus.
Die Schreckschraube ist die schlimmste Lehrerin der Schule, sie lässt ihre Schüler nur Aufgaben im Buch lösen, was an sich gar nicht schlecht ist. Wäre da nicht der Fakt, dass sie kein Gespräch duldet, nicht einmal im leisesten Flüsterton oder auf Papier, Handys gestattet sie nicht. Da musste sich schon der ein oder andere neue Schüler von seinem Handy verabschieden.
Wenn wir uns gegenseitig auf Papier Nachrichten schreiben, merkt sie es sofort und liest alles vor. Diese Lehrerin hat ein Gespür dafür, wenn Schüler auch nur ans Sprechen denken.
Wer mit der Schreckschraube Unterricht hat kann sich auf ein Jahr voller Buchaufgaben, seitenlanger Tests und Stille vorbereiten. Also Langeweile in Reinform.

In der Mittagspause wartet Valentin schon vor der Cafeteria auf mich. Er steht wie immer an der Tür und geht dann zusammen mit mir zur Essensausgabe. Im Gegensatz zu vielen anderen Schulen ist das Essen hier sogar genießbar. Normalerweise gibt es hier drei Gerichte zur Auswahl, da heute allerdings der erste Schultag ist, wird uns Schülern noch ein Nachtisch dazu spendiert. Den nehmen wir alle natürlich nur zu gern an, schließlich gibt es das nicht jede Woche!
Valentin und ich suchen uns eine Tisch, der noch nicht besetzt ist und fangen schweigend an zu essen. Das funktioniert auch ganz gut, bis Valentin anfängt, zu husten und dabei so eine lustig aussehende Grimasse Zeit, dass ich erst einmal lachen muss, während ich aufstehe, um ihm auf den Rücken zu schlagen.

Nachdem alles wieder okay ist, beschwert sich Valentin, warum ich denn erst gelacht habe, er hatte ersticken können!
Er wird jedoch in seiner Schimpftirade unterbrochen als eine Mädchenstimme, die ich jeden Tag höre, ihn fragt, was denn das Problem sei.

"Dein idiotischer Bruder würde mir beim Ersticken zusehen und nichts machen! Erklär' ihm mal, dass das verantwortungslos ist!"
"Mi dispiace, Valentin. Dein Gesicht sah einfach so lustig aus, dass ich aus Reflex gelacht habe. Ich weiß, dass du hättest ersticken können und ich weiß auch, dass du da sehr ... sensibile bist", reagiere ich, bevor meine Schwester die Möglichkeit hat zu antworten.
"Empfindlich? Ernsthaft? Ich weiß, was du meinst und Valentin tut das auch, aber dir ist kein besseres Wort als empfindlich eingefallen?", meckert Ambra.
"Ambra, bitte. Wir müssen das hier und jetzt nicht diskutieren. Ich kann ihn ja irgendwo verstehen, beim Verschlucken zieht man nun mal interessante Grimassen. Entschuldigung angenommen. Ich kann ja nichts für meine, wie du es ja doch treffend ausgedrückt hast, Empfindlichkeit dem Thema gegnüber", verteidigt mich mein bester Freund meiner Schwester gegenüber.

Hinter uns ertönt ein leises Räuspern.
"Also, ich will ja nicht stören, aber Ambra, warum sind wir nochmal hier?"
Oh nein, nicht die auch noch! Reana hat mir gerade noch gefehlt!
"Wir essen mit meinem Bruder und Valentin zu Mittag!", verkündet Ambra euphorisch. Doch mit ihrer Euphorie ist sie so ziemlich die einzige an unserem Tisch, denn weder Reana, noch ich sind wirklich begeistert und Valentin hat keine Meinung zur Freundin meiner Schwester.
"Muss das sein?", flüstert eben diese gerade, allerdings noch so laut, dass ich es höre.
"Ja, muss das sein, sorellina?", unterstütze ich Reana unfreiwillig.
Ambra nickt freudig und platziert ihr Tablett auf dem Platz neben mir und lässt sich sogleich auf den Stuhl fallen.
"Setz' dich, Reana! Komm schon! Nur heute mal", bettelt meine Schwester. Reana steht noch immer unschlüssig am Tisch und ich schicke einige Stoßgebete in den Himmel, dass sie doch einfach gehen möge.
Zu meiner Enttäuschung setzt sie sich Ambra gegenüber und beginnt, ihr Essen zu verzehren.
Ambra versucht das unangenehme Schweigen aufzulockern, indem sie von irgendeinem ihrer Kurse erzählt, ich schweife gedanklich jedoch ab und grüble über den mysteriösen Schreiber im Slam Book nach. Hat er oder sie schon geantwortet? Werde ich überhaupt eine Antwort erhalten oder wird das Buch dort noch ein wenig rumgammeln, bevor ich es in die Schulbibliothek stellen werde, damit es sich einreiht in die ganzen vielen Slam Books vor unserem Jahrgang? Falls ich eine Antwort erhalte, werde ich erneut etwas in das Buch schreiben? Diese ganzen fragen schwirren in meinem Kopf herum, bilden einen unaufhaltsamen Wirbelsturm, der droht, mich mitzureißen. Ich bekomme gar nicht mit, wie langsam alle aus der Cafeteria verschwinden und nur noch vereinzelt Schüler schnell fertig essen. Ich sehe bloß eine Hand, die vor meinen Augen herum wedelt. Ich blinzle mehrmals hintereinander, damit meine Sicht sich wieder scharf stellt.

"Mio Dio, bist du gruselig. Ich dachte schon, du zwinkerst gar nicht mehr", vernehme ich Valentins Stimme. Zu ihm gehört auch die Hand vor meinem Gesicht, wie ich nun feststelle.
"Kommst du? Wir müssen zum Unterricht", erinnert mich Ambra, während sie bereits den halben Raum durchquert hat.
"Sekunde, ich komme nach", murmle ich, stehe ebenfalls auf und bringe mein Tablett weg.

Binnen weniger Sekunden sehe ich meine Freunde nicht mehr, da sie einen anderen Weg nehmen als ich.
Ich wähle den rechten Gang, der mich zu den Spinden und damit auch zur Heizung, hinter der das Buch versteckt ist, führen wird.
Glücklicherweise gelange ich von dort schnell zu meinem Unterrichtsraum, sodass ich behaupten kann, ich wäre noch kurz auf der Toilette gewesen.
Nervös greife ich nach dem Buch, welches mir kurz darauf wieder aus der Hand gleitet. Ich bekomme es erneut zu fassen und kann es hinter der Heizung vorziehen, bevor es wieder in den Spalt rutscht.
Ich schlage es auf und suche nach der Seite, die zuletzt beschrieben wurde.
Ich erkenne meine Handschrift und darunter einige hastig gekritzelte Worte. Ich brauche ein wenig, bis ich sie entziffern kann, es wirkt, als hätte der Schreiber in wirklich großer Eile geschrieben, denn viele Buchstaben sind fast unkenntlich geworden. Ein Wort besteht aus nahezu einer Linie und erschließt sich mir nur durch den Zusammenhang. Ich schließe das Buch und packe es in meinen Rucksack, ganz sicher werde ich darauf antworten.

Non lo rivelerò. Se rispondi, nascondi il libro nel secondo cortile della scuola sotto la panchina gialla. Nessuno lo vede lì. - P., steht unter meiner Antwort. Wie tiefgründig.

Missing the Book | ✔️Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon