2 - Ein Essen und zwei Kontrahenten

32 9 15
                                    

Als es am Abend klingelt will ich mich am liebsten in meinem Zimmer einschließen und nicht mehr rauskommen, bis unsere Gäste das Haus wieder verlassen haben

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.

Als es am Abend klingelt will ich mich am liebsten in meinem Zimmer einschließen und nicht mehr rauskommen, bis unsere Gäste das Haus wieder verlassen haben. Doch leider schienen sowohl Ambra als auch Mamma meinen Plan vorauszusehen, denn sie spannten mich vollkommen ein, gaben mir keine ruhige Minute, um in mein Zimmer zu flüchten. Ständig sollte ich etwas machen und sei es nur, den Backofen keine Sekunde aus den Augen zu lassen, damit nichts anbrennt und unsere Gäste das bestmögliche Essen genießen konnten.
Meine Güte! Gabriella und Mamma kannten sich seit der Schule, die schlimmsten Kochversuche meiner Mamma hatte Reana's Mamma sowieso mitbekommen. Warum also so ein Aufwand? Vielleicht lag es an Mamma's Perfektionismus, vielleicht auch an ihrer Leidenschaft für's kochen. Oder an beidem.
Jetzt standen jedenfalls köstlich duftende Focaccia und dampfende Lasagne auf dem Tisch. Mamma sprintet schon fast zur Tür und öffnet sie mit einem solchen Schwung, dass sie sie praktisch in der Hand hält.

"Ella! Schön, dich mal wieder zu sehen und nicht nur zu telefonieren! Hettore, wie geht es dir? Oh, Reana! Du bist so hübsch geworden!", plappert sie fröhlich und schiebt die drei sofort ins Wohnzimmer durch.
"Ambra! Adrin! Kommt runter! Adesso!", ruft sie meine Schwester und mich, sobald die drei saßen. Ich pflastere mir ein Lächeln auf mein Gesicht und trete bemüht entspannt aus der Küche, während Ambra die Treppen hinunter trampelt und zeitgleich mit mir das Wohnzimmer betritt.
"Du machst Lärm wie eine ganze Armee, die die Treppen runter rennt", flüstere ich ihr zu. Sie schenkt mir darauf nur ein Grinsen, bevor sie alle begrüßt.
"Buongiorno! Schön, euch zu sehen!" Ich schenke den dreien nur ein kleines Lächeln und lasse mich auf meinen Platz fallen. Mir steigt der Geruch der Lasagne in die Nase und ich muss mich beherrschen, nicht gleich zu seufzen. Ich lebe für die Lasagne meiner Mamma! Ich weiß nicht, was sie anders macht als alle, aber ihre Lasagne ist einfach einzigartig, ich könnte sie den ganzen Tag essen und das ohne Pause. Und so geht es mir jetzt, am liebsten würde ich sofort zugreifen. Ich halte mich allerdings noch zurück, da Mamma noch nicht sitzt, sie wuselt noch in der Küche rum und Papà holt noch neue Wasserflaschen.

Fünf Minuten später sitzen auch meine Eltern und alle greifen zu. Mamma unterhält sich fleißig mit Gabriella, Papà startet ein Gespräch mit Hettore und Ambra flüstert leise mit Reana. Der einzige, der schweigend isst, bin ich. Ich habe kein Problem damit, schließlich möchte ich mich ungern in Gespräche reinhängen und so kann ich meine Lasagne richtig genießen. Von der Focaccia habe ich bereits ein Stück verdrückt, denn auch diese ist besser, als alle anderen. Meine Mutter hat ein ausgeprägtes Gespür für die richtige Menge an Zutaten und was man noch hinzufügen könnte, um den Geschmack noch zu verbessern. Ich weiß auch nach 17 Jahren nicht, was sie zu ihren Gerichten hinzufügt. Ihre Geheimzutat kauft sie prinzipiell selbst und sie scheucht jeden aus der Küche, wenn es um's Kochen geht, da ist meine Mamma eisern.
"Du hast dich wieder selbst übertroffen, cara mia ", seufzt mein Vater genießerisch auf und erntet einstimmiges Nicken von allen. Für kurze Zeit ist nur das Schaben der Gabeln und Messer auf den Tellern zu Hören, bevor die Gespräche wieder aufgenommen werden.
Papà und Hettore nehmen sich jeweils schon ihr drittes Stück Lasagne und verschlingen dies in enormer Geschwindigkeit. Mamma und Gabriella fachsimpeln über die Zusammensetzung der Soße und über ihren nächsten Kochkurs, den sie zusammen machen wollen. Reana und Ambra flüstern und kichern noch immer so, dass ich sie hören könnte, wenn ich denn wöllte.

"Was sagst du dazu, Adrin?", fragt mich in dem Moment auch meine Schwester und reißt mich aus meinen Beobachtungen.
"Wozu?" Ich wollte doch eigentlich nur dieses Essen hinter mich bringen und dann in mein Zimmer verschwinden, warum müssen mich die beiden ausgerechnet jetzt in ihr Gespräch mit einbeziehen?
"Dass sich Tom und Lyssa vor den Ferien getrennt haben, Tom kurz darauf eine Neue hatte, Lyssa ihn mit Henric eifersüchtig machen wollte und die beiden jetzt tatsächlich wieder zusammen sind. Was sagst du dazu?", erklärt Reana in einem Affenzahn, sodass ich kurz brauche, um das Gesagte zu verarbeiten.
"Kindisch. Wenn sie doch offensichtlich aneinander hängen, warum haben sie sich dann getrennt? Weil sie sich gestritten haben? Wer ist das überhaupt?" Oftmals stelle ich die Prinzipien von Teenagern wirklich in Frage, man trennt sich, nur um kurze Zeit später wieder zusammenzukommen? Was macht das für einen Sinn?
"Lyssa geht in meinen Geschichtskurs und Tom wohnt in Reana's Straße. Und außerdem haben die beiden sich getrennt, weil ..., ähm weil ..., weil eben", beantwortet meine Schwester mir meine Frage und kommt zum Schluss ziemlich ins Stocken.
"Tom und Lyssa haben sich getrennt, weil Lyssa ihn angeblich betrogen hat, sie das aber abstreitet. Erhat ihr am Anfang nicht geglaubt, sie muss aber irgendein ausschlaggebendes Argument gehabt haben, weshalb sie jetzt doch wieder zusammen sind", springt Reana für meine Schwester ein.
"Ach so! Stimmt, Lyssa hatte sowas in der Art mal erwähnt!", fällt es jetzt wohl auch Ambra wieder ein.

"Traurig, wenn er eher irgendwelchen Gerüchten glaubt, als seiner Freundin. Vor allem, wenn diese Gerüchte von Teenagern verbreitet werden sind sie meistens unglaubwürdig. Und wenn diese Lyssa ihn dann auch noch zurück nimmt, obwohl er offensichtlich so wenig Vertrauen in sie hat, dann ist das gleich noch eine Spur trauriger."
Teenager sind wirklich komisch. Ich zähle zwar auch zu ihnen, aber diese Art und Weise habe ich noch nie verstanden, werde sie wohl auch nie verstehen. Selbst erwachsene Paare verhalten sich manchmal so, sollte man nicht eigentlich dazugelernt haben? Offenbar nicht.
"Vertrauen kann man aufbauen und wenn dir die halbe Schule erzählt, dass deine Freundin dich betrogen hat, wem würdest du eher glauben? Deinen besten Freunden oder deiner festen Freundin? Gefühlte eine Million gegen eins?", verteidigt Reana Tom's und Lyssa's Handeln.

"Wenn dir deine Freunde erzählen, sie hätten gehört, dass ... und dein Freund dir ernsthaft und immer wieder beteuert, das ganze würde nicht stimmen, wem glaubst du? Meinst du nicht, man sollte Vertrauen in seinen Partner haben und demjenigen glauben, wenn er etwas abstreitet? Vor allem, wenn die Anderen sagen, sie hätten gehört, dass etwas vorgefallen ist. In einer Beziehung ist Vertrauen enorm wichtig und wenn ein simples Gerücht die Beziehung zerbrechen lässt, dann, finde ich, sollte sie auch nicht wieder aufgenommen werden." Reana holt Luft, um mir etwas zu entgegnen, aber ich bin noch nicht fertig.
"Und vielleicht irre ich mich und bei Tom und Lyssa ist das anders, aber ich denke, solch ein Vertrauen baut man nicht nach einer langen Zeit auf, sondern in einer langen Zeit und wenn bei Tom und Lyssa jetzt noch kein Vertrauen da ist, wird es auch nicht mehr kommen."
Reana schnappt nach meiner etwas längeren Rede empört nach Luft und bringt nur ein entsetztes "Ambra! Sag' doch mal was!" heraus. Meine Schwester zuckt mit den Schultern und entgegnet mit einem unschuldigen, leicht verzweifelten Lächeln "Ich bin wie die Schweiz, komplett neutral." Daraufhin erntet sie von Reana einen anklagenden Blick, ich hingegen werde mit Giftpfeilen aus ihren blauen Augen beschossen. Könnten Blicke töten würde ich jetzt auf meinem Stuhl zusammensacken und meine Eltern auf einem Haufen Kosten für die Beerdigung sitzend zurücklassen. Da ich allerdings noch nicht tot umgefallen bin, bekomme ich die neugierigen Blicke unserer Eltern mit, da unsere Hitzige Flüster-Diskussion augenscheinlich doch ein wenig lauter geworden ist. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass sie ihre Gespräche eingestellt haben und uns gespannt lauschen. Reana's und Ambra's Blicken nach zu urteilen, sind die beiden auch überrascht. Wenn von unseren Eltern nicht gleich mindestens eine Frage kommt!

"Worüber streitet ihr denn?", mischt sich da auch schon Hettore ein. Mamma, Papà und Gabriella schenken uns interessierte Blicke.

"Tom und Lyssa haben sich getrennt, hatten kurz darauf jemand anderen und sind jetzt wieder zusammen. Reana vertritt das und Adrin argumentiert dagegen", gibt Ambra die Kurzfassung unserer Auseinandersetzung.
"Und? Dann haben beide eben eine andere Meinung. Wenn beide davon nicht abrücken wollen, muss man eben einen Kompromiss eingehen und der ist in diesem Fall, das Thema zu wechseln und die Debatte zu beenden", erklärt Hettore verständnislos. Mamma, Papà und Gabriella nicken.

"Das ist dann wohl mein Stichwort: Mamma, es war wie immer unglaublich lecker, aber ich verabschiede mich jetzt. Gabriella, Hettore, war schön euch zu sehen. Reana, na ja, das überlasse ich dem jeweils einzelnen. Bis später, sorellina, bis später, Papà", verabschiede ich mich, gebe meiner Mamma einen Kuss auf die Wange, winke dem Rest und verlasse den Raum.

In meinem Zimmer angekommen, schmeiße ich gerade meine Schulsachen in meinen Rucksack, als mir das kleine Ringbuch ins Auge sticht. Stimmt, das wollte ich ja auch zurücklegen. Also auch mit in den Rucksack.
Nachdem das erledigt ist, lasse ich mich auf mein weiches Bett fallen, greife nach meinem Handy samt Kopfhörern und schalte meine Musik an.

Missing the Book | ✔️Where stories live. Discover now