„Lass uns ein anderes Mal reden, wir müssen jetzt.
Mach's gut Millie und Grüße an Sue."
Und damit klappte ich das Handy zu und ging zur Hütte zurück, nachdem ich noch ein enttäuschtes „Tschüss" von meiner Freundin wahrgenommen hatte.

„Ich habe gerade mit Millie gesprochen und sie wünscht uns viel Glück."

Mein Patient schenkte mir ein warmes Lächeln.

„Vielen Dank. Wir werden es brauchen."

Bevor ich mich mal wieder in seinen wunderschönen Augen verlieren konnte, nickte ich und zwängte mich an ihm vorbei - zurück ins Haus.
Ich lief auf die alte Truhe neben der Garderobe zu und wühlte in ihr, bis ich fündig wurde.

„Hier! Lass uns die aufsetzen, damit wir nicht sofort erkannt werden." Ich streckte meinem Gast eine Wollmütze entgegen, nachdem ich mir ebenfalls eine aufgesetzt und meine Haare darunter hatte verschwinden lassen.

-

Eine halbe Stunde später hatten wir alles erledigt und ließen die Autotüren zufallen, bevor ich den Motor von Sues Wagen anschmiss.

„Jetzt geht es los.
Wie fühlst du dich?", fragte ich meinen Beifahrer.

Er schien seine Gedanken sammeln zu müssen und antwortete mir erst, als wir den Waldweg bereits verlassen hatten und auf die Straße rollten.

„Ich... habe gemischte Gefühle.
Einerseits bin ich froh darüber, meiner Vergangenheit endlich auf die Spur zu kommen, aber auf der anderen Seite macht mir genau das auch unglaubliche Angst.
Ich will einfach nicht erfahren müssen, dass ich wirklich ein Krimineller bin. Mittlerweile bin ich aber überzeugt von meiner Schuld. Ich meine... ich habe den Ort tätowiert, in dem Saphire geschürft werden und ein Juwelier in einer anderen Stadt, der gerade eine neue Lieferung dieser Steine bekommen hat, ist überfallen worden, während ich dort war.
Das kann kein Zufall sein.
Ich werde endlich akzeptieren müssen, wer ich wirklich bin und dann für meine Taten gerade stehen."

Sein letzter Satz versetzte mir Schmerzen in der Brust.
Wenn er wirklich schuldig war und illegale Dinge getan hatte, würde er ins Gefängnis wandern.
Und das würde mir das Herz brechen.

Ein ekelhaftes Gefühl bildete sich in meiner Magengegend.

Als wir vor einer Ampel zum Stehen kamen, sah ich ihn an. Er starrte auf seine Finger in seinem Schoß.
Mein Gast schien von seiner Schuld überzeugt zu sein, aber irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass dieser Mensch, den ich als unglaublich liebevoll und warmherzig kennengelernt hatte, ein Verbrecher sein sollte. Für mich passte das alles nicht zusammen. Und dieses Gefühl hatte ich nicht zum ersten Mal.

Als mir das grüne Licht entgegenstrahlte, wendete ich meinen Blick wieder von ihm ab und drückte auf das Gaspedal.

„Was auch immer passiert ist, wir werden es herausfinden. Und... ich bin an deiner Seite und bleibe es auch. Egal was du getan hast, du bist kein schlechter Mensch und ich kann mir nicht vorstellen, dass du es in deiner Vergangenheit gewesen bist."

So, nun war es raus.
Ich hatte ihm gesagt, was ich über ihn dachte und dass ich bei ihm bleiben würde, egal was sich herausstellen sollte.
Kaum war es ausgesprochen, fragte ich mich, ob das zu viel des Guten war. Ich meinte jedes einzelne Wort genau so, aber... hätte ich es ihm auch sagen sollen?

Nervös schaltete ich in den nächsten Gang bevor ich beschleunigte, als ich seine Hand auf meiner spürte, die den Schaltknüppel umfasste. Sofort begann meine Haut unter seiner Wärme zu kribbeln.
Ich musste leise seufzen.

„Lynn, ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet." Er schien ungläubig zu lächeln.
„Womit habe ich dich nur verdient?"

Ich spürte seinen Blick auf meiner rechten Gesichtshälfte, während ich stumm auf die Straße vor mir starrte und wahrnahm, wie Hitze in meinen Kopf stieg.

Er fuhr fort.
„Solltest du an irgendeinem Punkt deine Meinung ändern und meine Nähe nicht mehr ertragen können, weil du etwas erfährst was es unmöglich für dich macht zu bleiben, dann musst du wissen, dass ich dir auf keinen Fall böse sein werde, wenn du gehst.
Verstehst du?"

Mein Körper begann zu zittern.

Obwohl ich mir sicher war, dass es niemals so weit kommen und ich mit Sicherheit bleiben würde, begann ich irgendwann zögerlich zu nicken, ohne ihn dabei anzusehen.

Was zur Hölle hatte dieser tolle Mensch nur getan, dass niemand nach ihm suchte, niemand ihn vermisste, niemand ihn beschützen wollte, niemand wissen wollte, wie es ihm ging.
Ich begriff es einfach nicht.

Nach einigen ruhigen Minuten, in denen wir beide mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt waren und weitere Kilometer hinter uns gelassen hatten, wollte ich mir nun auch etwas von der Seele reden.

„Ich... ich wollte noch einmal auf das Etui zu sprechen kommen. Du weißt schon..."
Ich sah sein Nicken aus dem Augenwinkel.
„Ich möchte nämlich nicht, dass du einen falschen Eindruck von mir bekommst.
Millie hat das Etui in meine Manteltasche gesteckt, als du in der Küche warst. Sie hat mir allerdings nicht gesagt, dass da kein Make-up drin ist.
Dann habe ich es vor dem Spaziergang rausgenommen und in den Badezimmerschrank gelegt, ohne einen Blick hineinzuwerfen.
Ich bin fest davon ausgegangen, dass meine Freundinnen mir damit ans Herz legen wollten, ich könnte mal wieder etwas Schminke vertragen.

Ich... ich bin nicht so eine, die sich sofort Jedem an den Hals wirft. Im Gegenteil...
Seit mein Ex-Freund mich vor über zwei Jahren verlassen hat, habe ich niemanden mehr gehabt..."

Ich atmete tief ein um Luft für eine weitreichendere Erklärung zu holen, doch mein Beifahrer stoppte mich mit seinen Worten.

„Du musst dich nicht vor mir rechtfertigen.
Ich kenne nur die Lynn der letzten zwei Wochen und du mich bloß ebenso lange.
Sag mir, wie könnte jemand wie ich, der keinen blassen Schimmer von seiner Vergangenheit hat, über dein Verhalten der letzten Jahre urteilen?"

Ich atmete schwer.
Sofort begriff ich es. Er hatte Recht. Es stimmte.
Die Vergangenheit spielte sowohl in seinem, als auch in meinem Leben eine riesengroße Rolle, doch zwischen uns Beiden anscheinend überhaupt keine. Weder für ihn, noch für mich. Es war mir egal, welche Altlasten er mit sich trug und welche Fehler er gemacht hatte. Das wurde mir erst in diesem Moment bewusst.
Und ihm schien es mit mir ähnlich zu gehen.

Er setzte wieder an.

„Lynn, hör mir zu.
Ich fand die Zeit mit dir bisher wunderschön und vor allem... den gestrigen Tag.
Ich... ich hatte schon so oft vor dich zu küssen, war aber total unsicher ob du es auch wollen würdest und habe deshalb immer dumme Sprüche geklopft, um die Situationen für mich zu entschärfen."

Kurz hielt er inne und fuhr weiterhin mit seiner Hand über meine.

„Ich weiß noch nicht, was genau es ist, oder ob es sinnvoll ist, oder gar der richtige Zeitpunkt, aber ich kann dir sagen, dass ich gerne in deiner Nähe bin. Und das nicht nur, weil du mich gepflegt hast und diese Reise in meine Vergangenheit mit mir machst, sondern einfach, weil du du bist.
Ich könnte jeden einzelnen Kerl verstehen, der dir jemals nah sein wollte, egal wie viele es waren.

Und auch wenn du hundert Typen in deinem Leben gehabt haben solltest, ändert es nichts daran, dass ich der Hunderterste sein will."


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Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWhere stories live. Discover now