Kapitel 10 - Im Fuchsbau

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Ich verbrachte einen herrlich leichten Nachmittag mit meinen Geschwistern und Harry. Die Sonne schien und ließ die schneebedeckte Landschaft funkeln. Unser Lachen hallte über das weite angrenzende Feld. Winzige, glatzköpfige Gnomen rannten giggelnd durch den Garten und scheuchten die Hühner herum. Eine Katze schlief in dem alten umgekippten Kessel, in dessen Boden ein riesiges Loch klaffte und der seit eh und je vor dem Tümpel hinterm Haus lag. Auf dem schmutzigen Wasser dahinter hörte man ab und an ein seltsames Kichern und konnte nachts ein Licht darauf auf und ab hüpfen sehen. Percy warnte mich davor, nach der Dämmerung in seine Nähe zu gehen, weil Dad befürchtete, dass sich ein Hinkepank eingenistet hatte.

Es tat gut, dieses lebendige Chaos vor mir zu sehen, es zu spüren, die Lautstärke in mir vibrieren zu fühlen. Der Fuchsbau war ein lebendiges Haus. Unordentlich, hier und da klaffte ein Leck. Doch es fehlte uns an nichts. In diesen Stunden wurde mir mit aller Macht bewusst, woher ich kam und wer ich war.

Das Gefühl vertiefte sich beim gemeinsamen Weihnachtsessen. Wir saßen an der langen hölzernen Tafel, welche die ganze Küche einzunehmen schien. Ich zwischen Ginny  und Harry. Mir gegenüber saß Charlie, der lebhaft von seiner Arbeit mit den Drachen in Rumänien berichtete. Begeistert stellte ich ihm eine Frage nach der anderen. Die letzten Jahre hatte ich nicht viel Zeit mit meinen älteren Brüdern verbringen können, weshalb ich es jedesmal umso mehr genoss. Bill war der Inbegriff von absoluter Coolness. Er strahlte eine Ruhe aus, die ansteckend war und sagte nur etwas, wenn er etwas zu sagen hatte, während Fred und George den Mund nicht einmal dann halten konnten, wenn er voller Plumpudding war. Ich lachte gerade heftig über einen Scherz, den sie gemacht hatten, als ich das Gespräch zwischen Harry und Dad aufschnappte.

"Erst heute war ich wieder bei Malfoy, aber ich habe wieder nichts gefunden. Es ist zum Mäuse melken", hörte ich Dad sagen.

Bei dem Namen Malfoy war die ganze Familie ruckartig still und spitzte die Ohren. Ich legte meine Gabel ab, mir war der Hunger vergangen.

"Dort muss etwas sein! Ich weiß, dass Draco schwarzmagische Gegenstände zuhause hat", sagte Harry frustriert.

"Wie kommst du darauf?", hörte ich mich sagen, ehe ich mich zurückhalten konnte. Alle starrten mich an.

"Nun, Dank dir wissen wir, dass er sie nicht in seinem Zimmer hat, also muss er sie von zuhause geschickt bekommen."

"Was hast du bitte in Draco Malfoys Zimmer verloren?", fragte Fred ernster, als ich ihn je erlebt hatte.

Ich sah Harry wütend an, ehe ich zugab: "Wir wollten nach Beweisen für seine Schuld im Fall Katie Bell suchen."

Mom knallte ihre Gabel so geräuschvoll auf den Teller, dass sich keiner mehr etwas zu sagen traute. "Das will ich nicht noch einmal hören, Kim. Du hast nicht in die Zimmer anderer Schüler einzubrechen, hörst du?"

"Ms Weasley, das war meine Schuld", sagte Harry schnell.

"Hör mir mal gut zu, das geht an euch beide. Mischt euch nicht in Dinge ein, die euch nichts angehen. Das ist gefährlich!"

"Molly hat Recht", sagte Dad ruhiger und wandte sich wieder an Harry. "Ich weiß, dass Lucius einige schwarzmagische Dinge versteckt. Was Draco damit zu tun hat, kann ich nicht sagen, aber ich kann nichts tun, wenn ich die Beweise nicht finde."

"Der Arme Junge", seufzte Mom und mein Herz flog ihr erneut zu.

"Damit meinst du hoffentlich nicht Malfoy!", sagte George ungehalten.

Mom funkelte ihn an, was ausreichte, um ihn zum Schweigen zu bringen. "Sein Vater ist in Askaban. Sein Zuhause ist seit jeher das Hauptquartier für Ihr-wisst-schon-wen. Diese Verbrecher gehen seit seiner Kindheit dort ein und aus. Er hatte nie eine Wahl."

"Die hatten meine Eltern auch nicht", sagte Harry bitter.

Der Raum war zu voll, zu heiß, zu überladen von Emotionen, die mich in zwei verschiedene Richtungen zerrten. Ich entschuldigte mich schnell und eilte dann hinüber ins Wohnzimmer. Ich ließ mich im Sessel am prasselnden Kaminfeuer nieder. Auf dem Kaminsims standen unzählige Kindheitsfotos von meinen Geschwistern. Die von mir zeigten ein Mädchen ab elf Jahre. Elf Jahre hatte Voldemort mir gestohlen. Wie viele Leben hatte er noch verändert? Wie vielen hatte er auch keine Wahl gelassen?

Leise Schritte näherten sich und schließlich erkannte ich Ginnys blumiges Parfum. Die Lehne des Sessels senkte sich etwas, als sie sich darauf niederließ. Eine Weile verbrachten wir in einträchtigem Schweigen. "Dich beschäftigt doch etwas. Du kannst es mir sagen, Kim."

Ich schüttelte den Kopf und eine einzelne Träne rann über meine Wange. "Ich weiß, du fühlst dich anders. Weil du in Slytherin bist, meine ich. Ich glaube dir, wie schwer das für dich sein muss. Aber Mom und Dad sehen keinen Unterschied. Sie wissen, wohin du gehörst. Und ich hoffe, du weißt das auch."

Sie wollte mich trösten und hatte nicht einmal den Hauch einer Ahnung, dass es ihre Worte nur noch schlimmer machten. Wie gern hätte ich mich jemandem anvertraut - einem weiblichen Wesen, was sich mein Gefühlschaos einfach nur anhörte. Aber Ginny war meine Schwester und eine Gryffindor und dazu Harrys beste Freundin. Sie würde mich niemals verstehen.

Also lächelte ich tapfer. Nach und nach gesellten sich die anderen zu uns und den Rest des Abends wurde das Thema Malfoy nicht noch einmal erwähnt. Doch ich erwischte Fred und George dabei, wie sie mir wieder diese argwöhnischen Blicke zuwarfen.

Später, als wir alle etwas beduselt waren, weil Dad uns, trotz heftiger Proteste seitens Mom, etwas von seinem Feuerwhiskey abgegeben hatte, kam Harry zu mir. Fred und George führten grad ihre neuen Bluffknaller aus Weasleys zauberhafte Zauberscherze vor, weshalb ihnen die ganze Aufmerksamkeit der restlichen Familie sicher war.

"Wollen wir kurz an die frische Luft gehen?"

Ich nickte und er zog mich zu sich hoch. Leise stahlen wir uns aus dem lauten Wohnzimmer, wo es nun heftig nach Schießpulver roch.

Es hatte zu schneien begonnen. Dicke weiße Flöckchen fielen wie Federn vom schwarzen Himmel, der mit unzähligen Sternen übersät war. Sofort musste ich an den Abend der Halloweenparty und unseren ersten Kuss zurückdenken und spürte, dass es ihm ähnlich ging.

"Ist immer wieder schön, hier zu sein, oder?"

"Manchmal wünschte ich, ich müsste nicht mehr weg. Gleichzeitig ist Hogwarts auch mein Zuhause", erwiderte ich.

"Ich weiß genau, was du meinst."

Wir schlenderte Hand in Hand über den dunklen Hof. Es fühlte sich so natürlich an, bei ihm zu sein und seine Hand zu halten. Einfach nur richtig und es gab absolut nichts, was dagegen sprach. Nichts bis auf diese andere Seite in mir.

"Du warst sehr ruhig die letzten Tage."

"Ich musste mir über einige Dinge klar werden", erwiderte ich langsam.

"Und hast du es geschafft?" Er sah mich nicht an, schnippte  einige Steine über den Tümpel und ein irres Kichern ertönte vom Wasser her.

"Definitiv."

Er drehte sich zu mir um. "Es tut mir leid, Kim. Ich kann dir nichts versprechen. Wir können kein offizielles Paar sein. Nicht solange es Voldemort gibt."

Ich starrte ihn aus großen Augen an. "Harry, das habe ich doch nie von dir verlangt..."

"Ich will einfach, dass du es wirklich verstehst. Ich will dass du weißt, wie viel du mir bedeutset."

Langsam bekam ich wirklich Angst. "Harry, was ist eigentlich los?"

Er drehte sich um und kam nah zu mir, nahm mein Gesicht in seine Hände. Eine unendliche Zärtlichkeit, die ich nach meinem Verrat kaum ertragen konnte. Dann küsste er mich und ich legte all meine Zuneigung in die Erwiderung dieses Kusses. All meine Reue, meine Schuld, meine Verzweiflung.

Danach legte er seine Stirn an meine. "Du gibst mir Kraft für den Kampf."

Der Zauber um Draco MalfoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt